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Sanierungsrecht wird nicht immer voll genutzt

17.04.2019
von Gerold Bruetsch-Prevot

Das seit über vier Jahren gültige revidierte Sanierungsrecht erleichtert in der Schweiz Sanierungen. Nicht immer wird es aber optimal genutzt – oft auch, weil Verwaltungsräte die verschiedenen Möglichkeiten gar nicht kennen.

Noch nie wurden in den ersten zwei Monaten eines Jahres so viele Firmen neu im Handelsregister eingetragen wie 2019. Seit Jahresbeginn wurden gemäss dem Gläubigerverband Creditreform 7641 Firmen neu gegründet. Zieht man davon die Löschungen ab, ergibt sich per Saldo ein Nettowachstum von 2531 Firmen.

Immer mehr Neugründungen

Gegenüber diesem Neugründungsboom nehmen aber auch die Firmenpleiten zu. So gingen allein im Februar dieses Jahres in der Schweiz 564 Firmen in Konkurs, das sind gut zwei Prozent mehr als im Vorjahr. Der Grossteil davon entfiel auf Insolvenzen. Bestätigt sich der Trend, könnten die Insolvenzen im Gesamtjahr einen Rekordwert nahe der Marke von 5000 erreichen. Ebenfalls eine steigende Tendenz zeigen daneben auch die Privatkonkurse.

Während viele kleine Firmen und Start-ups still und leise sterben, geht bei den grossen Firmenpleiten jeweils ein Schrei durchs Land. Und vor allem wird in der Bevölkerung die Frage gestellt: Wie ist das möglich, dass ein in der Öffentlichkeit gut aufgestelltes Unternehmen plötzlich ins Trudeln gerät, Insolvenz erklären muss und es als Folge davon auch zu Massenentlassungen kommt?

Der Verwaltungsrat im Visier

Für RA Balthasar Wicki, Partner bei Wicki Partners AG, Rechtsanwälte, ist klar, dass die Schuld dafür in den meisten Fällen beim Verwaltungsrat liegt. «Vielen ist gar nicht bewusst, dass jedes Unternehmen einen Überblick über den Planungshorizont der kommenden zwölf Monate haben muss. Ist die Liquidität gesichert? Wie entwickelt sich der Markt? Kann man die Bankkredite bedienen?» Nur wenn das Unternehmen diese Zeitspanne im Fokus habe, könne es auch rechtzeitig reagieren. Wichtig sei das Lesen von schwachen Anzeichen, das frühzeitige Erkennen von Gefahren und Bedrohungen. Zudem seien viele Verwaltungsräte in der Schweiz zu konsensorientiert. Es werde zu wenig gegenseitig gefordert und in Frage gestellt – und das im positiven Sinn, damit man nicht alles abnicke, sondern das Unternehmen vorwärtsbringe und eben auch Gefahren erkenne.

Sanierungsrecht mit mehr Möglichkeiten

Das revidierte Sanierungsrecht, das seit dem 1. Januar 2014 in Kraft ist, hat die Lehren aus den grossen Swissair-Crash gezogen, deshalb bezeichnet man es auch Lex-Swissair. Es erleichtert in der Schweiz die Sanierung von Unternehmen, die in Schieflage geraten sind. Nicht jeder Liquiditätsengpass muss zwingend zum Konkurs führen. Grundsätzlich sind nach altem und neuen Recht zwei verschiedene Sanierungsverfahren möglich: Der Konkursaufschub und das Nachlassverfahren. Nach neuem Recht ist meist das Nachlassverfahren das geeignete Instrument, weil es im Vergleich zum Konkursaufschub mehrere Möglichkeiten offenlässt und flexibler eingesetzt werden kann.

Das Nachlassverfahrensrecht lehnt sich an das «Chapter 11» des amerikanischen Insolvenzrechts an. Während der provisorischen Nachlassstundung von maximal vier Monaten kann im Rahmen eines Gläubiger-Schutzmoratoriums keine Betreibung gegen das Unternehmen eingeleitet oder fortgesetzt werden. Diese Nachlassstundung kann einem Unternehmen eine Verschnaufpause gewähren, innerhalb der im besten Fall bereits die Sanierung gelingt. Als sehr effizientes Sanierungsinstrument hat sich das ausserordentliche Kündigungsrecht für Dauerverträge herausgestellt. So können beispielsweise Miet- und Leasingverträge vorzeitig gekündigt werden, wenn nachgewiesen werden kann, dass sonst die Sanierung gefährdet wäre.

Wie ist das möglich, dass ein in der Öffentlichkeit gut aufgestelltes Unternehmen plötzlich ins Trudeln gerät, Insolvenz erklären muss und es als Folge davon auch zu Massenentlassungen kommt?

Nachlassstundung als Verschnaufpause

Während dieser Verschnaufpause können auch die Verhandlungen mit der Bank geführt werden, um die weitere Finanzierung zu planen und sicherzustellen. Ist die Rettung des Gesamtunternehmens aussichtslos, kann man unter gewissen Bedingungen auch einzelne Betriebsteile verkaufen, die noch rentabel sind. Allerdings drängt dafür die Zeit, damit Mitarbeitende oder Kunden nicht verunsichert abwandern.

«Vielen Verwaltungsräten ist aber gar nicht bewusst, welche Möglichkeiten das Sanierungsrecht heute bietet und was damit möglich ist, um ein Unternehmen zu retten. So kennen viele beispielsweise die Möglichkeit der provisorischen Nachlassstundung nach dem Vorbild des amerikanischen <Chapter 11> nicht in allen Details oder es ist ihnen teilweise sogar völlig unbekannt», sagt RA Balthasar Wicki dazu.

Verwaltungsrat in der Pflicht

Es hat sich längst herumgesprochen, dass Verwaltungsräte bei Pflichtwidrigkeiten solidarisch mit ihrem Privatvermögen haften. Die Übernahme eines Mandats bringt neben der Würde auch Bürde – und die Zeiten sind vorbei, in denen Prominente nur einfach ihres Namens wegen in einen Verwaltungsrat berufen wurden. Heute setzt man betriebswirtschaftliches Verständnis voraus, und nur wer eine Bilanz lesen kann, kann auch die entsprechende Verantwortung übernehmen und beurteilen, wie es einem Unternehmen geht. Für unternehmerische Entscheide allerdings, die der Verwaltungsrat nach bestem Wissen und Gewissen gefällt hat und dann doch zur Insolvenz führen, kann man den ihn nicht behaften. Eine anfänglich als erfolgreich eingeschätzte Strategie kann auch einmal nicht aufgehen. Wichtig sei es deshalb, dass man über die Entscheidungsfindung ein aussagekräftiges Sitzungsprotokoll verfasse, sagt RA Balthasar Wicki. Ein reines Beschlussprotokoll, wie man es noch allzu oft verfasst, sei dafür aber ungenügend.

Text: Gerold Brütsch-Prévôt

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