thomas stocker thomas stocker: «es gibt noch rettung fürs klima!»
Nachhaltigkeit Innovation Interview

Thomas Stocker: «Es gibt noch Rettung fürs Klima!»

12.04.2019
von Moreno Oehninger

Die CO2-Emissionen erreichten 2018 einen Rekordwert. Der Klimaforscher und Umweltphysiker Thomas Stocker weiss, dass ohne baldiges Handeln die Klimaziele von Paris immer ehrgeiziger werden.

Thomas Stocker, woran arbeiten Sie gerade?

Im Moment arbeite ich mit Kollegen ein Grossprojekt für die kommenden zehn Jahre aus, in dem die Wirkung von Klimaänderung, Landnutzung und Biodiversität auf Mensch und Natur an vier Hotspots auf der Erde untersucht werden soll. Damit leisten wir einen Beitrag zur besseren Anpassung und zur Erhaltung von Ökosystemen in diesen verletzlichen Gebieten. Gleichzeitig führt eine Doktorandin Klimasimulationen der letzten 500 Jahre durch, um herauszufinden, was die Auswirkungen der kleinen Eiszeit auf die Ozeantemperatur war. Das ist etwas ganz Spannendes.

Sie möchten 1.5 Millionen Jahre altes Eis erforschen. Wie weit sind sie bereits mit diesem Vorhaben?

Es sieht gut und vielversprechend aus, aber es gibt noch viele Knackpunkte, die es zu lösen gilt. Zum einen bereiten wir uns in einem grossen europäischen Konsortium vor, die Bohrstelle in der Antarktis zu installieren. Diese sollte im nächsten Jahr aufgebaut werden. Zum anderen arbeiten wir daran, einen Mikrobohrer für Polareis zu entwickeln, unseren sogenannten «Zahnarztbohrer». Dieser ist übrigens der kleinste Bohrer der Welt. Er soll uns ermöglichen, an verschiedenen Orten in der Antarktis ca. 2500 Meter tief zu bohren und dann im Bohrloch Temperatur und Staubgehalt zu messen. In Grönland konnten wir bereits erste Tests durchführen.

Haben Sie schon einen passenden Ort für diese Bohrungen gefunden?

Aufgrund von verschiedenen Radarmessungen von Kollegen aus England und Deutschland vermuten wir, in der Nähe von Dome Concordia ganz altes Eis zu finden. Dome Concordia ist die französisch-italienischen Forschungsstation in der Antarktis.

Eine neue Studie der Universität Washington und der kanadischen McGill Universität sagt voraus, dass das Eis am Nordpol bis 2040 geschmolzen sein könnte, falls der Ausstoss von Treibhausgasen gleichbleibt. Können Sie dem zustimmen?

Das ist durchaus ein plausibles Szenario für die Situation im Sommer. In unserem letzten Klimabericht des UNO Weltklimarats IPCC haben wir solche Projektionen gemacht und abgeschätzt, wie stark die Eisbedeckung der Arktis zurückgehen wird. Diese neue Studie bezieht sich jedoch nur aufs Sommereis. Im Winter ist es in der Arktis dunkel und sehr kalt, da friert die Ozeanoberfläche auf jeden Fall zu, selbst bei einem Szenario von ungebremster globaler Erwärmung. Aber im Sommer ist es durchaus ein Szenario, mit welchem wir rechnen müssen, falls die Emissionen nicht zurückgehen.

Die CO2-Emissionen sind 2018 erneut angestiegen und erreichten einen neuen Höchstwert. Was wird konkret unternommen?

Die «Nationaly Determined Contributions» zur Reduktion der CO2-Emissionen, die im Rahmen vom Pariser Abkommen von jedem Land geleistet werden, sind Absichtserklärungen, die nun aber umgesetzt werden müssen. Am Beispiel der Schweiz sieht man sehr gut, wie schwierig dieser politische Prozess ist. Es gibt nach wie vor Kräfte, die mit vielfältigen Mitteln versuchen, die Reduktion der Emissionen, vor allem im Bereich Treibstoffe, hier in der Schweiz zu verhindern. Nach den Jahren der Stagnation sind die globalen CO2-Emissionen leider erneut messbar angestiegen. Das ist natürlich kein gutes Zeichen im Hinblick auf die Erreichbarkeit der Klimaziele von Paris.

Im Winter ist es in der Arktis dunkel und sehr kalt, da friert die Ozeanoberfläche auf jeden Fall zu.  Thomas Stocker

Die Schweiz setzte sich das Ziel, den CO2-Ausstoss bis 2030 zu halbieren. Sind wir auf gutem Weg dieses Ziel zu erreichen?

