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Men Sport Interview

Sven Hannawald freut sich darauf, was sein Weg bereithält

08.04.2020
von Flavia Ulrich

Er flog als Skispringer höher als alle anderen – und stürzte danach tief: Olympiasieger und Weltmeister Sven Hannawald erkrankte an einem Burnout und musste seine Profisportler-Karriere 2005 beenden. Doch Hannawald schöpfte Kraft aus diesem Rückschlag und schlug einen neuen Weg ein. Wohin ihn dieser geführt hat, hat er «Fokus» verraten.

Sven Hannawald

Sven Hannawald

Sven Hannawald, im Mai letzten Jahres sind Sie zum zweiten Mal Vater geworden. Wie geht es Ihnen und Ihrer Familie heute?

Es geht uns gut, danke. Obschon meine Frau Melissa und ich deutlich spüren, dass eine tiefgreifende Umstellung stattgefunden hat. Das ist aber nur natürlich. Glen, unser erstes Kind, hat unser Leben damals auf positive Art und Weise auf den Kopf gestellt. Dementsprechend freuten wir uns sehr auf den weiteren Nachwuchs. Nun merken wir als Eltern aber, dass sehr viel Neues hinzukommt, wenn man auf zwei kleine Kinder gleichzeitig achtgeben muss. Das haben wir im Vorfeld wohl ein wenig unterschätzt. Dennoch sind wir sehr glücklich. Liv ist unser «Wunsch-Mädchen». Und obschon wir uns natürlich ebenso über einen zweiten Jungen gefreut hätten, ist es dennoch sehr schön, dass die Kleine in unser Leben getreten ist.

Ihr Leben hat sich in den letzten drei Jahren auch in anderen Bereichen grundlegend verändert – Sie sind zum Unternehmer geworden. 

Das ist richtig und ich bin froh sagen zu können, dass sich mein Leben als Unternehmer unheimlich gut entwickelt hat. Zusammen mit meinem Geschäftspartner führe ich die SVEN HANNAWALD™ & SVEN EHRICHT Unternehmensberatung, wir beraten und begleiten erfolgreiche Unternehmen, Sponsoren und Sportler.

Was hat Ihnen Ihre Unternehmertätigkeit gelehrt?

Dass es immer einen Weg gibt, auf dem man vorwärtskommt. Die grösste Herausforderung entsteht dann, wenn man vor fünf oder sechs unterschiedlichen Routen steht und sich fragt, welche wohl die richtige ist. In solchen Momenten benötigt man Geduld, Ruhe sowie Vertrauen, dass für jeden von uns ein Weg vorgegeben ist. Das war auch bei mir und Sven Ehricht der Fall. Heute können wir uns auf tolle Partner langfristig verlassen, die hinter uns stehen und unsere Vision mittragen. Die VINCERA Kliniken und TRAVEL CHARME Hotels & Resort begleiten wir sowohl als Unternehmen wie als Menschen.

In Ihren Vorträgen, Talks und Seminaren geben Sie auch Ihre eigenen Erfahrungen mit dem Thema High Performance und Burnout weiter. Sie gehören zu den erfolgreichsten Skispringern überhaupt, doch auf dem Höhepunkt Ihrer Karriere fielen Sie in ein mentales Loch. Wie konnten Sie sich dort rauskämpfen?

Es war ein langer und anstrengender Prozess. Das grösste Problem bestand darin, dass in den frühen 2000er-Jahren das Krankheitsbild «Burnout» noch vergleichsweise unbekannt war. Wenn man sich, wie ich damals, in einem Zustand körperlicher Dauer-Müdigkeit und mentaler Anspannung befand, lautete die Diagnose schnell: Pfeiffersches Drüsenfieber. Doch alle Tests fielen negativ aus. Erst nachdem verschiedenste Ärzte über 1.5 Jahre nichts fanden, wurde dann eine psychische Erkrankung bei mir diagnostiziert. Daraufhin wurde ich in eine Burnout-Klinik eingewiesen – was meiner Skispringer-Karriere im Jahr 2005 ein Ende setzte.

Was war ausschlaggebend dafür gewesen, dass Sie ins Burnout abgerutscht sind?

Gefährdet sind vor allem diejenigen Menschen, die viel Ehrgeiz und Perfektionismus in sich tragen, und nicht abschalten können. Als Skispringer und Spitzensportler ist man natürlich Teil dieser Gruppe. Das Leben im Scheinwerferlicht ist anstrengend und der Leistungsdruck enorm hoch. Zudem weiss man als Spitzensportler, dass man nur ein kurzes Zeitfenster hat, um richtig erfolgreich zu sein. Das schafft enormen Stress.

Was machen Sie heute anders als damals?

