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Dorit Djelid: «Ist ein Patient unsicher, kann er auch die Meinung eines zweiten Arztes einholen»

23.07.2018
von Miriam Dibsdale

Das Schweizer Gesundheitswesen steht im internationalen Vergleich ganz weit oben. Trotz guten Dienstleistungen ist die eigene Abklärung über Behandlungsmöglichkeiten an Schweizer Spitälern essenziell. Das Interview mit Dorit Djelid, Direktorin a.i. vom Verband «H+ Die Spitäler der Schweiz» enthüllt Vorgehensweisen, wichtige Aspekte und Möglichkeiten, welche das Gesundheitswesen heute und morgen für uns bereithält.

Dorit Djelid, stellen wir uns folgendes Szenario vor: Ich stehe am Morgen auf und habe plötzlich Schmerzen im rechten Knie. Der Hausarzt überweist mich dann, falls nötig, an einen Fachexperten. Die meisten hinterfragen die Entscheidung nicht. Hat man überhaupt ein Mitspracherecht?

Selbstverständlich haben die Patientinnen und Patienten ein Mitspracherecht. Die meisten sind aber sehr froh um die Beratung und Empfehlung ihres Hausarztes und verlassen sich auf diese Meinung. Wir sind ja auch froh, wenn sich der Elektriker um ein Stromproblem in unserem Haushalt oder der Automechatroniker um den Autodefekt kümmert.

Welche Folgen kann es haben, wenn sich ein Patient im Voraus nicht über bestimmte Spitäler oder Angebote informiert?

In der Schweiz müssen alle Spitäler von den Kantonen zugelassen werden und das medizinische Fachpersonal wird nach nationalen Vorgaben sehr gut ausgebildet. Das ist wichtig und richtig so. Gesundheitsleistungen basieren auf Vertrauen und wir müssen davon ausgehen können, dass ein zugelassenes Spital oder ein Arzt die bestmögliche Behandlung für uns erbringt. Wenn wir in Kloten in ein Flugzeug steigen, müssen wir ja auch nicht vorgängig abklären, ob der Pilot wirklich fliegen kann und ob das Flugzeug flugfähig ist.

Wichtig aber ist, dass sich ein Patient der Erfolgsaussichten und Risiken der möglichen Behandlungen bewusst ist. Damit kann er das Behandlungsergebnis besser einschätzen und Missverständnisse oder falsche Erwartungen werden vermieden. Besonders bei schwierigeren Eingriffen ist es sicher sinnvoll, wenn man sich eine zweite Fachmeinung einholt oder sich selber Informationen beschafft und Fragen stellt zu den Vor- und Nachteilen verschiedener Behandlungsmöglichkeiten. Für den Therapieerfolg ist es wichtig, dass auch die betroffene Person von der Art und dem Ort der Behandlung überzeugt ist.

Besonders bei schwierigeren Eingriffen ist es sicher sinnvoll, wenn man sich eine zweite Fachmeinung einholt oder sich selber Informationen beschafft. Dorit Djelid

Wie gehen Sie persönlich vor, wenn Sie ein medizinisches Problem haben?

Ich versuche gesund zu bleiben und mich bei der Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen zurückzuhalten. Bei niederschwelligen Problemen, z.B. einer Erkältung mit Fieber oder nach einem Misstritt beim Joggen warte ich jeweils zwei bis drei Tage ab. In der Regel geht es mir rasch wieder besser. Falls Fieber oder starke Schmerzen bleiben, gehe ich zu meiner Hausärztin.

Bei einem plötzlichen, lebensbedrohlichen Ereignis würde natürlich auch ich umgehend den ärztlichen Notfalldienst, den Rettungsdienst oder den Spitalnotfall beanspruchen. Zum Glück blieb ich aber davor bisher verschont.

Auf welchem Weg können sich Patienten am besten über die Spitäler, das medizinische Angebot und die Qualität verschiedener Institutionen informieren?

Es ist und bleibt sicher sinnvoll, wenn man sich mit seinem behandelnden Arzt austauscht, ob Hausarzt oder Spezialist. Der eigene Arzt kennt die Bedürfnisse seiner Patienten und hat Erfahrungen mit zahlreichen Spitälern und Kliniken. Er kann deshalb gute, bedürfnisgerechte Empfehlungen machen.

