dorothee bär
Deutschland Innovation Interview

Dorothee Bär: »Die Digitalisierung soll das Leben vereinfachen«

14.09.2020
von SMA

Wie macht man ein Land digital? Als erste Staatsministerin für Digitalisierung verfolgt Dorothee Bär das Ziel, Deutschland fürs digitale Zeitalter fit zu machen. Im Gespräch mit Fokus erzählt sie, welche Herausforderungen zu meistern sind. Ebenso, weshalb die digitale Kompetenz in unserer Gesellschaft gestärkt werden soll.

Frau Dorothee Bär, Sie sind die erste Staatsministerin für Digitalisierung und möchten Deutschland zu einem Vorreiter im digitalen Bereich machen. Die Digitalisierung ist aber ein weitreichendes Thema. Wo fängt man da überhaupt an?

Die Digitalisierung ist ein klassisches Querschnittsthema. Entsprechend der vielen hiervon betroffenen Bereiche gibt es auch eine Vielzahl von Akteuren in dem Bereich, die die Digitalisierung in Planung und Realisierung voranbringen. Meine Aufgabe besteht darin, die Umsetzung der Beschlüsse der Bundesregierung zur Digitalisierung – die Digitale Agenda – zu begleiten und auf die zügige und effiziente Realisierung zu achten und falls nötig einzugreifen. Daneben setze ich mich für ein innovationsfreundliches Klima in den jeweiligen Bereichen ein, um so die Digitalisierung voranzubringen. Eine der größten Herausforderungen im Zusammenhang mit der Digitalisierung ist es, Vorbehalte und Ängste auszuräumen, um die bevorstehenden Veränderungen aktiv zu gestalten. Wir sollten diesen Auftrag annehmen, sonst gestalten Länder und Konzerne mit anderen Wertevorstellungen unsere digitale Zukunft und wir reagieren nur noch.

Die Digitalisierung ist ein klassisches Querschnittsthema. Dorothee Bär

Weshalb ist es jetzt an der Zeit, in der Digitalisierung einen großen Schritt nach vorne zu machen?

Das »Jetzt« ist schon seit Jahren an der Zeit. Wir sehen uns einem großen Veränderungsdruck ausgesetzt: Die Wirtschaft unseres Landes, aber auch weltweit, verändert sich. Neue Produkte, andere Produktionsmethoden und Formen der Zusammenarbeit. Der Handel verändert sich. Der Klimawandel erfordert eine zunehmend nachhaltige Ökonomie, die demografische Entwicklung macht ebenfalls Veränderungen erforderlich. Digitalisierung ist eine Chance, diesen Herausforderungen zu begegnen und damit im globalen Wettbewerb zu bestehen, um den Wohlstand in Deutschland zu sichern. Veränderungen brauchen Zeit, deshalb ist es notwendig, diese Veränderungen immer möglichst frühzeitig einzuleiten und entsprechende Schritte umzusetzen. Wir wollen nicht nur als Industrienation, sondern auch als Digitalnation weiterhin weltweit erfolgreich sein.

In welchen Bereichen ist Deutschland bereits jetzt digital kompetent unterwegs?

Im Bereich der Forschung zur Künstlichen Intelligenz ist Deutschland international hoch anerkannt. Das zeigt sich daran, dass wir auf Platz zwei der weltweit beliebtesten Zielländer für hochqualifizierte Digitalfachkräfte (attraktivster nicht-englischsprachiger Jobstandort der Welt) liegen. Die Zahl der KI-Start-ups in Deutschland stieg im letzten Jahr um 62 Prozent. Im Bereich des Autonomen Fahrens liegen deutsche Unternehmen an der Weltspitze bei den Patentanmeldungen – 58 Prozent der weltweiten Anmeldungen rund um das autonome Fahren kommen aus Deutschland.

Wo sehen Sie Nachholbedarf?

Nachholbedarf sehe ich insbesondere in zwei Bereichen. Zum einen im Bereich der digitalen Bildung: Digitale Kompetenz ist die Grundlage für die erfolgreiche Umsetzung unserer Bemühungen um die Digitalisierung. Hier haben wir mit dem Digitalpakt Schule einen ersten wichtigen Schritt unternommen. Mit dieser Maßnahme wird der Bund mit 5 Mrd. € die Voraussetzungen für die digitale Bildung verbessern.

