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Bildung Recht Interview

Rudolf Tschäni: «Der Anwaltsberuf ist grossen Veränderungen unterworfen»

04.09.2020
von Flavia Ulrich

Rudolf Tschäni ist einer der bekanntesten Anwälte der Schweiz im Bereich Mergers & Acquisitions. Für 2020 wurde er als «Lawyer of the Year» ausgezeichnet und von «Who’s Who Legal» erhielt er den «Lifetime Achievement Award for Switzerland». Im Gespräch mit «Fokus» erzählt er, wieso ihn dieser Rechtsbereich in den Bann gezogen hat und was ein Anwalt mitbringen sollte.

Herr Rudolf Tschäni, wieso haben Sie Ihren Schwerpunkt im Bereich Mergers & Acquisitions (M&A) gesetzt?

Das war eher zufällig aufgrund von Erfahrungen, die ich in einem grossen Anwaltsbüro in New York sammelte. Als ich dort arbeitete, herrschte in der Schweiz unter Anwälten noch der Typ des Allgemeinpraktikers vor. Grössere M&A-Transaktionen sind für Unternehmen oft bedeutende Weichenstellungen und erhalten von oberster Ebene grosse Aufmerksamkeit. Der Anwalt arbeitet an einem wichtigen, manchmal sogar transformatorischen Projekt mit. M&A-Beratung ist Teamarbeit und für Juristen herausfordernd, da verschiedene Rechtsgebiete ineinandergreifen. Zudem agiert der Anwalt eng im Austausch mit anderen Fachleuten wie Finanzberatern, Revisoren und Unternehmensberatern. Man hat ausserdem ständig mit neuen Transaktionen sowie Unternehmen und Personen mit wechselnden Eigenarten zu tun. Diese Kombination finde ich spannend. Zurück in der Schweiz hat sich die M&A-Beratung damals zu einem eigenen Spezialbereich entwickelt, an dessen Aufbau ich gerne mitgearbeitet habe.

M&A-Beratung ist Teamarbeit und für Juristen herausfordernd, da verschiedene Rechtsgebiete ineinandergreifen. Rudolf Tschäni

Wo liegen die grössten Herausforderungen als Anwalt im Übernahmerecht? 

Zum einen der Bedarf an Spezial-Know-how, das unter Zeitdruck kurzfristig abrufbar sein muss. Das ist namentlich in Verhandlungen notwendig und setzt regelmässige Tätigkeit im M&A-Bereich voraus. Zum anderen ist die menschliche Seite nicht zu unterschätzen. Man erlebt den Unternehmer, der in Tränen die Unterschrift unter den Vertrag setzt, mit dem er sein Lebenswerk (das von ihm aufgebaute Unternehmen) verkauft. Oder jenen, der in der Nacht vor der Unterzeichnung entschied, dass er doch nicht verkaufen will, weil ihm der Käufer zu wenig Respekt entgegenbrachte – in der fälschlichen Annahme, es gehe dem Verkäufer bloss um den «quick buck».

Besonders anspruchsvoll ist die Situation für das Management und die Belegschaft des übernommenen Unternehmens, deren Stellen möglicherweise in Frage stehen oder die sich um das geschäftlich oder kulturell neue Umfeld sorgen. Herausfordernd für den Anwalt ist auch die zeitliche Beanspruchung – Stichwort Work-Life-Balance. Mir haben die Leidenschaft für diese Arbeit, das Verständnis der Familie sowie die Unterstützung durch Partner und Mitarbeitende in meiner Kanzlei Lenz & Staehelin sehr geholfen.

Was könnte man im Übernahmerecht ändern, um den Prozess für Unternehmen zu vereinfachen?

Das habe ich mich manchmal gefragt, wenn es an die Nachtarbeit ging. Dass die Prozesse aufwändig und lang sind, liegt weniger am Recht als an anderen, vor allem verhandlungstechnischen Gründen. Der Vorgang ist etwa mit Verhandlungsmarathons in politischen Prozessen vergleichbar im Sinne von: Wer fällt zuerst vom Stuhl? Manchmal sieht man auch Ängste der beteiligten Parteien, ob der anvisierte Deal wirklich der richtige ist, was zu Verzögerungen führen kann. Das lässt sich dann mit Brautpaaren vergleichen, denen kurz vor dem Hochzeitstermin Zweifel aufkommen.

