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Gesundheit Interview Porträt

Aus der Heroinsucht zurück ins Leben

12.02.2019
von Michelle Christen

Wenn Schweizer Heroinsucht hören, kommen ihnen die unschönen Bilder des Platzspitzes und die vielen Drogentoten von damals in den Sinn. Doch in unserer Gesellschaft gibt es auch ehemalige Heroinabhängige, die den Kampf gegen das Opiat gewonnen haben. Eine Lebensgeschichte, die traurig begann, noch schlimmer wurde und im Guten endete.

«Ich arbeitete gerade und auf einmal bekam ich extreme Gliederschmerzen», erinnert sich Giulia*. So merkte sie mit gerade einmal 17 Jahren, während ihrer Ausbildung zur Servicefachfrau, dass sie körperlich von Heroin abhängig war. In der Pause ging sie los und kaufte sich neuen Stoff, um sich von den Schmerzen zu befreien. Von diesem Moment an hat sie bis zu ihrem Entzug keinen Tag ohne die Droge verbracht.

Heute sieht man dies der 29-jährigen Giulia nicht mehr im Geringsten an. Zehn Jahre sind seit ihrer Heroinsucht vergangen. Sie ist sichtlich stolz darauf und blickt auf ihre Vergangenheit, an die sie sich teilweise nur schwammig erinnert, mit Fassung zurück. Dass sie mit Ende 20 von sich behaupten kann, seit zehn Jahren clean zu sein, ist schockierend und gleichzeitig eine Erfolgsgeschichte. Mit ihrem Handeln widerlegt sie disziplinarisch den Spruch «einmal süchtig – immer süchtig».

Vom Joint zum Heroin


Ihr Weg in die Heroinsucht war eine geradezu typische Drogenkarriere, wobei sie diese in schockierend jungem Alter begann. «Mit zwölf fing ich an zu kiffen und zwei Jahre später kamen Ecstasy-Pillen und Kokain dazu», erzählt Giulia. Zum einen war sie neugierig, zum anderen bekam sie nicht gerade die besten Voraussetzungen mit auf den Weg. Ihre Mutter war bereits bevor Giulia auf die Welt kam süchtig nach diversen Drogen. Die Alkohol- und Kokainabhängigkeit der Mutter verschlimmerte sich schliesslich noch mehr, als Giulia im Teenageralter war. Anders als ihre Tochter, kämpft sie bis heute gegen die Rauschmittel. Als Giulia sieben Jahre alt war, trennten sich ihre Eltern und sie wohnte bei ihrer süchtigen Mutter.

In der Pause ging sie los und kaufte sich neuen Stoff, um sich von den Schmerzen zu befreien.

An die Wutausbrüche und an das Gefühl, nie wissen zu können, was einen zuhause erwartet, erinnert sie sich gut. Als kleines Mädchen schleppte sie ihre betrunkene Mutter ins Bett und putzte die Wohnung, wenn das Sozialamt zu Besuch kam. «Sonst nehmen sie dich mit», drohte ihre Mutter. Als diese in die Ferien ging, wohnte Giulia bei ihrem Vater – ein Traum. So schön hatte sie es noch nie. «Ich lebte auf einmal in einem sauberen Zuhause und es gab immer etwas zu Essen», erinnert sie sich strahlend.

Giulia blieb bei ihrem Vater, doch die Wunden in ihrem Herzen und die schrecklichen Erinnerungen gingen nicht weg. Mit 17 Jahren führte sie mit einem Typen eine Beziehung, der viele Drogen nahm und auch schon Heroin probiert hatte. Irgendwann fing er wieder an, das Opiat öfters zu konsumieren. Giulia, die alle anderen Drogen schon probiert hatte, wollte aus Neugier auch Heroin nehmen. Ihr Freund wollte ihr aber nichts vom braunen Pulver abgeben. Also nahm sie es heimlich und erbrach kurz darauf. «Auf Heroin ist sogar kotzen schön; es ist richtig befreiend. Ich konnte endlich so richtig abschalten von allem. Dieses Abschalten gefiel mir unglaublich gut», versucht die 29-Jährige den Rausch zu beschreiben.