Ich suche mir meine Aufgaben heute besser aus. Und wenn ich etwas Wichtiges erledigt habe, stehen danach Erholung und Regeneration auf dem Plan. Danach kann man dann wieder richtig Vollgas geben und sich mit der nötigen Energie der nächsten Aufgabe widmen. Ich möchte den Leuten die Angst vor stressigen Tagen nehmen – denn solche wird es immer geben. Doch wenn man weiss, dass danach die Ruhephase folgt, lassen sich solche Zeiten der Anstrengung besser bewältigen. Denken Sie immer daran: Es gibt ein Leben nach dem Stress und dann werden Sie auch wieder Freude erleben!

Sie haben Ihre Burnout-Erkrankung sehr offen kommuniziert. Denken Sie, dass sich dadurch in der Sportwelt etwas gewandelt hat?

Es gibt weiterhin eine Dunkelziffer, wenn es um Burnouts im Spitzensport geht. Das überrascht nicht, denn schliesslich könnten viele Berater, Vermarkter und Sponsoren die Krankheit als Makel ansehen. Ich möchte anhand meines Beispiels den Leuten einfach aufzeigen, wo das potenziell enden kann. Letztlich muss sich jeder Mensch selber die Frage stellen: Möchte ich das Ganze wirklich soweit kommen lassen, oder nicht? Mir ist es ein grosses Anliegen, dass die Leute auf ihren Körper hören.

Auf den eigenen Körper zu hören geht oft auch in der «normalen» Arbeitswelt vergessen. Sie beraten Firmen im Bereich Corporate Health. Wo sehen Sie dort die Herausforderungen?

Unternehmen bestehen aus Teams. Und jedes dieser Teams setzt sich aus Einzelpersonen zusammen.  Obschon man sich im Team gegenseitig auffangen kann, muss dennoch jedes einzelne Mitglied wissen, wie es sich integrieren und einbringen muss. Um diesen gemeinsamen Weg zum Ziel zu veranschaulichen, führen wir mit den Teams Führungen auf die Skisprungschanzen durch. Denn am Beispiel dieser symbolischen «Karriereleiter» lassen sich anschaulich die Etappen aufzeigen, die eine Mannschaft im Unternehmen auch gemeinsam beschreiten muss.

Wie sieht dieser Weg aus?

Wir starten unten am Auslauf in der Skisprungarena und laufen dann zusammen hoch. Das ist keine leichte Aufgabe, denn der Weg ist steil, manche Menschen leiden unter Höhenangst oder sind unsportlich. Doch gemeinsam finden wir die passende Geschwindigkeit und machen immer wieder Pausen. Tut sich jemand schwer, wird das in den Pausen offen miteinander besprochen, so dass wir darauf eingehen können. Vor kurzem hatten wir eine Gruppe von Managern, in der zwei Teilnehmer unter ausgeprägter Höhenangst litten. Am Ende des Workshops standen diese ganz oben auf der grössten Skiflugschanze der Welt. Wie haben sie das geschafft? Indem ihr Team ihnen die Möglichkeit gab, sich zusammen darauf einzustellen. Es geht dabei um Vertrauen – in sich selbst, in die anderen und vor allem den Weg, den man eigeschlagen hat. Denn wer eine Schanze hochläuft, sieht zeitweise das Ziel nicht mehr. Das ist im Leben nicht anders.

Wohin wird Sie Ihr Weg künftig führen?

Ich plane zwar gewisse Dinge im Voraus, freue mich gleichzeitig aber auch auf die Überraschungen, die mein Weg für mich bereithält. Ich bin ein Mensch, der stark im Hier und Jetzt lebt. Auf jeden Fall werde ich das Heranwachsen unserer Kinder geniessen. Zudem habe ich grossen Spass daran, für Eurosport Skispringen zu kommentieren. Zudem bin ein Liebhaber des Digitalen und werde mich künftig verstärkt mit diesem Feld befassen, aber mit dem Bewusstsein, dass Digitales sich leicht anfühlt, uns als Mensch aber enorm fordert. Deswegen: Mut zur Pause – ohne Handy.

Zur Person

Sven Hannawald wurde am 9. November 1974 in Erlabrunn geboren. Bekannt wurde Hannawald durch seine Karriere als Skispringer, die schon früh seinen Anfang nahm: Bereits im Alter von sieben Jahren nahm Hannawald an einem Skisprunglehrgang teil. Seinen wohl grössten Erfolg erzielte Sven Hannawald im Jahr 2002, als er als erster Mensch alle vier Wettbewerbe der Internationalen Vierschanzentournee gewann, dem bedeutendsten Skisprung-Wettbewerb der Welt. Im gleichen Jahr wurde Sven Hannawald in Deutschland zum Sportler des Jahrs gewählt. 2013 erschien seine Biografie «Mein Höhenflug, mein Absturz, meine Landung im Leben». Seit 2016 ist er Unternehmensberater, Keynote Speaker und TV-Experte bei Eurosport.

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