Die Situation rund um das Coronavirus ist für viele Unternehmen sehr herausfordernd und der M&A-Markt ist eingebrochen. Denken Sie, dass es nach der Coronakrise vermehrt zu M&A-Transaktionen kommt?

Der M&A-Markt ist in der Tat drastisch eingebrochen, und zwar weltweit, wenn auch die Auswirkungen regional und branchenmässig unterschiedlich sind. Nach Krisen kommt es aber häufig zu vermehrter Übernahmetätigkeit und tatsächlich hat der Markt – auch in der Schweiz – wieder etwas angezogen. Einerseits sind wegen Covid-19 Übernahmeprojekte unterbrochen oder gar nicht angeschoben worden. Diese werden zumindest teilweise wieder aufgenommen. Andererseits müssen verschiedene Unternehmen ihr Geschäftsmodell den neuen Gegebenheiten anpassen, was auch durch M&A-Transaktionen geschehen wird.

Letzten Endes werden die Preise für gewisse Übernahmen wahrscheinlich sinken, sodass mehr interessierte Käufer auftreten könnten. Zu erwarten sind ferner Notverkäufe, bei denen auf Käuferseite grosse, kapitalstarke Unternehmen auftreten werden. Ein weiteres Indiz für sich erholende M&A-Märkte sind auch die Börsenkurse, welche stark zugelegt haben. Steigende Kurse haben in der Vergangenheit oft mit vermehrter M&A-Tätigkeit korreliert. Entscheidend wird schliesslich sein, ob und wann Private-Equity-Käufer wieder eingreifen. Im Moment sind diese eher noch damit beschäftigt, ihr Portfolio vor den Folgen der Krise zu schützen. Aufgrund ihrer enormen Geldmittel werden sie aber über kurz oder lang wieder Transaktionen tätigen (müssen).

Letzten Endes werden die Preise für gewisse Übernahmen wahrscheinlich sinken, sodass mehr interessierte Käufer auftreten könnten. Rudolf Tschäni

Unternehmen wenden sich auch in Schlichtungsprozessen oft an Sie und Sie fungieren als Schiedsrichter. Was interessiert Sie an diesen Mandaten und sind diese mit der Arbeit an Transaktionen vereinbar?

Leider führen M&A-Transaktionen nicht selten zu Streitigkeiten. Gerade die derzeitige Krise hat bewirkt, dass einige Käufer nach der Unterzeichnung vom Vertrag zurückgetreten sind und Verkäufer das nicht akzeptieren wollen. Unabhängig von einer Krise stellt der Käufer manchmal zwischen Unterzeichnung und Vollzug – diese Zeit kann unter Umständen recht lang sein – fest, dass der Kauf doch nicht seinen Vorstellungen entspricht oder sich das übernommene Unternehmen schlecht entwickelt. Der Käufer möchte dann den Vollzug entgegen dem Willen des Verkäufers verweigern. In einer anderen Konstellation findet der Käufer, dass die vertraglichen Zusicherungen zum Unternehmen nicht zutrafen. Auf diese Weise wird in gewissen Fällen eine Nachverhandlung des Kaufpreises gesucht. Bei diesen Auseinandersetzungen sind in der Regel Schiedsgerichte für die Beurteilung zuständig, da die Parteien dies im Kaufvertrag vereinbart haben.

Anfragen zur Nomination als Schiedsrichter habe ich stets gern angenommen, wenn kein Interessenkonflikt vorlag. Denn aus streitigen Fällen kann man viel für die Beratungstätigkeit lernen, abgesehen davon, dass diese Fälle rechtlich meist sehr interessant sind. Mit Schiedsrichtern zusammenzuarbeiten empfinde ich als anregend und es erschliesst zur Arbeit als beratender Anwalt zusätzliche Perspektiven. Allerdings ist es manchmal anspruchsvoll, Transaktions- und Schiedsrichtertätigkeit zeitlich miteinander zu vereinbaren. In M&A-Streitigkeiten sind Praktikerkenntnisse aus Transaktionen besonders hilfreich. Es erstaunt mich daher, dass nicht mehr transaktionserfahrene Juristen als Schiedsrichter gewählt werden.