Gescheiterter Neuanfang

In der Zeit, als Giulia bei ihrem Vater wohnte und heroinsüchtig war, stahl sie ihm Geld, um ihre Sucht zu finanzieren. Als er das bemerkte, schmiss er sie raus und sie kam bei einer Kollegin unter, die ebenfalls an Heroinsucht litt. Eines Abends besuchte Giulia ihren Vater, der sofort bemerkte, was los war. «Hast du Shore geraucht?», fragte er sie am Esstisch direkt. Sie stritt es ab. Zu diesem Zeitpunkt wollte sie sich noch nicht helfen lassen. Ihr Vater wusste genau, dass er ohne ihren Willen nichts tun konnte. Giulia konsumierte weiter und schloss ihre Lehre erfolgreich ab. An die LAP erinnert sie sich allerdings kaum. Sie wusste, dass sie so nicht weitermachen wollte und nahm ein Jobangebot in einer anderen Stadt an.

Voller Hoffnung zog sie um und fand sich im Tiefpunkt ihres Lebens wieder. Von einem Gramm pro Tag steigerte sie ihre Dosis auf fünf Gramm und konsumierte zusätzlich noch Kokain. Ihre ersparten 12 000 Franken gab sie innerhalb dreier Monate für Drogen aus. Als sie kein Geld mehr hatte, fing sie an zu dealen. Erst rückblickend wird ihr bewusst, wie gefährlich das war. Sie verkehrte nur mit Süchtigen, die sie kaum kannte, und meist war sie die einzige Frau in Männergruppen. Bei einer Grösse von 1.75 Metern wog sie gerade noch 50 Kilogramm. Nach einem halben Jahr bemerkte ihr Chef, was mit ihr los war, und kontaktierte ihren Vater. Er holte sie ab und gab ihr zu verstehen: «Ich bin für dich da, wenn du den richtigen Weg einschlägst.» Dieser Satz veränderte das Leben von Giulia und ihr wurde bewusst, dass sie etwas ändern musste.

Nach einem halben Jahr bemerkte ihr Chef, was mit ihr los war, und kontaktierte ihren Vater.

Endlich clean

In ihrer Heimatstadt angekommen, ging sie in den Entzug und haute ein paar Tage später wieder ab. Sie kaufte sich Heroin, rauchte es und bekam sofort ein schlechtes Gewissen. Glücklicherweise bekam sie nur wenige Wochen später einen neuen Platz auf der Entzugsstation und schaffte es dieses Mal – ohne rückfällig zu werden. Nach dem Entzug ging sie für eineinhalb Jahre in eine Therapie, wo sie mit zehn anderen Ex-Süchtigen zusammenlebte. Sie standen jeden Tag früh auf, erledigten Gartenarbeiten und kochten zusammen. «Am Anfang war es eine sehr schwierige Zeit. Heroin löst so starke Glückshormone aus wie nichts anderes. Erst mit der Zeit lernte ich, wieder Freude an normalen Dingen zu haben», erläutert Giulia. Heute blickt sie dankbar auf die Reha zurück: «Ich bereue die Zeit, die ich verloren habe, aber nicht das, was ich gelernt habe.»

Nach dem erfolgreichen Abschluss der Therapie baute sie sich ein neues soziales Umfeld auf. Sie wurde Geschäftsführerin in einem Restaurant und lernte ihre Lebenspartnerin kennen. Zu ihrer Mutter hat sie kaum bis gar keinen Kontakt mehr, dafür ist das Verhältnis zu ihrem Vater umso besser. Vor einem halben Jahr begann sie eine Ausbildung zur Sozialpädagogin. «Ich will mit Menschen zusammenarbeiten und ihnen helfen», begründet sie ihre Berufswahl fröhlich.

*Name von der Redaktion geändert

Text Michelle Christen

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