digitaler zwilling
Digitalisierung Innovation

Der digitale Zwilling: Eine zukunftsweisende Innovation

21.04.2021
von Fatima Di Pane

Digitale Zwillinge bieten ein riesiges Potenzial für die Industrie, egal ob Grossunternehmen oder KMU. Stefan Schnider, Head of Digital Industries Schweiz bei Siemens, erklärt mehr. 

Herr Stefan Schnider, worum handelt es sich bei einem digitalen Zwilling genau?

Beim digitalen Zwilling handelt es sich um ein virtuelles Abbild eines Produktes, einer Produktion oder der Performance einer kompletten Anlage. Mit dieser zukunftsweisenden Innovation kann man einzelne Prozessschritte nahtlos miteinander verknüpfen, was der Kundschaft einen erheblichen Wettbewerbsvorteil bietet.

Abhängig davon, wofür der digitale Zwilling eingesetzt wird, ändert sich seine Ausprägung. Bei der Planung eines Produktes entsteht das virtuelle Abbild bereits während den Entwicklungs- oder Designprozessen. Dadurch kann man verschiedene Produkteigenschaften beliebig oft mit den jeweiligen Kundenanforderungen simulieren und ausgiebig testen. So hat man zum Beispiel stets die Gewissheit, dass das Produkt stabil und intuitiv nutzbar ist, beispielsweise dass die Fahrzeugkarosserie möglichst wenig Luftwiderstand aufweist oder die Elektronik zuverlässig funktioniert. Egal ob Mechanik, Elektronik, Software oder Systemverhalten – durch den digitalen Zwilling kann man dies alles bereits im Vorfeld testen und optimieren.

Ähnliches gilt für den digitalen Zwilling in der Produktion. Dort bildet er den Einsatz von Maschinen und Anlagesteuerungen bis hin zu ganzen Fertigungsstrassen in der virtuellen Umgebung ab. Dank dieser Simulation kann die Produktion mit der Generierung der Automatisierungsprogramme und virtueller Inbetriebnahme vorab optimiert werden. Hierdurch lassen sich potenzielle Fehler- und Störquellen bereits vor der eigentlichen Inbetriebnahme erkennen und beheben. Das spart Zeit und ist ein Wegbereiter für die individuelle Massenproduktion, da auch hochkomplexe Fertigungswege in kürzester Zeit aufwandsarm berechnet, getestet und programmiert werden können.

Schliesslich verbessert der digitale Zwilling auch die Performance. Dafür wird er laufend mit den Daten aus dem Betrieb von Produkten oder Produktionsanlagen versorgt. Somit lassen sich permanent Zustandsdaten aus den Maschinen oder Energieverbrauchsdaten verfolgen. Auf dieser Basis lassen sich sowohl vorausschauende Instandhaltungsstrategien als auch Optimierungen realisieren.

Welche Branchen können vom Einsatz dieser Technologie profitieren?

Im Prinzip kann man für alles ein virtuelles Abbild erstellen. Somit eignen sich die Einsatzmöglichkeiten für alle Industriebranchen. Die Schweizer Maschinenindustrie gilt als sehr innovativ und hat den Nutzen der Technologie und der digitalen Transformation schon früh erkannt. Mittlerweile haben aber auch andere Industriezweige die Vorteile für sich entdeckt. Somit reicht der Einsatz des digitalen Zwillings von der Food & Beverage Industrie über die Elektrotechnik- und Elektronik-Branche, der Wasser- und Abwasserwirtschaft bis hin zu den Automobilzulieferern – Tendenz steigend.

Bei welchen Prozessen ist der Einsatz von digitalen Zwillingen besonders geeignet? Welche Vorteile bringen diese?

Die Arbeit mit dem digitalen Zwilling ermöglicht es, den gesamten Produktlebenszyklus – und bei Bedarf sogar den Fabrik- und Anlagenlebenszyklus – zu integrieren. Kurz gesagt: Alle erforderlichen Komponenten eines Projektes werden integriert, sogar der digitale Zwilling des Gebäudes. Die erzeugten Performancedaten, die man in der physischen Welt erfasst, ermöglichen einen kontinuierlichen und offenen Optimierungskreislauf sowohl für das Produkt als auch für die Produktion.

Wie zugänglich ist diese Technologie für KMU?

Aufgrund der einfachen und schnellen Skalierbarkeit der digitalen Transformation ist der digitale Zwilling nicht nur für Grossunternehmen interessant. Er eignet sich somit auch bestens für kleinere Unternehmen. Viele Schweizer KMU machen es vor und haben den Nutzen dieser Technologie in ihren Produktionsprozessen von Anfang an integriert. Mit dieser frühen Integration konnte beispielsweise die Swiss Can Machinery Wettbewerbsvorteile für sich realisieren, um im hart umkämpften internationalen Markt erfolgreich zu agieren. Vor allem jetzt in der Coronakrise hat sich der digitale Zwilling besonders bewährt.

So konnte auch die Ruggli AG bei der Entwicklung einer komplexen Anlage für die Tampon-Herstellung den kompletten Prozess im Voraus auf Herz und Nieren prüfen. Dank dieser sorgfältigen Vorbereitung konnten die Entwickler*innen Zeit sparen und sich über eine reibungslose Inbetriebnahme freuen.

Als letztes Erfolgsbeispiel für die vielen Einsatzmöglichkeiten des digitalen Zwillings ist die neue Abwasserreinigungsanlage Oberengadin. Hierfür wurde erstmals in der Schweiz die gesamte Anlage vollständig digital mit dem digitalen Zwilling geplant. Anschliessend wurde die Automatisierung virtuell simuliert und getestet. Das Resultat lässt sich mehr als sehen, denn die ARA Oberengadin zählt momentan zu den modernsten und innovativsten Anlagen innerhalb der Landesgrenzen.

Inwiefern kann man Virtual beziehungsweise Augmented Reality und digitale Zwillinge miteinander kombinieren? Wozu?

Augmented Reality bildet zusammen mit den Informationen aus dem digitalen Zwilling die Basis für neuartige Konzepte zur Visualisierung von Industrieanlagen sowie für digitale Instandhaltungskonzepte der Zukunft. Der Aufwand für die Fehlersuche vereinfach man mithilfe einer sogenannten Datenbrille erheblich. Die Informationen aus dem digitalen Zwilling stehen den Maschinenbedienern oder den Service-Mitarbeitenden zur Verfügung, um die Bedienung oder Instandhaltung effizienter zu gestalten.

Interview Fatima Di Pane 

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