gianni operto gianni operto: «die technik überholt  politik»
Nachhaltigkeit Bildung Innovation Interview

Gianni Operto: «Die Technik überholt die Politik»

15.01.2018
von Natalie Ehrenzweig

Sonne, Wind, Wasser, Erdwärme, Biomasse: Erneuerbare Energien liefern eigentlich ein Zigfaches des weltweiten Energieverbrauchs. Gianni Operto, Präsident der AEE SUISSE, erläutert, was die gängigen falschen Annahmen bezüglich der erneuerbaren Energien sind. Der Ingenieur verrät, wie weit die Technik fortgeschritten ist und sieht eine Zukunft vor sich, in der fossile und nukleare Energie ausgedient haben.

Sie sind Präsident der AEE SUISSE. Was ist die AEE Suisse?

Die AEE SUISSE ist das Äquivalent zur Swissmem für die Branche der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz. Wir sind ein Dachverband von 22 einschlägigen Fachverbänden wie swissolar oder Holzenergie und von verschiedenen grossen Einzelmitgliedern, wie zum Beispiel die BKW. Insgesamt sind etwa 15 000 Unternehmen bei uns organisiert.

Was ist der Zweck des Dachverbands?

Wir sind darauf bedacht, dass unsere Mitglieder unter konstruktiven Rahmenbedingungen ihrem Geschäft nachgehen können. Dazu gehört, dass wir die Entscheidungsträger und die Öffentlichkeit informieren, Veranstaltungen organisieren und Publikationen herausgeben.

Sind die Entscheidungsträger offen für Ihre Anliegen?

Die Politiker sind sehr interessiert, vor allem, weil wir die Sicht der Wirtschaft vertreten, während wir gleichzeitig für eine Verbesserung der Umwelt arbeiten. Nachhaltig bedeutet ja, dass etwas ökologisch, sozial und wirtschaftlich ist. Meist wird die Wirtschaftlichkeit vernachlässigt. Unsere Veranstaltungen werden regelmässig von Vertretern aller Parteien besucht.

Welche zählen zu den erneuerbaren Energien?

In der Schweiz hat die Wasserkraft einen wichtigen Stellenwert. Sie wird oft ausgeblendet, weil sie praktisch ausgeschöpft ist. Man kann höchstens noch die Speicherkapazitäten der Werke steigern. Die Kleinwasserkraft hat zwar noch wichtiges Potenzial, doch das löst nicht unser Energieproblem.

Und die anderen erneuerbaren Energien?

Grosses Potenzial in der Schweiz hat die Solarenergie. Ausserdem gibt es die Windenergie, Biomasse, Geothermie und auch – nicht zu vergessen – die Energieeffizienz, also die Energie, die wir gar nicht erst verbrauchen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Von 1950 bis 2010 ist der Heizenergieverbrauch pro Gebäudequadratmeter in der Schweiz um 84 Prozent gesunken. Hätte man das damals verlangt, hätte es einen Aufschrei gegeben. Doch die Einsparungen ergaben sich quasi als Nebenprodukt von technischen Weiterentwicklungen wie besserer Isolation der Gebäude, neuer Kessel- und Brennertechnik, intelligente Steuerungssysteme.

Wer heute behauptet, erneuerbare Energien seien teurer als konventionelle, ist kein guter Ökonom. Gianni Operto

Erneuerbare Energien haben den Ruf, teuer zu sein. Ist der Schweizer Bürger genügend sensibilisiert für das Thema?

Das ist eine Mär. Wer heute behauptet, erneuerbare Energien seien teurer als konventionelle, ist kein guter Ökonom. Wer die Vollkostenrechnung macht, also Investitions- und Betriebskosten rechnet, wird schnell feststellen, wie günstig erneuerbare Energien geworden sind. Die Kostenentwicklung bei der Solarenergie steht stellvertretend für die grossen Fortschritte bei den erneuerbaren Energien.

Woher kommt denn das Preisdenken?

Das Problem kommt eigentlich von der herkömmlichen Elektrizitätsbranche, die lange nur damit Werbung machten, dass man zu ihnen kommen soll, weil sie die billigsten seien.

Wie könnte man es anders machen?

Ich habe 1997 in meiner Zeit als CEO bei den EWZ den Europäischen Solarpreis gewonnen, weil wir das beste Marketingkonzept für erneuerbare Energien hatten. Wir haben den Menschen Emotionen vermittelt. Und obwohl sie damals fast das Zehnfache für den Strom zahlten verglichen zum herkömmlichen Strom, waren sie happy, denn wir haben ihnen einen Wert vermittelt. Kaufentscheide werden nicht nur rational gefällt. Wir haben gute Gefühle erzeugt. So steigt die Zahlungsbereitschaft.

Sind Sie sicher?

