fashion fashion revolution week: «what you wear matters»
Lifestyle Fashion

Fashion Revolution Week: «What you wear matters»

20.04.2021
von Akvile Arlauskaite

Mehr ist mehr – unsere Konsumgesellschaft hat es in sich. Verbraucher*innen wollen das meiste aus ihrem Geld rausholen, doch genau bei Kleidung soll und darf man sich nicht ausschliesslich von Tiefpreisen leiten lassen. Dass Billigkleidung einen weitaus höheren Preis hat, als viele Modebegeisterte vermuten würden, möchte die jährlich in der Woche vom 24. April stattfindende, weltweite «Fashion Revolution Week» aufzeigen.

Tiefstlöhne, Umweltverschmutzung und miserable Arbeitsbedingungen – dass die Modeindustrie in vielen Aspekten problematisch ist, mag vielen bewusst sein. Die Ungerechtigkeiten und Problematiken dieser Branche gehen laut Susanne Rudolf, Country Coordinator von «Fashion Revolution Switzerland», vor allem von den grossen westlichen Firmen aus, die daraus Gewinne ziehen. «Historisch gesehen war Mode schon immer ein System, von dem nur wenige profitiert haben und viele ausgebeutet wurden.» Hier besteht Bedarf nach Politik, um Rahmenbedingungen zu setzen, die Nachhaltigkeit fördern und Menschenrechte schützen.

Besonders gravierend sind laut Rudolf die Dynamiken der Fast-Fashion-Industrie. Denn sie verschärfen die Problematiken der Ausbeutung umso weiter. «Die Produktionszyklen der Kleidung wurden in den letzten Jahrzehnten enorm beschleunigt. Traditionell stehen in der Modewelt zwei Kollektionen im Jahr an. Mittlerweile ist dieser Zyklus auf zwölf bis sogar 26 Kollektionen jährlich angewachsen», erklärt Rudolf. Bei manchen Fast-Fashion-Anbietern sei ein Stück bloss drei Wochen lang im Angebot. Hinzu kommen zunehmend tiefere Preise, die so nur durch Löhne unterhalb des Existenzminimums der Arbeitenden möglich sind.

Konsumierende: Teil des Problems, Teil der Lösung

Gerade diese Kombination aus Tiefpreisen und Beschleunigung der Produktion lockt Konsumierende immer häufiger in die Fast-Fashion-Läden. Denn unter diesen Bedingungen können (und wollen) sie sich immer öfter Neues leisten. «Dies auf Kosten von anderen», erläutert Rudolf. Zudem wird hierdurch die Abfallproblematik angekurbelt: Weltweit landet im Sekundentakt eine LKW-Ladung Kleidung auf der Müllhalde, so eine Statistik der Ellen MacArthur Foundation.

Hieran wird deutlich, dass der Wandel der Modeindustrie bei jeder und jedem Einzelnen anfängt: «Wir alle kaufen und tragen Kleidung, also sind wir Teil einer weltweiten Lieferkette und somit auch der erwähnten Problematik. Gleichzeitig können wir hierdurch Teil der Lösung werden, denn kaum in einem anderen Bereich können Konsumierende derart viel tun, wie in der Modebranche», erläutert die Expertin. 

Entstehung der Bewegung

Und genau an dieser Stelle setzt die «Fashion Revolution»-Bewegung an. Gegründet wurde sie als Reaktion auf den fürchterlichen Fabrikeinsturz des achtstöckigen Fabrikkomplex «Rana Plaza» in Bangladesch am 24. April 2013. Bei diesem kamen 1135 Arbeitende um ihr Leben, über 2500 weitere Personen wurden verletzt. Grund für die Katastrophe: Baumängel in Verbindung mit grober Fahrlässigkeit. Denn obwohl am Vortag Risse in den Wänden des Gebäudes gesichtet worden sind, wurden Textilarbeitende dazu gezwungen, weiterzuarbeiten. Das Erschreckendste hieran ist, dass es dem Grossteil der Marken, deren Kleidung in Rana Plaza produziert wurde, gar nicht erst bewusst war, dass sie Teil der Tragödie geworden sind.

