rainer maria salzgeber rainer maria salzgeber: «ich habe mein herz nicht an einen fussballclub verloren»
Kultur Lifestyle Bildung Gesundheit Men Sport Interview

Rainer Maria Salzgeber: «Ich habe mein Herz nicht an einen Fussballclub verloren»

01.06.2018
von Remo Buergi

Zum Zeitpunkt des Gesprächs hat in Russland die Fussball-Weltmeisterschaft 2018 gerade begonnen. Für Fans rund um den Globus ist die Endrunde das absolute Highlight des Sommers – auch für Rainer Maria Salzgeber.

Rainer Maria Salzgeber, die Fussball-WM hat endlich begonnen. Worauf freuen Sie sich am meisten?

Ehrlich gesagt ist meine Gefühlslage eine Mischung aus grosser Vorfreude auf den Fussball in den Stadien und einer Ungewissheit in Bezug auf alles, was wir ausserhalb dieser Stadien erleben werden. Russland als Land ist für uns ja bereits eine recht fremde Welt. Dazu kommt der Standort in der total unbekannten Stadt Toljatti, wo die Schweizer Nationalmannschaft logiert. Trotz dieser Unwägbarkeiten werden wir täglich von dort berichten und dann jeweils an die drei Spielorte der Gruppenphase reisen. Ich übernehme in den Stadien die Moderation der Nati-Spiele, worauf ich mich schon seit Langem freue. Ich erwarte natürlich, dass mindestens noch ein weiteres Spiel dazukommt.

Sie sprechen es an: Alles andere als das Erreichen des Achtelfinals wäre eine Enttäuschung. Was können wir von der Schweizer Nati an der WM erwarten?

Man sagt ja immer, dass dies nun die Generation sei, die endlich den nächsten Schritt machen könne – zum Beispiel durch das Erreichen des Viertelfinals. Das entspricht auch dem Selbstverständnis der Spieler. Doch um in Russland so weit zu kommen, muss die Nati wohl entweder Brasilien oder Deutschland bezwingen. Eine Herkules-Aufgabe, obwohl die Schweiz meiner Meinung nach tatsächlich mit einer starken Equipe antreten wird.

Im ersten Gruppenspiel muss die Schweiz morgen gleich gegen Brasilien ran. Vor acht Jahren war die Ausgangslage ähnlich. Nach dem sensationellen Sieg gegen Spanien im Auftaktspiel schied die Schweiz allerdings sang- und klanglos aus. Droht dies auch in Russland?

Nein, glaube ich nicht. Die Schweizer Mannschaft hat viele Spieler, die in Topteams spielen und solche Drucksituationen gewohnt sind. Falls die Schweiz Brasilien schlagen würde, könnte unsere Nationalmannschaft damit umgehen. Die Mannschaft ist heute reifer, gefestigter. Das spürt man, wenn man mit dem Team zu tun hat: Trainer Vladimir Petkovic hat eine echte Einheit geformt. Das ist auf diesem Level extrem wichtig. Solidarität, Kameradschaft, Teamgeist – diese zentralen Tugenden stimmen bei unserer Nationalmannschaft.

Welche Nationen zählen Sie denn zu den Favoriten auf den Weltmeistertitel?

Die üblichen Verdächtigen: Spanien, Frankreich, Deutschland. Die Südamerikaner sicherlich auch, insbesondere Brasilien. Eine Überraschungsmannschaft würde dem Wettbewerb guttun, doch eine solche Equipe sehe ich ehrlich gesagt nicht. Am ehesten vielleicht die Engländer… aber ich bin mir nicht sicher, ob sie nicht doch wieder versagen, wenn es darauf ankommt.

Ihr Tipp: Wer holt den Titel?

Das ist heute wirklich schwer abschätzbar. Einzelne Spieler können sich noch verletzen oder ihre Form verlieren, andere noch richtig aufdrehen bis zur WM. Ich denke, dass es eine europäische Nation sein wird, die den Titel holt – darauf lege ich mich fest. Im Hinblick auf das Spielermaterial schätze ich die Franzosen sehr stark ein. Sie müssen es allerdings schaffen, aus dem riesigen individuellen Potenzial eine funktionierende Gemeinschaft zu bilden. Das gilt natürlich ebenso für die anderen Mannschaften.