Ist ein Patient unsicher, kann er auch die Meinung eines zweiten Arztes einholen. Zudem können Patienten auf www.spitalinfo.ch nach bestimmten Spitaltypen oder medizinischen Behandlungen suchen und so die für ihre Bedürfnisse geeignete Klinik oder Spitäler finden.

Ist ein Patient unsicher, kann er auch die Meinung eines zweiten Arztes einholen. Dorit Djelid

Vermehrt werden Patientenmeinungen ins Internet gestellt. Welches Potenzial sehen Sie in der Digitalisierung, wenn es um den Fortschritt im Gesundheitswesen geht? Gibt es Risiken?

Wie bei anderen Bewertungsportalen ist es wichtig, dass man den Nutzen und die Grenzen der Meinungen realistisch einschätzt. Eine Meinung hängt immer davon ab, ob die vorgängigen Erwartungen erfüllt werden oder nicht. In den Patientenzufriedenheitsumfragen zeigt sich zum Beispiel, dass Patienten aus ländlichen Regionen im Schnitt zufriedener sind als solche aus den Städten.

Frei zugängliche Bewertungsportale sind zudem anfällig auf Missbräuche. So gibt es beispielsweise professionelle Agenturen, die für Hotels oder Restaurants deren Bewertungen gegen Bezahlung «verbessern».

Auch Online-Ärzte bieten ihre Expertise bei Gesundheitsfragen an. Wie geeignet sind solche digitale Fachleute?

Die Online-Möglichkeiten bieten in der Medizin wie in allen anderen Lebensbereichen viele Chancen und gute Ergänzungen zum Offline-Angebot, aber auch Risiken und können den Nutzer solcher Angebote verunsichern. Wenn man sich für eine bestimmte Krankheit und deren Behandlungsmöglichkeiten sehr interessiert, ist zum Beispiel die Cochrane Library auf www.swiss.cochrane. org ein tolles Angebot. Diese Website steht allen Schweizerinnen und Schweizern gratis zur Verfügung. Wenn sich jemand unsicher fühlt, ist jedoch das direkte Gespräch mit dem behandelnden Arzt sehr nützlich und hilfreich.

Gibt es bestimmte Krankheiten, bei denen der Vergleich von Spitälern oder Angeboten besonders wichtig ist?

Bei schweren oder planbaren Eingriffen ist es sinnvoll, wenn die Patienten sich über die Behandlungsmöglichkeiten und deren Vor- und Nachteile gut informieren. Ich persönlich würde beispielsweise bei Rückenproblemen oder einer Verletzung am Knie gut abklären, ob für mich eine Operation oder eine Behandlung z.B. mit Physiotherapie sinnvoller ist. Auch in der Medizin kann weniger manchmal mehr sein.

Was sind Ihrer Meinung nach die grössten Herausforderungen im Schweizer Gesundheitswesen?

Das Schweizer Gesundheitswesen ist international bezüglich Qualität und Zugang top aufgestellt. Das hat letztes Jahr eine gross angelegte Auswertung der renommierten Wissenschaftszeitschrift «Lancet» ergeben, in der die Schweiz auf Rang 3 von 195 untersuchten Ländern zu finden ist, hinter Andorra und Island. Ich bedaure es deshalb, dass man in der politischen Diskussion dauernd von angeblich grossen Problemen oder gar von «das System wird an die Wand gefahren» spricht. Das ist meines Erachtens unangebrachte Schwarzmalerei und hilft niemandem weiter.

Natürlich gibt es Herausforderungen. Die Wichtigste ist, dass wir auch künftig genug Gesundheitspersonal haben. Die grosse Generation der Babyboomer wird nun pensioniert und vermehrt medizinische Leistungen beanspruchen. Gleichzeitig haben wir eine kleine Generation von unter 20-Jährigen, die in die Arbeitswelt einsteigen. Die Gesundheitsausgaben werden deshalb weiterhin zunehmen, auch bedingt durch die neuen medizinischen Behandlungsmöglichkeiten. Es ist sehr wichtig, dass wir diese Behandlungen so effizient wie möglich erbringen. Zudem müssen wir dafür sorgen, dass für alle Bevölkerungsschichten die Krankenkassenprämien tragbar bleiben.