Das EWZ hat in den 90er Jahren eine Umfrage gemacht und gefragt, woher die Leute ihren Strom beziehen wollen. Während in den Abstimmungen zu Nuklearfragen die Resultate immer sehr knapp 50/50 waren, sagten bei so einer Blindbefragung nur 2 bis 3 Prozent, dass sie Atomstrom wollen. Das heisst, dass 47 Prozent der Leute Atomstrom als notwendiges Übel anschauen. Und deshalb braucht es Aufklärung. Erneuerbare erscheinen nur noch deshalb teurer, weil andere Energiequellen nicht alle Kosten selber tragen müssen. Trotzdem sind viele Schweizer bereit, für ein gutes Produkt einen angemessenen Preis zu bezahlen.

Was sind die Chancen der Schweiz in Bezug auf erneuerbare Energien?

Die Lösung liegt in der Kombination verschiedener Energiequellen, auch im Zusammenhang mit der Risikominimierung, denn die Energie muss nicht nur ökologisch und wirtschaftlich sein, sondern auch zuverlässig. Die Solartechnik wird in der Schweiz einen grossen Beitrag leisten. Es gäbe viele Brachflächen, die für Photovoltaik-Anlagen genützt werden können, zum Beispiel der Rangierbahnhof Limmattal. Wenn herkömmliche Stromproduzenten hier nicht aktiv werden, wird es die Privatwirtschaft tun.

Das verändert den Markt.

Ja, die Stromproduzenten müssen sich den neuen Möglichkeiten am Markt stellen. Die Stromproduktion dezentralisiert sich und findet in Kleinsteinheiten statt. Statt einfach Kilowattstunden zu verkaufen, sollten sie in Zukunft auf den Kunden zugehen und ihm Energiedienstleistungen anbieten, damit er auch Kunde bleibt. Zürich, Basel und Genf haben das früh begriffen, fortschrittliche Werke wie BKW und EKZ sind ihnen hart auf den Fersen.

Wie sieht es mit dem Potenzial der Windkraft aus?

Die Windkraft hat zwei Probleme: Die Windturbinen fallen auf. Ausserdem machen die herkömmlichen Turbinenschaufeln beim Vorbeikommen am Masten Lärm. Doch hierzu gibt es mittlerweile neuste Entwicklungen, die geräuschlose Schaufeln hervorgebracht haben, die ausserdem einen besseren Wirkungsgrad vorweisen. Hier muss man noch etwas an der Wirtschaftlichkeit arbeiten

Und wie ist das erste Problem zu lösen?

Dass die Turbinen in der Natur auffallen ist wohl so. Aber wir sind auch an Hochspannungsleitungen und weit sichtbare Antennen gewöhnt. Die Dampffahnen der Kühltürme sind ja auch keine Dekoration.

Was sind die Risiken der Schweiz in Bezug auf erneuerbare Energien?

Das grösste Risiko ist die im Detail noch unsichere regulatorische Situation, die sich zwar mit der Energiestrategie 2050 für den Moment stark verbessert hat, die aber zentrale Fragen weiter offenlässt. Denn diese Unsicherheit führt dazu, dass neue Anlagen nicht finanziert werden. Investoren müssen ihre Rendite auf 10 bis 15 Jahre rechnen können. Es ist noch nicht klar, wie viel freien Markt wir haben werden.

Anfangsfinanzierung von Anlagen ersetzt. Genügt das den Investoren nicht?

Das ist vor allem für die Privaten interessant, die eine Photovoltaik-Anlage für ihr Eigen- heim installieren wollen. Doch für Investoren war die Einspeisevergütung natürlich praktischer, weil sie für 20 Jahre einen garantierten Preis kalkulieren konnten. Dieser ist in den letzten Jahren stark zurückgefahren worden, weil die Technologie grosse Fortschritte gemacht hat.

Gibt es noch mehr regulatorische Risiken?

Es wird zum Beispiel diskutiert, ob diejenigen, die ihren eigenen Strom produzieren und am Netz angeschlossen sind, eine Abgabe bezahlen müssen für den selber verbrauchten Strom. Weil die Stromproduzenten die Lieferbereitschaft für den Fall der Fälle aufrecht erhalten müssen. Für genau solche Diskussionen ist es eben nötig, dass sich alle Beteiligten zusammensetzen und über ein zukunftsfähiges Netzvergütungssystem reden.

Technische Risiken halte ich für ausgeschlossen. Gianni Operto

Welche anderen Risiken sehen Sie?

Technische Risiken halte ich für ausgeschlossen. Höchstens bei der Geothermie könnte es da noch Probleme geben. Darum habe ich auch darauf gedrängt, dass die ETH einen Lehrstuhl dazu einrichtet und mich gefreut, dass sie mit Martin O. Saar einen international renommierten Problemlöser gefunden haben. Ausserdem gibt es ein ökonomisches Risiko, nämlich, dass die Nachfrage bei der Energie sehr unelastisch ist, so dass der Preis stark schwanken kann. Das macht den Politikern mehr Angst, als den Investoren. Man will zwar freien Markt, aber keine Preisausschläge.