Trainer Vladimir Petkovic hat eine echte Einheit geformt. Rainer Maria Salzgeber

Können Sie eigentlich eine WM auch als Fussballfan geniessen oder schauen Sie die Spiele automatisch durch die professionelle Brille des Moderators?

Die Sportreporter-Brille trage ich immer, ich kann sie in der Tat kaum absetzen. Aber glücklicherweise habe ich mein Hobby zum Beruf machen können. Ich unterscheide nicht bewusst zwischen Arbeit und Freizeit. Heute Morgen habe ich zum Beispiel ein Fussballmagazin gelesen. War das nun Teil meines Jobs? Oder nur aus Interesse, als Hobby? Wahrscheinlich beides zugleich, und das ist letztlich ein unbezahlbares Privileg.

Aber schränkt Sie diese fehlende Abgrenzung nicht manchmal ein? Können Sie während eines Fussballspiels so richtig mitfiebern und emotional sein?

Ich habe mein Herz nicht an einen Fussballclub verloren. Das macht mein Leben als Sportjournalist einfacher, mein Leben als Fan dagegen ärmer. Ich bin tatsächlich nicht der Typ, der nach einem Sieg eines Teams himmelhoch jauchzend und nach einer Niederlage zu Tode betrübt ist. In meiner Kindheit war das anders: Mein Idol war Erich Burgener, der aus demselben Dorf stammt wie ich. Damals habe ich jeweils den Verein unterstützt, bei dem er gerade gespielt hat.

Beim Moderieren während einer WM-Endrunde verspüren Sie aber schon ein spezielles «WM-Feeling»?

Klar, auf jeden Fall. Während einer Weltmeisterschaft gibt es ja 30 Tage lang fast kein anderes Thema. Und ich beschäftige mich sehr aktiv damit: Von 64 Spielen während einer Endrunde schaue ich mir bestimmt 60 an, wenn es irgendwie möglich ist. Da entsteht ein solches Feeling von selbst – und das muss es auch. Wer als Sportjournalist während einer WM nicht in einen «Flow» kommt, hat den falschen Job gewählt. Ein gutes Feeling braucht es ausserdem zwischen Ihnen und den Studio-Experten. Mit wem moderieren Sie während der WM in Russland? Bei mir im Stadion wird bei den Spielen der Schweizer Nationalmannschaft jeweils Beni Huggel als Experte im Einsatz stehen. Wenn die Nati spielt, benötigen wir einen Fachmann wie ihn, der vor allem den sportlichen Aspekt beurteilt. Bei anderen Partien ist das nicht zwingend der Fall, da kann und muss der Studiogast etwas über Land und Leute erzählen. Ratinho beispielsweise wird bei den Spielen der Brasilianer im Studio in Zürich sein und uns dabei sowohl den Fussball als auch die Kultur der Brasilianer näherbringen.

Nach dem Final am 15. Juli hat es sich ausmoderiert, dann steht der neue Weltmeister fest. Haben Sie anschliessend Zeit für Sommerferien mit der Familie?

Ja, nach der WM fahren wir direkt für zwei Wochen in die Ferien. Grundsätzlich zieht es uns eher in die Berge, vor allem Zermatt hat es uns angetan. Diesen Sommer allerdings sind wir am Meer unterwegs. Wir fahren mit dem Auto nach Bari und setzen mit der Fähre nach Albanien über. Anschliessend geht’s der Adriaküste entlang durch Kroatien, wo wir Bekannte besuchen. Später weiter bis nach Venedig und dann zurück in die Schweiz. Die Küste der Adria wollen wir unbedingt kennenlernen, alle schwärmen ja von ihrer Schönheit.

Ich bin ein typischer «Radio-Zapper», habe sieben oder acht Radiosender programmiert und höre querbeet alle Musikrichtungen.

Rainer Maria Salzgeber

Wo reisen Sie sonst hin, wenn Sie mal Zeit haben?

