peter richner peter richner: «lebensqualität basiert nicht primär auf konsum»
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Peter Richner: «Lebensqualität basiert nicht primär auf Konsum»

19.09.2019
von Lea Zoss

Dank neuen Technologien gelingt es, energieeffiziente Bauten zu errichten. Dr. Peter Richner, Departementsleiter der Empa, weiss wie das geht und macht eine nachhaltige Zukunft im Bauwesen greifbar. 

Dr. Peter Richner, Sie sind stellvertretender Direktor bei der Empa. Wie gefällt Ihnen der Job?

Eine absolute Traumstelle. Es gibt wohl nicht viele Orte auf dieser Welt, die einem derartig einmalige Möglichkeiten bieten. Hier wird Forschung auf allerhöchstem Niveau betrieben und darauf basierende Resultate in die praktische Anwendung zum Nutzen von Gesellschaft und Wirtschaft transferiert. Daher fällt es uns relativ leicht, hochtalentierte Forschende an die Empa zu bringen. Es ist eine Freude zu sehen, welche Resultate sie erzielen. Natürlich gibt es im Tagesgeschäft auch Dinge, die weniger Spass machen, aber das ist wohl überall so.

Was tun Sie, wenn Sie nicht arbeiten?

Im Mittelpunkt steht sicher die Familie, daneben beschäftige ich mich gerne mit allen Aspekten der Fotografie.

Sie haben Chemie an der ETH Zürich studiert. Waren Sie schon als Kind von diesem Themenbereich begeistert?

Mathematik und Naturwissenschaften haben mich schon immer fasziniert. Die Begeisterung für die Chemie hat ein hervorragender Lehrer in der Mittelschule in mir geweckt.

Die Empa ist ein Forschungsinstitut für neue Materialien und Technologien. Weshalb interessiert Sie diese Forschungsmaterie besonders?

Materialien sind von immenser Bedeutung für unser Leben. Es ist kein Zufall, dass ganze Zeitalter wie die Bronzezeit nach Materialien benannt wurden. Heute haben wir die Möglichkeit, Materialien auf atomarer oder molekularer Ebene zu verstehen und daraus abzuleiten, wie sich ein Material schlussendlich in der makroskopischen Welt verhalten wird.

Das Bundesamt für Energie BFE hat Visionen für den Schweizer Gebäudepark, welche die Empa versucht umzusetzen. Das BFE möchte den Endenergieverbrauch reduzieren, die Gesamteffizienz optimieren und insgesamt zu einer nachhaltigen Entwicklung der Schweiz beitragen. Welche Chancen bringt diese Entwicklung für die Schweiz?

Sie führt zu einer qualitativen Verbesserung des Gebäudeparks der Schweiz. Die Gebäude werden energieeffizienter und komfortabler, da sich dank einer energetischen Sanierung sowohl im Sommer als auch im Winter ein angenehmeres Raumklima bildet. Zudem wird die Auslandsabhängigkeit der Schweiz bezüglich Energie reduziert und die lokale Wertschöpfung im Gegenzug verstärkt. Nur so können wir die Emissionsziele, zu denen sich die Schweiz verpflichtet hat, erreichen.

Welche einfachen Tipps haben Sie, damit man im Alltag nachhaltiger lebt?

Lebensqualität basiert nicht primär auf zusätzlichem Konsum, der allzu oft mit einem signifikanten Ressourcenverbrauch einhergeht. Wenn man sich ab und zu überlegt, was einem wirklich wichtig ist und nachhaltig Befriedigung verschafft, wird man überrascht sein, dass es dabei oftmals um ziemlich banale Dinge geht. Daneben gibt es viele einfache Massnahmen, wie ab und zu einen Weg zu Fuss oder mit dem Velo zurückzulegen, den Fleischkonsum zumindest etwas zu reduzieren und ähnliches.

Momentan verbraucht der Gebäudepark etwa 45 Prozent des gesamten Endenergiebedarfs der Schweiz. Die Energiestrategie 2050 sieht vor, den Verbrauch zu halbieren. Welche Massnahmen müssen ergriffen werden, damit dieses Ziel erreicht werden kann?

Die Transformation kann in drei Schritten gelingen: Effizienzsteigerung, Ersatz fossiler Energieträger durch erneuerbare Energien und Lösungen im Verbund auf Stufe der Quartiere. Die Ziele sind durch die Energiestrategie und das Abkommen von Paris definiert worden, das war der einfache Teil der Übung. Nun muss der Weg dahin geplant werden. Die Herausforderung besteht darin, dass es sich hier um eine sehr langfristige Veränderung handelt. Die Investitionszyklen für Gebäude umfassen mehrere Jahrzehnte, Gebäudelage und Nutzungsart sind von entscheidender Bedeutung. Es braucht daher eine gut durchdachte Planung für die Erneuerung eines Gebäudes. Wie kann man den Bedarf reduzieren? Welche erneuerbaren Quellen können für die Deckung des verbleibenden Bedarfs nutzbar gemacht werden? Diese Fragen müssen beantwortet sein, bevor erste Massnahmen eingeleitet werden, sodass jeder Franken optimal investiert wird.

Ist ein solches Ziel überhaupt erreichbar?