Dass erneuerbare Energie teilweise nicht regelbar ist, ist für die Politik ein Problem. Gianni Operto

Was halten Sie von der Vision, die ganze Welt – oder die Schweiz? – mit erneuerbarer Energie zu versorgen?

Technisch wäre das bereits möglich. Die solare Einstrahlung liefert ja ein Millionenfaches des Weltenergieverbrauchs. Es gibt auch einige Studien darüber, dass die Schweiz technisch gesehen schon zu 100 Prozent mit erneuerbaren Energien versorgt werden könnte.

Doch dass diese Energie teilweise nicht regelbar ist, ist für die Politik ein Problem. Auch hier braucht es Öffentlichkeitsarbeit. Denn die Technik hat hier viele Lösungen parat.

Inwiefern?

Ein Thema ist zum Beispiel immer, dass Solarenergie im Winter, wenn man Energie braucht, viel weniger Energie liefert als im Sommer, wenn man viel weniger brauche. Das stimmt so nicht. Zürich, Genf und Basel hat der Stromverbrauch im Sommer den Winter längst überholt, weil man schlechte elektrische Heizungen verboten hat und allgemein Wärme durch Elektrizität streng geregelt hat. Das ist ein Trend in vielen Städten. Je nach Strombedarf werden heute Solaranlagen anders ausgerichtet, um die Energie dann zu produzieren, wenn man sie benötigt.

Weshalb wird denn noch nicht die gesamte Energie mit erneuerbarer Energie bereitgestellt?

Es braucht ein Umdenken, deshalb organisieren wir zum Beispiel im März einen
Kongress, der unter dem Thema «Vertrauen» steht. Bauherren müssen zur Kenntnis nehmen, dass effiziente, erneuerbare Energien nicht einfach nur teurer sind. Sondern, wenn man richtig rechnet, zu 90 Prozent günstiger. Klar: Verschiedene Lösungen sind unterschiedlich wirtschaftlich.

Müssten erneuerbare Energien mehr gefördert werden?

Eigentlich brauchen erneuerbare Energien gar keine Förderung. Wenn alle anderen Energien auch keine indirekte und direkte Förderung erfahren würden. Nehmen wir zum Beispiel die Nuklearenergie. Atomkraftwerke müssen eine Haftpflichtversicherung für mögliche Schäden abschliessen. Nach Fukushima wurde klar: Die direkten Kosten eines solchen Unfalls wären zwischen 500 Milliarden und mehreren Trilliarden Franken. Die Kraftwerke müssen aber nur 1 Prozent dieser Summe versichern, für den Rest käme der Bund auf. Das ist eine massive indirekte Förderung.

Über Gianni Operto

Anfang der 1960er Jahre informiert sich ein junger Gianni Operto als Mitglied des Veloklubs Zurzach über die Vorteile der Nuklearenergie auf der Baustelle des Atomkraftwerks Beznau. «Seither wusste ich, wo ich beruflich hinwill», erinnert sich der 63-Jährige. Der Ingenieur ist unter anderem Verwaltungsratspräsident der greenTEG AG und Beirat bei Caterva GmbH, NexWafe GmbH, ProCom GmbH und Lenkungsausschussmitglied von Swiss Competence Center for Energy Research. Der ehemalige Direktor des EWZ wurde im April 2016 zum neuen Präsidenten der AEE SUISSE gewählt. «Seit 25 Jahren bin ich Promotor von neuen Energie-Techniken. Ich musste nicht lange nachdenken, als ich für die AEE SUISSE angefragt wurde».

Ein Editorial von Gianni Operto über die Energiewende finden Sie hier.

Über die AEE SUISSE

Die AEE SUISSE vertritt als Dachorganisation der Wirtschaft für erneuerbare Energien und Energieeffizienz die Interessen von 22 Branchenverbänden und deren rund 15’000 Mitgliedern, der Unternehmungen und der Energieanbieter aus den Bereichen erneuerbare Energien und Energieeffizienz. Ihr Ziel ist es, die Öffentlichkeit und Entscheidungsträger zu informieren, für eine nachhaltige Energiepolitik zu sensibilisieren und sich aktiv an der Gestaltung der wirtschaftlichen und energiepolitischen Rahmenbedingungen auf nationaler und über die Partnerorganisationen NEUE ENERGIE auf regionaler Ebene zu beteiligen. www.aeesuisse.ch

Interview: Natalie Ehrenzweig

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Vorheriger Artikel Wird der Fachkräftemangel zur Innovationsbremse?
Nächster Artikel Das Pariser Klimaabkommen und die Schweizer Wirtschaft