andreas meyer andreas meyer - technik ersetzt kein fachpersonal
Lifestyle Mobilität Interview

Andreas Meyer – Technik ersetzt kein Fachpersonal

14.11.2018
von Michelle Christen

Seit über 100 Jahren ist die SBB der Hauptakteur des öffentlichen Verkehrs in der Schweiz. Vom Bund beauftragt, das Rückgrat des ÖV-Systems zu sein, entwickelt sich die SBB im Sinne der Kundenbedürfnisse kontinuierlich weiter. CEO Andreas Meyer verrät im Interview mit «Fokus Mobilität», wie er das Bahngeschäft weiter verbessert und die nächsten Schritte Richtung Zukunft plant. 

Andreas Meyer, erinnern Sie sich an Ihre erste Zugfahrt?

Ja, sehr gut sogar – das war als ganz kleiner Junge mit der Sursee-Triengen-Bahn. In einer Dampflok auf Holzbänken fuhr ich von Sursee nach Triengen zu meinen Grosseltern. Meine Mutter hatte alle Hände voll zu tun, dafür zu sorgen, dass ich mit meiner Sonntagskleidung nicht alles anfasste. Dazumal waren die Loks noch nicht so sauber und die Finger waren schnell dreckig vom Russ.

Seit dieser Zeit hat sich viel verändert. Was hat die SBB momentan für Zukunfts-pläne?

Wir arbeiten konstant an Innovationen und modernisieren die Technologien. Ein aktuelles, konkretes Ziel von uns ist, die vorhandene Infrastruktur besser zu nutzen – darin steckt noch viel Potenzial. Der Plan ist, mit der bestehenden Infrastruktur 30 Prozent mehr Personen und Güter zu transportieren. Des Weiteren ist die Benutzerfreundlichkeit ein andauerndes Thema. Dabei ist unsere oberste Maxime, dass wir den öV einfacher machen, uns mit anderen Mobilitätsträgern vernetzen und die persönliche Bedienung trotz Digitalisierung nicht vergessen. Das übergeordnete Ziel ist, die Sicherheit, Pünktlichkeit und Qualität zu erhöhen und gleichzeitig das Preis-Leistungsverhältnis zu verbessern. Dazu machen wir am richtigen Ort Sparanstrengungen. Schliesslich ist der öffentliche Verkehr ein wichtiger Teil der Lebensqualität in der Schweiz und wird von vielen Menschen benutzt.

Haben Sie bezüglich der Optimierung der Benutzerfreundlichkeit schon konkrete Pläne?

Zurzeit arbeiten wir an einer Reisevorbereitung und Erfassung, wie es sie auf der ganzen Welt noch nicht gibt. Dabei wollen wir die verschiedenen Verkehrsträger wie Zug, Taxi oder Sharing-Angebote kombinieren. Wer beispielsweise einen Termin in einem digitalen Kalender einträgt, bekommt automatisch von seinem Mobilitätsdienstleister des Vertrauens einen Vorschlag, wie er zu seinem Ziel kommen könnte. Der Mobilitätsvorschlag ergibt sich aus den individuellen Präferenzen.

Wichtig zu wissen ist, dass der Zug nie komplett ohne technisches Fachpersonal fahren wird. Andreas Meyer

Sie wollen die Reise der Leute von A nach B organisieren. Was schwebt Ihnen vor?

Wir verfolgen mehrere Ideen, um das Reisen komfortabler zu machen. Mit der automatischen Reiseerfassung «Easy Ride» erleichtern wir den Zugang zur Mobilität. Den Markttest haben wir kürzlich gestartet. Weiter streben wir eine intelligente Integration von Car- und Ride-Sharing-Angeboten in der Tür-zu-Tür-Reisekette an. Am Schluss wird bequem über den SwissPass abgerechnet. Im Kundenservice wollen wir einen Schritt hin zu einer personalisierten Kundeninformation machen, welche zum Beispiel bei einem Störungsfall Alternativrouten vorschlägt.

Und wann werden die ersten Passagiere in einem selbstfahrenden Zug transportiert?

Wichtig zu wissen ist, dass der Zug nie komplett ohne technisches Fachpersonal fahren wird. Bereits seit vielen Jahren automatisieren wir laufend. Selbst wenn irgendwann rein theoretisch kein Personal mehr nötig wäre, werden Fachleute in der Lok sein. In einer ausserordentlichen Betriebslage ist es wichtig, dass ein Mensch und keine Maschine die Reisenden über die aktuelle Lage informiert. Wenn beispielsweise ein Zug länger als geplant anhalten muss, wollen die Passagiere zuverlässig informiert werden.

