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Reisen

Overtourism: Wohin mit den Menschenmengen?

24.07.2018
von Juan Paulo Zenz

Hochglanz-Reisekataloge, Reiseblogs und Influencer auf Instagram inszenieren einsame Strände in der Karibik, menschenleere Mooslandschaften auf Island oder romantische Zweisamkeit in der Lagunenstadt Venedig. Die Szene vor Ort sieht wegen Overtourism jedoch meist anders aus: Menschenmassen, Gedränge und langes Anstehen bei Sehenswürdigkeiten überschatten das Reiseerlebnis.

«Overtourism» wirkt sich nicht nur direkt auf Destinationen, Sehenswürdigkeiten, lokale Infrastruktur und Anwohner aus, sondern auch auf die Reisenden selbst. Laut aktuellen Befunden des «World Travel Monitors» ist ein Viertel der rund 29’000 Befragten, aus 29 Nationen aus allen Teilen der Welt, der Meinung, dass ihre Reisedestination überlaufen war. Entgegen der gängigen Meinung findet gemäss World Travel Monitor Massentourismus nicht nur in Grossstädten statt. Etwa jeder zehnte Reisende beschrieb, dass die Qualität seiner Rundreise, Kreuzfahrt, Städtereise und seines Strandurlaubs unter Massentourismus litt und sich dies negativ auf sein Reiseerlebnis eingewirkt hätte. Besonders Skigebiete sind von Overtourism betroffen. Fast jeder fünfte internationale Reisende gab an, dass sein Wintersporturlaub zu lange Wartezeiten an Skiliften zur Folge hatte.

Die Kehrseite des Tourismus

Erneut sorgen populäre Reisedestinationen wie Venedig, Barcelona, und Amsterdam für negative Schlagzeilen in den Medien. Spanien, allen voran Barcelona, ist ein Paradebeispiel für eine Destination, die drastische Massnahmen gegen den Besucherandrang vornimmt. Hier hat die lokale Regierung einen Baustopp für neue Hotels erlassen. Die Einheimischen von Barcelona befürchten zudem, dass in der Folge der vielen Touristen der Preisindex kontinuierlich steigen wird. Auch in Venedig macht sich eine Abwehrhaltung in der Bevölkerung bemerkbar. Im Gegensatz zu den überdimensionalen Kreuzfahrtschiffen, die täglich tausende Besucher vorbeibringen, hat sich die Einwohnerzahl der Lagunenstadt in den letzten 60Jahren auf ein Drittel reduziert. Auf 55’000 Einheimische im Zentrum kommen täglich um die 80’000 Besucher dazu.

Es mangelt einerseits an Regulierung und andererseits werden lokale Stimmen kaum oder erst zu spät wahrgenommen.

Mit neuen Docks in der Peripherie Venedigs versuchen nun lokale Behörden die Menschenmengen zu regulieren. Bereits Kontingente eingeführt haben Regionen wie Cinque Terre mit 1,5 mio. Besucher pro Jahr, ebenso der Macchu Picchu und der Mount Everest. Die öffentliche Wahrnehmung des Massentourismus überschattet die volkswirtschaftlichen Vorteile für die Region. Doch wer ist schuld am Overtourism? Ist das Fliegen zu günstig geworden? Gibt es zu viele private  Ferienwohnungen für Kurzurlauber? Oder werden hauptsächlich Standardprodukte von der Reiseindustrie beworben? Eines steht jedoch fest. Es mangelt einerseits an Regulierung und andererseits werden lokale Stimmen kaum oder erst zu spät wahrgenommen. Und zwar erst nachdem sie sich in den Medien Gehör verschafft haben.

Verteilung über Jahr und Land

Die Folgen des Overtourism diskutieren Touristiker schon seit mehreren Jahren von an Fachtagungen. An der ITB in Berlin, eine der grössten Tourismusfachmessen, waren sich Experten einig: Der Ansatz zur Problemlösung liegt in der Entzerrung von Ballungszentren und der Verlängerung der Hauptsaison. Vororte sollen durch innovative Produkte rund um Themen rund um den nachhaltigen Tourismus bekannter gemacht werden und Akteure der Reiseindustrie und Gäste vermehrt zur Verantwortung gezogen werden.

Reiseveranstalter und Gaststätten müssen ihre Verantwortung stärker wahrnehmen.

Neben Sparten wie Strandferien und Städtetrips sollen auch Erlebnisreisen rund um Wandern verbunden mit Wein und Kulinarik die Produktepalette der Reiseindustrie ergänzen. Um Stammkunden von Wanderreisen stets von neuem zu begeistern, steht auch die Entdeckung neuer Destinationen im Vordergrund, welche auf Basis von eigenen Erfahrungen oder durch Kundenfeedback gefunden und von der Reiseleitung im Vorfeld getestet werden: «Anstelle von den bereits etablierten Destinationen wie Santorini und Kreta bevorzugen wir die griechischen Inseln Serifos. Sifnos oder Karpathos, ideale Reiseziele für Naturfreunde und Wanderer, fernab von grossen Touristenscharen», berichtet Hans Wiesner, Geschäftsführer des Aktivreiseveranstalters Imbach Reisen.

Kluft zwischen Gewissen und Handeln

Gemäss dem Marktforschungsunternehmen «Euromonitor International» sind Kostenersparnisse durch «nachhaltiges Reisen» relevant, damit es zu einem Umdenken bei Entscheidungsträgern kommt. Reiseunternehmen sollen dazu aufgefordert werden Innovation und Nachhaltigkeit aktiv in ihr Businessmodell zu integrieren. Um dadurch neue Reiseerlebnisse zu formen, die soziale, ethische sowie ökologische Faktoren einer Destination miteinbeziehen. Daneben müssen auch Reiseveranstalter und Gaststätten ihre Verantwortung stärker wahrnehmen und bessere Informationen zum Thema «Green Travel» für Gäste bereitstellen. Nur so können Gäste Verständnis zeigen und mittelfristig ihr Verhalten ändern. Jedoch gibt es oftmals eine grosse Diskrepanz zwischen dem was sich Reisende wünschen und ihrem tatsächlichen Handeln. Luxushotels tun sich beispielsweise schwer einen verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen zu etablieren, da ihre Gäste relativ hohe Beträge für ihren Aufenthalt ausgeben und dementsprechend auch mehr erwarten würden.

Obwohl die Ursachenbekämpfung des Overtourisms und die notwendigen Schritte für einen nachhaltigeren Tourismus immer klarer werden, scheitert es oft an der Umsetzung eines integrativen Massnahmenplans und vielfach bereits am Willen der Entscheidungsträger und der Reisenden.

Text: Juan Paulo Zenz

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