TV-Serien über skrupellose Anwälte und deren Fälle sind populär. Welche Vorurteile über Rechtsanwälte stimmen ganz und gar nicht?

In TV-Serien werden der Öffentlichkeit amerikanisch geprägte Bilder von Anwälten vermittelt, die hierzulande nicht zutreffen. Anwaltsarbeit ist oft auch Knochenarbeit allein im Büro. Man schreibt Verträge und Memos – das braucht Zeit und setzt Detailtreue voraus. Und man muss viele Dokumente studieren. Harvey Specter aus der Serie «Suits» ist zwar sehr amüsant anzuschauen – ich war fast etwas neidisch zu sehen, dass sein Pult stets frei von Akten war und er auch unterwegs keine Mappe benötigte. Der Realität der Anwaltstätigkeit in der Schweiz entspricht das aber nicht.

Welche Werte sollen Anwälte mitbringen und im Berufsleben an den Tag legen?

Natürlich sollen Anwälte die Interessen ihrer Klienten bestmöglich vertreten; dafür gibt es verschiedene Wege. Im Prinzip sind für den Erfolg Respekt gegenüber Behörden und Gegenparteien, inklusive Gegenanwälten, und sachbezogenes Argumentieren zielführend. Allerdings funktioniert das in gewissen Fällen nicht, bei denen man sich anpassen und in einen anderen Modus wechseln muss. Die Meinungen über Werte wie auch Persönlichkeiten der einzelnen Anwälte gehen aber stark auseinander.

Natürlich sollen Anwälte die Interessen ihrer Klienten bestmöglich vertreten; dafür gibt es verschiedene Wege. Rudolf Tschäni

Welche Veränderungen der Branche haben Sie in den vergangenen Jahren wahrgenommen?

Eine hauptsächliche Änderung scheint mir die zunehmende Regulierungsdichte und damit die Spezialisierung des Anwalts auf bestimmten Gebieten zu sein. Die anschwellende Dichte ist eine Folge der heterogener gewordenen Bevölkerung, die mehr und mehr über Rechtsnormen zusammengehalten werden muss, weil der soziale Kitt nicht mehr so stark ist wie früher.

Welchen Fall – aus den Medien oder von einem anderen Anwalt – hätten Sie gerne übernommen und warum?

Den Fall «Sika» – den durfte ich aber selbst übernehmen. Wir haben Verwaltungsrat und Management von Sika in der Abwehr der Übernahme durch Saint-Gobain beraten. Das war nicht nur rechtlich anspruchsvoll, sondern auch sonst eine eindrückliche Erfahrung, nicht zuletzt wegen der medialen Aufmerksamkeit und der ausgezeichneten Zusammenarbeit mit dem kompetenten Verwaltungsrat und Management der Sika sowie unserem gesamten Beratungsteam. Ihnen gebührt höchste Anerkennung für ihren hingebungsvollen Einsatz während mehr als drei Jahren.

Was empfehlen Sie angehenden Anwälten für ihre berufliche Zukunft?

Juristisches Fachwissen wird heute von Klienten als selbstverständlich vorausgesetzt, ebenso wie interdisziplinäre Kenntnisse sowie Verhandlungsgeschick und Verständnis für unternehmerische Belange. Der Anwaltsberuf ist grossen Veränderungen unterworfen. Als Stichworte seien Digitalisierung, rasch wechselnde Rechtsnormen und anspruchsvollere Erwartungen der Klienten genannt. Diese Entwicklung muss der Anwalt in seiner Planung berücksichtigen und zudem bedenken, dass persönliche Eigenschaften eine viel bedeutendere Rolle spielen, als dass dies in früherer Praxis der Fall war. Der Anwaltsberuf dürfte aber attraktiv bleiben – auch deshalb, weil er nicht unbedingt ein Leben lang ausgeübt zu werden braucht, sondern auch interessante Einstiegsmöglichkeiten in andere Berufsbereiche bietet.

Interview Flavia Ulrich

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