Auf jeden Fall. Man bedenke, dass sich der CO2-Ausstoss aus der Wärmebereitstellung in Privatwohnungen von 1990 bis 2017 pro Quadratmeter um fast die Hälfte vermindert hat. Das zeigt, dass der Gebäudebereich schon sehr grosse Fortschritte gemacht hat. Ein Teil dieses Fortschrittes wurde durch das Bevölkerungswachstum und den gestiegenen Flächenbedarf pro Person kompensiert, aber es bleibt eine Reduktion von 33 Prozent. Da sehr viele Gebäude noch nicht saniert wurden, ist das verbleibende Potential für weitere Reduktionen entsprechend gross. Neue Modelle für die Finanzierung der Sanierungen ausserhalb des konventionellen Hypothekarmarktes könnten sicher zusammen mit immer noch notwendigen technologischen Innovationen einen weiteren Schub auslösen, sodass wir die Ziele locker erreichen können.

Vor allem ältere Bauten sind nicht energieeffizient gebaut und haben somit einen höheren Energieverbrauch. Welche Herausforderungen sehen Sie in der Zukunft des Gebäudeparks Schweiz?

Wir müssen unsere Energieversorgung decarbonisieren und dabei ist der Gebäudepark stark in der Pflicht. Während wir im Neubau praxiserprobte Lösungen haben, gibt es im Bestand grosse Herausforderungen, die nicht nur technologischer, sondern auch finanzieller Art sind. Für gewisse Gebäude sind die bestehenden Sanierungslösungen schwer umsetzbar oder mit sehr hohen Kosten verbunden. Zudem sehen sich viele Eigentümerinnen und Eigentümer nicht in der Lage, die notwendigen Investitionen aus eigenen Mitteln zu finanzieren. Eine Fremdfinanzierung über Hypotheken ist nicht immer möglich.

Sie sind Verantwortlicher des NEST-Projekts der Empa und der Eawag. Dieses Projekt unterstützt Innovationen im Gebäudebereich. Worauf wird bei diesen Bauten jeweils speziell geachtet?

Ziel von NEST ist die Beschleunigung der Innovationsgeschwindigkeit im Baubereich. Unser Bestreben ist, neue Lösungen, basierend auf aktuellen Erkenntnissen aus der Forschung, zu implementieren. Deshalb ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Partnern aus der Forschung und der Industrie nötig. In der Planung wird ein sehr ambitioniertes Ziel formuliert. Beispielsweise soll eine Wohneinheit ausschliesslich aus Materialien, die aus geschlossenen Kreisläufen stammen, gebaut werden. Die effektive Realisierung zeigt dann, wie nahe wir dieser Zielsetzung kommen und welche Lösungen sich in der Praxis effektiv bewähren. Dazu gehört auch, dass in den experimentellen Units Leute wohnen, arbeiten und entsprechend Feedback geben. In der Folge arbeiten die Teams weiter daran, die Units zu verbessern. Schlussendlich können so robuste neue Lösungen auf den Markt gebracht werden.

Da sehr viele Gebäude noch nicht saniert wurden, ist das verbleibende Potential für weitere Reduktionen entsprechend gross.

NEST hat untersucht, wie man den von Solaranlagen erzeugten Strom speichern kann. Dafür testete man stationäre Batterien. Wie gut funktioniert die Energiespeicherung auf diese Weise? 

Batterien sind eine interessante Möglichkeit, Solarstrom über Stunden und Tage zu speichern und so den Eigenverbrauch zu optimieren. Das ist wichtig, da die Solaranlage nicht zwingend dann die maximale Leistung erbringt, wenn auch der Stromverbrauch am grössten ist. Technisch funktioniert das gut. Ökonomisch gesehen sind die Batteriepreise immer noch am oberen Limit, obwohl die Preise in den letzten Jahren stark gefallen sind. Laufende Forschungsarbeiten zeigen aber, dass es hier durchaus noch Potential gibt. 

Werfen Sie einen Blick in die Zukunft. Wie sehen die Wohnhäuser von morgen aus?  

Leider werden sie morgen noch so aussehen wie heute. Ich hoffe aber, dass wir bis in 20 Jahren die fossilen Energieträger praktisch komplett aus den Gebäuden eliminiert haben. Diese sind energetisch saniert und mit lokal gewonnener Energie betrieben. Dank neuen Möglichkeiten, die uns die Digitalisierung bietet, kann der Betrieb optimal funktionieren. Nutzerinnen und Nutzer werden von all dem praktisch nichts mitbekommen, sondern sich an einem angenehmen Raumklima erfreuen, das zu ihrem Wohlbefinden beiträgt.

In Ihrem Beruf beschäftigen Sie sich stark mit unserer Umwelt und versuchen, diese nachhaltiger zu gestalten. Recyceln Sie auch zu Hause Ihre Abfälle?

Ja, das fällt ja in der Schweiz mit unserem sehr gut ausgebauten Entsorgungssystem ziemlich leicht. Regelmässig werden Grüngut und Papier eingesammelt und für Batterie, Alu und Glas gibt es Sammelstellen. 

Welches Fortbewegungsmittel verwenden Sie am liebsten?

Das Velo ist mein Favorit, gefolgt von der Eisenbahn. 

Was war für Sie ein wichtiges Schlüsselereignis in Ihrem Leben?

Wir haben als Familie ein Jahr im Ausland gelebt und das hat mir in vielen Belangen die Augen geöffnet. Einerseits wurden mir die Stärken unseres Gesellschaftsmodells viel bewusster, gleichzeitig habe ich aber auch realisiert, dass man ein paar Dinge ganz anders angehen könnte und dabei ebenfalls zu guten Resultaten kommen kann.

Wie sieht Ihr Traumhaus oder Ihre Traumwohnung aus?

Das wäre ein Haus, das mit minimalem Ressourcenbedarf ein Maximum an Benutzerkomfort bereitstellt – und das in guter Architektur.

Interview: Lea Zoss, Foto: Gaëtan Bally 

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