Wird es den Beruf Lokführer noch geben?

Ja, einfach mit veränderten Tätigkeiten. Der Beruf hat sich seit der ersten Lok bis heute verändert und er wird sich auch zukünftig weiterentwickeln. Ich kann mir vorstellen, dass der Lokführer in zehn Jahren in den Wagons bei den Passagieren ist und den Zug von dort aus mit einem Tablet steuert. Die Schweizerinnen und Schweizer weisen ein grosses Mobilitätsbedürfnis auf, was der Branche positive Zukunftsaussichten garantiert. Junge Menschen, die an diesem bewegenden Prozess teilhaben möchten, finden als Lokführer und Zugbegleiter spannende Tätigkeiten. Ausserdem tragen sie damit etwas Gutes für den Lebensstandard in der Schweiz bei und übernehmen grosse Verantwortung.

Muss der Lokführer der Zukunft andere Voraussetzungen mitbringen als der heutige?

Die kommende Generation der Zugführer muss sich für moderne Mobilität interessieren und technisch laufend weiterbilden. Die Technologien werden nicht nur moderner, sondern auch komplexer. Umso wichtiger ist es, dass die Lokführer die technischen Abläufe verstehen und in einem entscheidenden Fall eingreifen könnten. Wenn immer mehr Prozedere automatisiert sind und die Überwachungstätigkeiten zunehmen, ist ausreichendes Training an Simulatoren vonnöten.

Ich kann mir vorstellen, dass der Lokführer in zehn Jahren in den Wagons bei den Passagieren ist und den Zug von dort aus mit einem Tablet steuert. Andreas Meyer

Welches Transportmittel nutzen Sie privat am liebsten?

Grundsätzlich kombiniere ich die Verkehrsmittel. Ich bevorzuge es, mit dem Zug von A nach B zu reisen. Mir ist wichtig, dass ich die Reisezeit nutzen kann, insbesondere als Arbeitszeit. Wenn es Sinn macht und unkomplizierter ist, nutze ich mein Auto. Dies ist der Fall, wenn ich mit meinem gehbehinderten Vater unterwegs bin. Ich stelle mir mein Mobilitäts-Programm so zusammen, wie es gerade am besten passt.

Sind Sie jemals in einem Fernbus mitgefahren?

Selbstverständlich teste ich alle Mobilitätsträger. Ich fuhr beispielsweise mit dem Fernbus ans Oktoberfest und wieder zurück.

Und was halten Sie von den Transport-Dienstleistungen der Busunternehmungen?

Fernbusse sind eine sinnvolle Ergänzung in der Mobilitätskette der Schweiz. Wir arbeiten intensiv mit den Busunternehmen zusammen und tauschen uns gegenseitig aus. Für manche Strecken sind die Busse einfach bequemer, günstiger und daher unter Umständen eine gute Ergänzung zur Bahn, z.B. früh morgentliche Verbindungen zum Flughafen. Nichtsdestotrotz müssen für alle Mobilitätsträger die gleichen Regeln gelten, etwa punkto Sicherheitsstandards und Behindertengleichstellungsgesetz. Auch darf dem Preis-Dumping keine Chance gegeben werden. Grundsätzlich sind wir offen für Kooperationen und Partnerschaften mit allen soliden Mobilitätsträgern.

Welche Vorteile ziehen die ÖV-Benutzer daraus, dass die SBB ein Monopol ist?

Die SBB hat kein Monopol, wir haben Konzessionen, für die wir uns regelmässig bewerben. Auch haben wir den Auftrag vom Bund, die treibende Kraft des öffentlichen Verkehrs zu sein und das führen wir auch so aus. Der öffentliche Verkehr hat den gesetzlichen Auftrag, dass er gemeinsam für die Schweiz ein gutes Mobilitätsangebot zur Verfügung stellt. Es ist eine grosse Herausforderung, dass nicht jeder für sich etwas macht. Für die Benutzerfreundlichkeit ist es vorteilhaft, wenn für eine Reise nur ein Ticket erforderlich ist. Egal, ob die Reisenden mit dem Schiff, dem Postauto oder der Seilbahn unterwegs sind. Das Billet-System soll so anwenderfreundlich wie möglich sein und daran arbeitet die SBB.

Der öffentliche Verkehr in der Schweiz ist sicherlich einer der bestorganisierten.
Schauen Sie sich manchmal trotzdem Trends vom Ausland ab?

