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Können Raser bald etwas aufatmen?

17.04.2019
von Mohan Mani

Im Jahre 2013 ist das Verkehrssicherheitspaket Via sicura in Kraft getreten, um Schweizer Strassen sicherer zu machen. Nebst vieler positiver Effekte sorgt insbesondere die Anwendung des Rasertatbestandes für teils heftige Diskussionen.

Keine Frage: Die bisherige Via-sicura-Bilanz ist positiv. Das Massnahmenpaket hat die Sicherheit auf Schweizer Strassen massgeblich erhöht. Zwischen 2013 und 2015 konnten gemäss dem Bundesamt für Strassen (ASTRA) mindestens 100 schwere Unfälle (Tote und Schwerverletzte) verhindert werden. Auch in den Folgejahren konnte im Vergleich zum langjährigen Trend eine überproportionale Abnahme bei den Verkehrstoten verzeichnet werden.

«Abstrakte Gefährdung» zentral

Das Strassenverkehrsrecht richtet sich nicht nach der Gefahr eines Verkehrsmanövers oder der Höhe eines Sach- oder Personenschadens. Zentral ist vielmehr die sogenannte «abstrakte Gefährdung». So soll etwa das Lichtobligatorium am Tag für Motorfahrzeuge verhindern, dass gefährliche Verkehrssituationen überhaupt entstehen – mit positivem Effekt. So hat die bessere Sichtbarkeit der Fahrzeuge zu einem Rückgang der Unfallzahlen geführt. Das Verbot etwa für Berufschauffeure, unter Alkoholeinfluss zu fahren, diverse Infrastrukturmassnahmen sowie die strengere Bestrafung bei Raserdelikten tragen ebenfalls zur Verbesserung der Verkehrssicherheit bei.

Sorgenkind Rasertatbestand

Gerade die Anwendung des sogenannten Rasertatbestandes sorgt jedoch immer wieder für heftige Diskussionen und juristische Querelen. So werden viele Verkehrsteilnehmende heutzutage vorschnell als Raser eingestuft. Um hier Abhilfe zu schaffen, stellt mittlerweile sogar der Bundesrat punktuelle Anpassungen zur Diskussion. Demnach könnte bei der Regelung von Raserdelikten auf eine Mindestfreiheitsstrafe verzichtet werden. Man kann die Mindestdauer des Führerausweisentzuges auf sechs Monate senken und den Gerichten bei der Anwendung des Rasertatbestandes ein grösserer Ermessensspielraum einräumen. «Der Bundesrat hat bisher keinen neuen Gesetzesentwurf zu diesem Thema in die Vernehmlassung geschickt», sagt ASTRA-Sprecher Guido Bielmann auf Anfrage von SmartMedia. Aber: «Er plant im Rahmen des nächsten Vernehmlassungsverfahrens zur Änderung des Strassenverkehrsgesetzes die betreffenden Massnahmen zum Raserdelikt zur Diskussion zu stellen. Wann diese Vernehmlassung erfolgen wird, wissen wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht.»

Mehr richterlicher Ermessensspielraum

Raserdelikte sind heutzutage in Artikel 90 Absätze 3 und 4 des Strassenverkehrsgesetzes (SVG) so geregelt, dass die im Gesetz aufgeführten Geschwindigkeitsüberschreitungen in jedem Fall mit einer Freiheitsstrafe von einem bis vier Jahren geahndet werden müssen. Ein richterlicher Ermessensspielraum liegt nur in beschränktem Umfang vor. Es hat sich seit Einführung dieser Regelung jedoch gezeigt, dass es Fälle gibt, in denen die Überschreitung ohne Vorsatz erfolgt und das Strafmass von mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe als unverhältnismässig angesehen werden kann. In diesem Fall wäre es einem Richter oder einer Richterin möglich, in ihrem Ermessen zu beurteilen, ob die betroffene Person im konkreten Fall vorsätzlich gehandelt hat – und damit das hohe Risiko eines Unfalls mit Toten und Schwerverletzten einging – oder, ob der Rasertatbestand nicht erfüllt ist, weil nur Fahrlässigkeit vorlag.

Liegt Fahrlässigkeit vor, könnte ein Richter von der Anwendung des Rasertatbestandes absehen.

Kein Automatismus mehr

Insbesondere der Automatismus, wonach Personen, die eine der im Gesetz definierten Geschwindigkeitsüberschreitungen begehen, von Gesetzes wegen als Raser gelten, könnte aufgehoben werden. In diesen Fällen würde die Rechtssprechung demnach neu prüfen können, ob die betroffene Person vorsätzlich so schnell gefahren ist oder ob sie dies nur fahrlässig tat. Liegt Fahrlässigkeit vor, könnte ein Richter von der Anwendung des Rasertatbestandes absehen. Aber was bringt diese Änderung ganz konkret für einen Autofahrer? Wenn dieser etwa bei einem Überholmanöver auf der Autobahn zwischenzeitlich mit 160km pro Stunde unterwegs wäre? «Künftig könnte im Gesetz explizit stehen, dass der Richter bei einem solchen Delikt die konkreten Umstände der Tat berücksichtigen kann», erklärt Guido Bielmann.

Die heutige Rückgriffspflicht würde demnach wieder in ein Rückgriffsrecht umgewandelt, wie dies vor Via sicura der Fall war. Nach wie vor kann im Zweifelsfall ein spezialisierter Anwalt Klarheit schaffen und die Rechte von Betroffenen vor dem Strassenverkehrsamt vertreten. Der Vollzug der Vorschriften im Strassenverkehr obliegt jedoch den kantonalen Behörden.

Sorgenkinder Tempo und Alkohol

Über die häufigsten Irrtümer von Verkehrsteilnehmenden im heutigen Schweizer Strassenverkehr (siehe Box) führt das ASTRA keine Statistik. Aber die Zahlen der Führerausweisentzüge und Administrativmassnahmen ADMAS zeichnen ein klares Bild über das einheimische Fehlverhalten im Strassenverkehr. So war im Jahre 2018 das Missachten der Geschwindigkeit der häufigste Grund für Ausweisentzüge, gefolgt von der Trunkenheit am Steuer. Die starke Verkehrszunahme, das Bevölkerungswachstum sowie der wachsende Anteil von schlecht geschützten Verkehrsteilnehmenden und verletzungsanfälliger Senioren werden aber fast gezwungenermassen zu mehr Unfällen führen. Strassenverkehrsrecht hin oder her.

Einen weiteren Artikel zum Thema Recht gibt es hier.

Text: Mohan Mani

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