 

 

Nein, sind wir nicht! In einem demokratischen Land geht das über gesetzgeberische Anpassungen. Hier müssen wir feststellen, dass der politische Prozess äusserst langsam ist und dass man den Ausstoss vor allem im eigenen Land nicht reduzieren möchte. Einzelne Parteien bevorzugen Massnahmen im Ausland. Doch das ist zu kurzfristig gedacht: Anstatt den Franken bei uns zu investieren und KMUs an hiesigen Investitionen und Umbauten Geld verdienen zu lassen, und so Schweizer Arbeitsplätze zu schaffen, schicken diese Parteien den Franken für den Klimaschutz offenbar lieber ins Ausland. In der Annahme, die CO2-Emissionen werden dann im jeweiligen Land reduziert und uns angerechnet. Man ist sich aber gar nicht sicher, ob und in welcher Qualität dies stattfindet.

Schweizer Parteien fordern international verbindliche Schlüsse, bevor die Schweiz handeln soll. Daher sprechen sich einige gegen eine Halbierung der CO2-Emissionen bis 2030 aus.

Das sind billige Entschuldigungen und auch wieder nur kurzfristig gedacht. In wenigen Jahren werden alle Länder, ausnahmslos ihren eigenen Beitrag zum Klimaschutz leisten müssen, um die Ziele von Paris zu erreichen. Die Transformation, die fossilen Energieträger durch erneuerbare Energien zu ersetzen, bietet fantastische ökonomische Chancen. Die Schweiz, als Innovationsland Nummer 1 war beim technologischen Umbau in Vergangenheit vorne dabei und hat davon enorm profitiert. Zum Beispiel war die Schweiz das erste Land, das bei der Eisenbahn von Kohle auf Strom umgestiegen ist. Das war eine enorme Leistung, die grosse Investitionen in die Infrastruktur erforderte, von denen wir 80 Jahre später immer noch profitieren.

Die Transformation, die fossilen Energieträger durch erneuerbare Energien zu ersetzen, bietet fantastische ökonomische Chancen.  Thomas Stocker

Also soll die Schweiz auch im Klimaschutz vorne dabei sein?

Genau, dieser Pioniergeist sollte auch im Kampf gegen den Klimawandel unser Massstab sein. Aber leider stellen wir fest, dass der Status Quo offenbar noch bei vielen Verbänden und Parteien das Kredo ist. Das ist wie wenn man vor 100 Jahren einem Pferdefuhrhalter gesagt hätte: «Die Zeit der Pferdefuhrwerke ist langsam vorbei, sieh‘ Dich vor!», und der hätte erwidert: «Ach, die Autos. Das geht wieder vorbei». Die Wertschöpfung findet heute nicht mehr bei den Pferdefuhrhaltern statt.

Wie realistisch ist das Pariser Abkommen von 2015 überhaupt noch?

Wenn nicht möglichst schnell die CO2 Emissionen sinken, nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit, dann werden wir das 1.5-Grad-Ziel verlieren. IPCC hat klar und deutlich aufgezeigt, dass es für jedes Klimaziel ein sogenanntes Kohlenstoffemissionsbudget gibt. Wir wissen, dass wir für das Zwei-Grad-Ziel bereits über zwei Drittel des Budgets verbraucht haben. Das restliche Budget wird bei heutigen Emissionen in spätestens 30 Jahren aufgebraucht sein. Zudem ist es eine Tatsache, dass in zehn Jahren, bei gleichbleibenden Emissionen, das Zwei-Grad-Ziel genauso ehrgeizig sein wird, wie heute das 1.5 Grad Ziel. Also kann man salopp sagen: Mit jeden zehn Jahren, die man wartet, verliert man ein halbes Grad Klimaziel.

Was wäre der Super-GAU, wenn wir es nicht schaffen, die maximalen zwei Grad Erwärmung einzuhalten?

Diese zwei Grad sind keine magische Grenze. Die Welt geht bei 2.01 Grad nicht unter. Doch die Klimaschäden nehmen nicht linear, sondern überproportional zu. Zum Beispiel: Bei 1.5 Grad erwartet man, dass die Arktis etwa einmal alle 100 Jahre im Sommer eisfrei wird. Bei zwei Grad erwartet man dieses Ereignis zehn Mal häufiger, also alle zehn Jahre.

Die Welt geht bei 2.01 Grad nicht unter. Thomas Stocker

Was wären die Folgen?

Wenn das so weitergeht, wird in vielen Regionen die Grenze der menschlichen Anpassbarkeit an den Klimawandel überschritten. Die Häufung und Verstärkung von Hitzewellen setzt schwächere und ältere Menschen gesundheitlichen Risiken aus, häufigere extreme Trockenperioden sind eine grosse Herausforderung für die Landwirtschaft, und der ansteigende Meeresspiegel bedroht Inseln und Küstengebiete. Diese werden langfristig unbewohnbar und zwingen Menschen, sich neuen Lebensraum zu suchen. Klimaflüchtlinge gibt es bereits heute und diese würden in Zukunft zunehmen. Der ungebremste Klimawandel bedroht ganz generell unsere Ressourcen. Wenn es an diese materiellen und immateriellen Güter eines Landes geht, sind Konflikte unvermeidbar. Klimaschutz ist also letztendlich Ressourcenschutz.