Ein weiterer Bereich, in dem es Nachholbedarf – oder besser Veränderungsbedarf – gibt, ist die Art und Weise, wie die Gesellschaft auf die Digitalisierung reagiert bzw. mit ihr umgeht. Hier habe ich es mir zur wichtigen Aufgabe gemacht, für einen positiven Umgang mit der Digitalisierung zu werben. Mir geht es darum, gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern zu allererst die Chancen der Digitalisierung herauszustellen. Die Menschen sollen zudem erkennen, dass wir auch mit den sich ergebenden Herausforderungen sachgerecht umgehen und uns um Lösungen kümmern. Der Erfolg der Digitalisierung wird nicht zuletzt auch von der Haltung aller Bürgerinnen und Bürger ihr gegenüber abhängen.

Mir geht es darum, gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern zu allererst die Chancen der Digitalisierung herauszustellen. Dorothee Bär

Wenn vom digitalen Staat gesprochen wird, muss auch immer an die Wirtschaft, die Unternehmen, gedacht werden. Inwiefern wird die Industrie in die neuen Pläne der Regierung miteingebunden? Wo könnten sich Konflikte entwickeln?

Die Digitalisierung wird in erheblichem Umfange auch die Wirtschaft verändern. Solch einen Transformationsprozess kann man nur zusammen gestalten, also Staat und Wirtschaft gemeinsam. Wir als Bundesregierung schaffen zum Beispiel im Bereich Infrastruktur und Ausstattung die Grundlage für eine funktionierende digitalisierte Wirtschaft. Durch die gezielte Förderung von einzelnen Maßnahmen begleiten wir die Umsetzung dieses Transformationsprozesses. Wir schaffen und verbessern die Rahmenbedingungen für Gründung und Wachstum junger digitaler und kreativer Unternehmen in der Stadt, aber auch auf dem Land. Im Bereich der Bauwirtschaft begleiten wir zum Beispiel die Schaffung einheitlicher und herstellerneutraler Standards für den digitalen Datenaustausch. Wir achten damit darauf, dass insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen durch die Digitalisierung keine Marktzugangsbeschränkungen entstehen.

Dass bei so erheblichen Veränderungen Konflikte entstehen können, liegt auf der Hand. Um diese möglichst zu vermeiden oder zu lösen, haben wir verschiedene Gremien geschaffen, bei denen auch Wirtschaftsvertreter mitwirken, zum Beispiel das von mir gegründete »Innovation Council«. In dem Beratergremium sitzen zahlreiche Digitalexperten aus der Privatwirtschaft. Sie liefern uns als Bundesregierung Impulse für die politische Arbeit und digitale Trends. Den Input des Gremiums arbeiten wir in unsere Politik ein. Weiterhin beraten verschiedene Expertengremien die Bundesregierung bei der Erstellung einer Datenstrategie, der von einem Beteiligungsprozess flankiert wird.

Im internationalen Vergleich ist die Angst vor negativen Folgen der Digitalisierung in Deutschland eher hoch. Mit welchen Mitteln und Argumenten können Hemmschwellen abgebaut und Kritiker von der Digitalisierung überzeugt werden?

Es muss allen klar sein, dass Deutschland nicht als einziges Land den Veränderungen durch die Digitalisierung gegenübersteht. Sondern, dass dies alle Industriegesellschaften betrifft. Deutschland steht im internationalen Wettbewerb und wenn es seine Stellung behaupten möchte, müssen wir in Deutschland einen Weg finden, konstruktiv mit den Herausforderungen umzugehen. Der Wandel wird ohnehin stattfinden. Da ist es besser, die Herausforderungen anzunehmen und diese aktiv zu gestalten. Und im Übrigen bin ich der Meinung, dass der Wandel im Rahmen unserer pluralen, demokratischen Strukturen gestaltet wird, der für einen sinnvollen Interessenausgleich aller Beteiligten und Betroffenen durch entsprechende Beteiligungsprozesse sorgt.

Wo sehen Sie langfristig das Potenzial der Digitalisierung für Deutschland?

Wir als Bundesregierung haben uns zum Ziel gemacht, das Leben der Menschen durch die Digitalisierung besser zu machen. Durch gelingende Digitalisierung haben wir die Chance, dass Deutschland seine Stellung als eine der führenden Wirtschaftsnationen halten kann und damit den Wohlstand der Menschen im Lande zu sichern. Durch neue Produkte und Dienstleistungen, die im Zuge der Digitalisierung entstehen, zum Beispiel in den Bereichen Medizin oder Mobilität kann das Leben der Menschen verbessert werden. Und schließlich ist die Digitalisierung eine Voraussetzung für die Lösung von Problemen, die sich durch den Klimawandel und die demografischen Veränderungen ergeben.

Text SMA Foto Bundesregierung / Tobias Koch

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