Auch in der Medizin kann weniger manchmal mehr sein. Dorit Djelid

Was müsste sich ändern, um diese Herausforderungen meistern zu können?

Wir müssen uns als erstes fragen, welche allgemein zugänglichen Leistungen und Qualität die Bevölkerung und die Patienten wollen und wie diese Leistungen effizient erbracht und sozial verträglich finanziert werden können. Wenn zum Beispiel die Bevölkerung eine wohnortsnahe, rasch zugängliche Spitalversorgung wünscht, ist das in unserem direktdemokratischen System so zu akzeptieren und nicht dauernd zu beklagen.

Die schlechteste aller Lösungen wäre ein Globalbudget oder eine Kostensteuerung über das ganze Gesundheitssystem. Das hat sich noch nie in einem Land bewährt und führt zu einem schlechteren Zugang zur Versorgung und zu Leistungen, die sich nur noch der wohlhabendere Teil der Bevölkerung leisten kann. Zudem würden solche Kostensparübungen die jungen Leute entmutigen, einen Beruf im Gesundheitswesen zu erlernen, also genau das Gegenteil von dem was wir brauchen.

Ihr Verband «H+ Die Spitäler der Schweiz» versucht die Umstände in Spitälern und die Bedingungen für Fachpersonal und Patienten zu verbessern. Was konnte H+ bereits erreichen?

Es sind immer die Spitäler und Kliniken, welche die Bedingungen für die Patienten und für ihr Personal verbessern. Als nationaler Verband können wir aber dazu beitragen, dass unsere Mitglieder die dafür notwendigen Freiheiten und Mittel haben.

Zur Nachwuchssicherung sind wir seit 2005 gemeinsam mit anderen Branchenverbänden und den Kantonen zuständig, die Aus- und Weiterbildungen der Gesundheitsfachleute laufend den aktuellen Bedürfnissen anzupassen. Das gelingt meines Erachtens gut und ist sehr wichtig für eine weiterhin qualitativ hochstehende Gesundheitsversorgung.

Auch die Entschädigung der stationären Spitalleistungen mit den Fallpauschalen SwissDRG läuft mittlerweile routiniert ab. Es gelingt uns, gemeinsam mit den Versicherern und Kantonen, das System jährlich auf den neusten Stand zu bringen.

Sorgen bereiten uns die Tarife für ambulante Spitalleistungen. Dorit Djelid

SwissDRG war vor einigen Jahren eine grosse Kampagne. Was sind aktuelle Projekte, mit denen sich H+ beschäftigt?

In den Bereichen Qualität und Patientensicherheit sind unsere Mitglieder und wir dauernd bestrebt, sinnvolle Neuerungen umzusetzen, die Verbesserungen für die Patienten bringen. Das ist die Kernaufgabe der Spitäler und Kliniken.

Sorgen bereiten uns die Tarife für ambulante Spitalleistungen. Diese Leistungen werden immer wichtiger, seien es Notfallbehandlungen, ambulante Operationen oder ambulante Programme in der Psychiatrie und der Rehabilitation. Kompromisse mit den Versicherern sind sehr schwierig. Hinderlich dabei sind auch die heutigen gesetzlichen Rahmenbedingungen, die angepasst werden müssen.

Welche Entwicklungen kommen Ihrer Meinung nach in Zukunft auf die Gesundheitsbranche zu?

Drei Entwicklungen sind unumstösslich: die Veränderung der Demografie, die fortschreitende Digitalisierung und die medizinische Innovation. Die Spitäler und Kliniken brauchen auch künftig die Freiheiten und Ressourcen, um diese Entwicklungen zu meistern. Immer mehr bürokratische Anforderungen und gleichzeitig mehr Kostendruck sind hierfür hinderlich. Ich bin aber zuversichtlich, dass unsere Branche die Herausforderungen weiterhin meistert und unser Gesundheitssystem auch künftig einen internationalen Podestplatz innehat.

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