logistik
Innovation Transport & Logistik

Warum geht es nicht von selbst? Das autonome Lager als Zukunftsvision

15.03.2021
von SMA

Prof. Dr.-Ing. Herbert Ruile
Geschäftsführer Logistikum Schweiz, Altdorf/UR
Bildungs- und Innovationszentrum für Einkauf, Logistik und SCM

Die Frage, warum es nicht von selbst geht, ist seit jeher der Anstoss von Innovationen und technischer Fortschritte. In vielen Lebensbereichen sind Automaten bereits eine Selbstverständlichkeit in unserem Handeln und Denken geworden: vom Kaffeeautomaten bis zum autonomen Fahren. Von der Wasserversorgung im römischen Reich bis zum vollautomatischen Hochregallager des Internethandels. Gerade im e-Commerce hat es den Anschein, dass alles wie von selbst funktioniert: von der Produktauswahl über die Bestellung und Verrechnung bis hin zur Auslieferung in zwei bis drei Tagen. Wer es jedoch genauer wissen möchte, sollte sich vor die Multimediawand im Verkehrshaus der Schweiz stellen und sich spielerisch durch die Systeme navigieren und erfahren, was eine Bestellung per Mausklick auslöst. Er wird dabei überrascht feststellen, wie viel 1000 Hände und Dutzende von Berufsbildern es braucht, bis eine Tafel Schokolade erzeugt, geliefert und die Verpackungen wieder entsorgt sind.

Obwohl wir noch weit weg von voll-autonomen Wertschöpfungssystemen sind, nähern wir uns ihnen schrittweise an. Wir identifizieren Teilbereiche des Wertschöpfungssystems, in denen sich eine weitere Automatisierung bis hin zur Autonomisierung lohnt. Denn nicht alle Arbeitsplätze in der Logistik sind attraktiv und angenehm: Es gibt auch einfache und repetitive Tätigkeiten, unter Staub- und Lärmbelastung zu geringen Löhnen und zu unchristlichen Arbeitszeiten. Nimmt man neben dem stetigen Marktwachstum der Logistik auch die gegenläufige demografische Entwicklung hinzu, werden in absehbarer Zeit geeignete Personalressourcen in der Logistikbranche fehlen. Durch die Digitalisierung werden sich zudem die Branche und ihre Berufsbilder verändern.

Ein zentrales Element in der logistischen Kette ist das Lager. Gerade mit dem e-Commerce und der damit verbundenen Artikelvielfalt und kurzen Lieferzeiten hat der Bedarf an Lager- und Umschlagsfläche erheblich zugenommen. Es liegt auf der Hand, dass die Automatisierung im Lager vorangetrieben wird, um den kostenintensiven Personaleinsatz auf ein Minimum zu reduzieren. Trotz aller Bemühungen und Fortschritte zur Automatisierung ist die Frage geblieben: Warum geht das nicht von selbst? Die Antworten dafür sind vielfältig und verteidigen meist den Status Quo des bisher Erreichten. Pioniere und Innovationsgeister wie Johannes Gutenberg oder Thomas Alfa Edison gaben sich mit solchen Antworten nicht zufrieden, sondern suchten Lösungen, bis der Buchdruck bzw. die Glühbirne erfunden und nutzbar waren.

Autonome Systeme sind Bestandteil der 4. industriellen Revolution, die im Wesentlichen durch den Grad Digitalisierung, den Grad der Individualisierung der Leistung, und dem Grad der Vernetzung durch das Internet geprägt ist. 80 Prozent der befragten Geschäftsführer haben 2020 in einer Umfrage des Swiss Economic Forums (SEF) angegeben, dass ihr Geschäftsmodell auf Grund der Industrie 4.0 sich stark verändern wird. Überwiegend durch das veränderte Logistik- und Wertschöpfungssystem.

Um eine Autonomisierung eines Lagers herzustellen, müssen zumindest folgende vier Ebenen automatisiert und vernetzt sein: Ebene 1 beinhaltet und integriert alle teilautonomen Systeme (incl. diverser Roboter) des Materialflusses von der Warenannahme über die Ein-/Auslagerung und Kommissionierung bis zum Warenausgang im Lager. In Ebene 2 werden die Elemente und Objekte aus Ebene 1 mit der Gebäudesteuerung und Gebäudemanagements verbunden: Tore- und Türenmanagement, Klima- und Energiemanagement, Lade- und Parkstationen, Puffer- und Reserveflächen sowie innerbetriebliche Verkehrswege und Verkehrssteuerung. Auf Ebene 3 wird das Lagergebäude und dessen Materialflusssystem mit dem Standort verknüpft: Zufahrtsregelung, Verwaltung von Park- und Wartebereichen, Ladestationen, Docking- und Entlademanagement usw. Schliesslich werden auf Ebene 4 die bisherigen Ebenen mit dem externen Transport- und Logistiksystemen verbunden. Durch die Vernetzung auf Ebene 4 werden schliesslich bessere Verkehrsvorsteuerung, höhere Warenverfügbarkeiten, kürzere Lieferstrecken und Lieferzeiten ermöglicht werden.

Die nächsten Schritte der Autonomisierung eines Lagersystems, das alle 4 Ebenen berücksichtigt, tragen damit zu einer nachhaltigen Gestaltung der Logistiksysteme bei: deutlich weniger Verkehr und Umweltbelastung, bessere und attraktivere Arbeitsbedingungen für die Mitarbeitenden, höhere Auslastung und Nutzung der Anlagen sowie gleichzeitig verbesserte Kundenservices bei geringeren Kosten: eine Win-win Situation.

Text Prof. Dr.-Ing. Herbert Ruile

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