Im Frühling habe ich beispielsweise mit meinem Sohn und meinem Vater einen speziellen Drei-Generationen-Trip nach England gemacht – ganz im Zeichen des Fussballs natürlich. Southampton-Chelsea, Tottenham-ManCity und Newcastle-Arsenal: Drei Spiele innerhalb von dreissig Stunden. Mit Sohn und Vater gemeinsam etwas zu unternehmen und diese attraktiven Fussballspiele anzuschauen, das war echt geil!

Sie gelten auch als Musikliebhaber. Trifft man Sie diesen Sommer an einem der vielen Festivals?

Die grossen Open Airs sind nicht so meine Sache, ich ziehe kleinere Events vor. Am «Zermatt Unplugged» bin ich eigentlich immer dabei, dieses Jahr hat es leider terminlich nicht geklappt. Ich mag das «Retro Festival» in Luzern: Da spielen Bands, die ich noch aus meiner Jugend kenne und gerne höre. Darüber hinaus habe ich manchmal beruflich mit der Musik zu tun, vor kurzem habe ich beispielsweise ein Konzert der Bürgermusik Luzern im KKL moderiert. Da ich früher Klarinette in der Militärmusik gespielt hatte, konnte ich beim Konzert am Schluss selber noch mitspielen. Ein tolles Erlebnis.

Blasmusik mögen Sie also. Was hören Sie sonst noch?

Alles, wirklich alles. Ich bin ein typischer «Radio-Zapper», habe sieben oder acht Radiosender programmiert und höre querbeet alle Musikrichtungen. Daneben gibt es natürlich schon einige Klassiker, die ich besonders mag. Songs von Yes, Dire Straits oder Queen höre ich mir immer wieder gerne an. Meine musikalische Prägung habe ich unter anderem in einem bekannten Plattenladen in Brig erhalten, dessen charismatischer Besitzer mir immer die besten Platten empfohlen hat. Ich habe dort als Jugendlicher einen Grossteil meiner Freizeit verbracht.

Apropos Wallis: In Ihrer Heimat sind die Sommer heiss und trocken. Gefällt Ihnen Zürich diesbezüglich besser mit dem See und der Limmat?

Da ich nicht am Wasser aufgewachsen bin, habe ich nicht den gleichen Bezug zum See wie ein Zürcher. Den Bergen fühle ich mich stärker verbunden. Das geht wohl fast nicht anders, wenn man im Wallis gross wird. Ich schätze die urbane Welt hier im Raum Zürich aber ebenfalls sehr. Die Möglichkeiten sind wirklich einzigartig. Ich kenne keine andere Stadt weltweit, die eine solche Lebensqualität bietet: See, Berge, Kultur, Kulinarisches, Sehenswürdigkeiten, ÖV, Flughafen. Und das alles auf einer verhältnismässig kleinen Fläche und schnell zu erreichen. Grandios!

Bereits als Jüngling im Wallis habe ich auffällige Farben bevorzugt. Rainer Maria Salzgeber

Zum Abschluss eine sehr persönliche Frage: Haben Sie sich schon ein knalliges Outfit für den WM-Final überlegt?

Nein, so weit bin ich noch nicht mit der Planung (lacht). Ich war übrigens früher schon bekannt für meine Kleidung: Bereits als Jüngling im Wallis habe ich auffällige Farben bevorzugt. Als Moderator habe ich das als bewusstes Stilmittel beibehalten.

Hand aufs Herz – wofür schlägt es?

Matterhorn oder Üetliberg?
Also bitte! Man kann das Matterhorn doch nicht mit diesem Hügel vergleichen. Matterhorn, ganz klar.

Fendant oder Bier?
Fendant. Ich ziehe Wein dem Bier vor, es muss aber kein Weisser sein.

Hawaii-Hemd oder Polo-Shirt?
Polo-Shirt mit Hawaii-Hosen (lacht).

Constantin oder Canepa?
Ich kenne CC gut und weiss, wie er tickt. Constantin, auch herkunftsbedingt.

Russland oder Katar?
Russland fasziniert mich eindeutig mehr. Wegen der  wechselvollen Geschichte des Landes und der Kultur, aber auch aufgrund der Nationalhymne. Für mich die schönste und traurigste Hymne zugleich.

Text: Remo Bürgi

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Vorheriger Artikel Fabian Unteregger: «Das Dümmste ist, nichts zu machen»
Nächster Artikel Zuerst die Arbeit und dann?