Das tun wir sogar regelmässig. In meiner Position ist Neugier und der Wille, lernen zu wollen, unabdingbar. Bemerkenswert sind etwa die japanischen Bahnen, die auch sehr integriert denken. Bei ihnen und weiteren Ländern haben wir Inspirierendes bezüglich den Bahnhofarealen gesehen und unsere Strategie darauf ausgerichtet. Vor Kurzem war ich mit einem Team in Tallinn, wo wir uns noch stärker zum Vorantreiben der «SwissID» motivieren liessen. Estland hat die digitale Identität bereits vor 15 Jahren eingeführt und geht somit als modernes Vorbild voraus. Das Land hat einen riesen Vorsprung bezüglich Digitalisierung, Erfassung sowie Nutzung von persönlichen Daten und gleichzeitig einen hohen Datenschutz.

Bald soll es in den Fernverkehrszügen Gratis-Internet geben. Weshalb setzen Sie nicht einfach auf WLAN?

Gute Telefon- und Datenverbindungen in und aus dem Zug sind für Kunden zentral. Seit Jahren rüsten wir unsere Züge mit 3G/4G-Signalverstärkern und in Zukunft auch mit laserperforierten Fensterscheiben für eine bessere Mobilfunkdurchlässigkeit aus. Wir haben inzwischen im europäischen Vergleich eine sehr gute Netzabdeckung, auf der Nord-Süd-Achse und in den Grenzregionen haben wir jedoch noch Schwachstellen. Wir arbeiten daran, auch hier die Verbindungsqualität in den nächsten Jahren zu verbessern. 2019 machen wir einen Technologietest mit Gratis-Internet im Zug. Das Netz basiert auf der guten Mobilfunkversorgung und bietet daher eine bessere Qualität als WLAN.

In meiner Position ist Neugier und der Wille, lernen zu wollen, unabdingbar. Andreas Meyer

Auf was können sich zukünftige Nutzer der «SwissID» freuen?

Die digitale Identität SwissID ermöglicht mit einem einzigen Login einen sicheren Zugang zu diversen Onlineservices. Wir planen derzeit die Einführung für die SwissPass-Kunden in 2019. Dabei ist die vollumfängliche Einhaltung der Datenschutzbestimmungen das oberste Gebot.

Und ab wann wird die SBB TWINT akzeptieren und für deren Anwender Lösungen bereitstellen?

Ab dem 5. Januar 2019 können auf SBB Mobile und sbb.ch gekaufte Billette auch mit TWINT bezahlt werden. An den Billettautomaten wird dies voraussichtlich im ersten Quartal 2019 möglich sein und in den SBB Reisezentren ab dem zweiten Quartal. Wir kommen damit dem wachsenden Bedürfnis nach, mit der Schweizer Bezahl-App bezahlen zu können.

Mit SBB Cargo Digital haben Sie für Güterverkehrskunden bereits drei neue Produkte eingeführt. Wie profitieren diese davon?

Der Arbeitsablauf der Logistiker ist mit den neuen Tools einfacher und effizienter geworden. Mit «Cargo Check-in» checken unsere Kunden unkompliziert, direkt an der Rampe nach dem Laden der Wagons ein. Anstatt die Wagennummer mit dem Computer abzutippen, scannen die Logistiker sie mit dem Smartphone. Mit der «Cargo View»-App sehen sie dann jederzeit den genauen Standort und den Status der Lieferung. Eine zusätzliche Hilfe bei dem Arbeitsprozess bietet «Cargo API». Die App sendet die Sendungsdaten direkt an das entsprechende Logistiksystem.

Andreas Meyer, bleiben bei der Digitalisierung nicht die Mitarbeitenden auf der Strecke?

Das darf nicht so sein. Wir haben mit den Sozialpartnern entschieden, den digitalen Wandel gemeinsam anzugehen. Zu diesem Zweck gründen wir den Verein «Unternehmerische und sozialpartnerschaftliche Gestaltung des digitalen Wandels», welche die SBB mit 10 Millionen Schweizer Franken speist. Mit dem Geld finanzieren wir Studien und Projekte, anhand derer wir uns mit den unternehmerischen Chancen und Notwendigkeiten der Digitalisierung befassen. Dank den Erkenntnissen wollen wir den digitalen Wandel in den Berufsbildern und in der Arbeitswelt vorausschauend und sozialpartnerschaftlich gestalten.

Interview Andreas Meyer SBB: Michelle Christen

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