Donald Trump will eine Klima-Kommission einrichten. Diese soll untersuchen, ob der Klimawandel eine nationale Bedrohung für die USA darstellt. Vorsitzender soll der Physiker und Klimakritiker William Happer werden. Das ist ein Witz, oder?

Das ist leider Realität. Bill Happer ist ein renommierter Physiker, der jedoch als Forscher nie im Bereich Klimawandel gearbeitet hat. Dementsprechend hat er keine Kompetenz vorzuweisen, das komplexe System auch nur annähernd zu verstehen. Rat zu suchen von jemandem mit diesem Leistungsausweis zum Thema Klima, ist unverantwortlich. Ebenso wie die unzähligen wissenschaftlichen Arbeiten der amerikanischen Kollegen zu ignorieren, welche seit Jahren umfassende Berichte für die US Administration erstellen, in denen aufgezeigt wird, welche Auswirkungen der Klimawandel auf die USA hat. Diese Berichte sind sogar federführend von Forschungszentren der US Regierung erstellt worden. Diesen international anerkannten Wissenschaftlern eine «Klima-Kommission» entgegenzustellen, das eine klare Agenda und Verbindungen zu bekannten Interessengruppen in Washington pflegt, die von industriellen Organisationen und von Erdölproduzenten finanziert sind, ist ein unglaublicher Vorgang.

Was kann eine einzelne Person gegen den Klimawandel unternehmen?

Unser Gesamtkonsum ist ein Problem: Es wird viel mehr verbraucht als noch vor 30 Jahren. Und genauso wie jeder Einzelne die Ursache für CO2-Emissionen ist, ist auch jeder Einzelne die Lösung. Es braucht aber gesellschaftliche Vereinbarungen und zwar auf Gemeindeebene, Kantonsebene, auf nationaler und internationaler Ebene, um dieses Problem anzugehen und etwas zu bewegen. Diese Vereinbarungen kommen nicht aus dem Nichts, sondern vom einzelnen Bürger, der das von der Gemeinschaft einfordert, von engagierten Politikern, und seit Kurzem von Schülerinnen und Schülern, die mit ihren Klimastreiks grosse Wirkung erzielt haben. Hoffentlich hält das an, diese Stimme wird nämlich gehört. Wir haben in unserer Demokratie viele weitere Instrumente zur Verfügung: Referendum, Initiativen, und Wahlen. Und natürlich gibt’s noch den ganzen Katalog, den Sie selber als Individuum aus freien Stücken und aus Vernunft heraus machen.

Das Verbrennen von CO2 ist eigentlich globales Littering und das muss etwas kosten. Thomas Stocker

Sie sprachen die Klimastreiks der Schüler an – was bringen diese?

Ich finde das fantastisch. Es zeigt, dass die Jugendlichen sich wieder politisch äussern. Das ist ein Engagement, das man in den letzten 20 Jahren nicht gesehen hat. Eine neue, wichtige Bevölkerungsgruppe bringt sich in die Diskussion ein. Und das ist genau die Bevölkerungsgruppe, die das nächste Jahr an die Urne geht und zu einer politischen Kraft werden kann. Das ist phänomenal!

Unterstützen sie gesetzliche Abgaben auf Benzin, oder eine «Umwelt-Taxe» auf den Flugpreis?

Eine Gebühr, für die Tatsache, dass wir einen Rohstoff verwenden und dessen Abfall, das CO2, in der Atmosphäre deponieren? Absolut! Ich kann ja auch nicht einfach meinen Abfallsack ohne zu zahlen vors Haus stellen. Das wäre Littering. Und das Verbrennen von CO2 ist eigentlich globales Littering und das muss etwas kosten. Diese Abgabe soll aber als Lenkungsabgabe eingerichtet und der Bevölkerung zurückgegeben werden. Selbst mit einer vergleichsweise geringen CO2-Abgabe von 50 Rappen aufs Benzin, könnte man jährlich 2.5 Milliarden Franken mobilisieren. Aber man muss dieses Geld wirksam einsetzen! Beispielsweise indem man es zur Entlastung der Krankenkasse verwendet, oder ein Teil davon verwendet, um den Umstieg auf erneuerbare Energien zu beschleunigen. Das heisst eine Renovation unserer Infrastruktur und letztendlich Arbeitsplätze unserer KMUs. Eine solche CO2-Abgabe schafft Arbeitsplätze und Wertschöpfung im eigenen Land und kommt so allen zugute.

Gibt es noch Rettung fürs Klima?

Auf jeden Fall. Wie vorhin gesagt, diese zwei Grad sind keine magische Grenze. Wenn man diese überschiesst, fällt man nicht direkt in den Abgrund. Es gibt Rettung! Aber man muss jetzt handeln und entschlossene Schritte unternehmen, sonst wird uns das Klimaziel von Paris entgleiten.

Interview: Moreno Oehninger

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