Dieser Vorfall hat es deutlich gemacht: So kann es in der Modebranche nicht mehr weitergehen. Insbesondere, weil weltweit rund 60 bis 75 Millionen Menschen in Fabriken der Modeindustrie beschäftigt und somit direkt von den Praktiken der Industrie betroffen sind. 80 Prozent davon sind Frauen, die gemäss «Fashion Revolution» besonders stark unter den Arbeitsrechtsverletzungen leiden.

Fashion Revolution Week als jährliches Highlight der Bewegung

Um einen Wandel in der Modebranche zu initiieren, wurde ein Jahr später die weltweite «Fashion Revolution Week» ins Leben gerufen. Mit der Mission, «eine Revolution in Gang zu setzen, welche die Art und Weise, wie Kleider hergestellt, gekauft und benutzt werden, radikal ändert – damit alle Menschen sichere, saubere und faire Kleider tragen können.» Hierzu sollen Konsumierende über die Produktionsbedingungen ihrer Kleidung sensibilisiert werden und ihnen dabei fairer, nachhaltiger Umgang mit Mode aufgezeigt werden. 

Die «Fashion Revolution Week» findet in der Zeit um den Jahrestag der Tragödie von Rana Plaza statt und stellt den jährlichen Höhepunkt der Bewegung dar. «Zu dieser Zeit organisieren Freiwillige in der Schweiz verschiedene Veranstaltungen in neun Regionen: Workshops zum Flicken und Upcyclen von Kleidung, Diskussionsforen, Fashion-Märkte mit Second Hand und vorbildlich produzierenden Labels sowie Filmvorführungen wie «True Cost»», erzählt die Country Coordinator der Bewegung.

Transparenz als erster (und notwendiger) Schritt zur Besserung 

An erster Stelle fordert die Bewegung Transparenz entlang der gesamten textilen Wertschöpfungskette. Dabei geht es laut Susanne Rudolf darum, Verantwortung zu übernehmen. Es muss klar sein, wer, was, wo und unter welchen Umständen produziert. Nur so können Modelabels selbst Verbesserungen vornehmen und für ihr Tun und Lassen verantwortlich gemacht werden.

Allerdings mangelt es insbesondere bei Grossunternehmen an Transparenz. «Dies liegt auch an der Komplexität der Lieferketten, die aus vielen verschiedenen Stufen bestehen», erklärt Rudolf. «Marken besitzen nämlich nur selten eigene Fabriken, sondern geben Aufträge weiter, die wiederum weitergeleitet werden und so fort – schlussendlich weiss niemand mehr, wo die Stücke hergestellt worden sind», führt die Expertin aus.

Aktivist*innen fordern deshalb mit dem Hashtag #WhoMadeMyClothes nach Transparenz in der Modeindustrie. Mit dem Zweck, auf deren humanitäre und ethische Probleme aufmerksam zu machen sowie Modehersteller*innen ein Gesicht und eine Stimme zu geben. Tatsächlich hat die Bewegung weltweit hohe Wellen auf Social Media geschlagen. Textilarbeitende reagierten darauf sogar mit eigenen Beiträgen unter dem Hashtag #IMadeYourClothes.

Fashion-Revolution-Aktivist*innen. Bildrechte: Fashion Revolution Switzerland.

Alarmstufe Grün: «Greenwashing» vermeiden

Inzwischen ist der Trend zu mehr Nachhaltigkeit auch in der Modeindustrie angekommen. «Viele Brands sind sich der zunehmenden Nachfrage nach mehr Transparenz und besseren Konditionen für Mensch und Umwelt mittlerweile bewusst. Sie können es sich nicht mehr leisten, nichts zu tun», so Rudolf. Doch nicht alle Modelabels, die nach aussen grün scheinen, leben nachhaltige Praktiken auch tatsächlich nach innen – Schlagwort: «Greenwashing». 

Doch wie können Konsumierende diese Marketingmasche entlarven? Nebst der Farbe Grün, welche bemerkenswert häufig beim Vermarkten von scheinbar fair produzierter Mode verwendet wird, sind laut Rudolf die aktive Recherche sowie kritisches Hinterfragen der effektivste Weg, Greenwashing-Praktiken aufzudecken: «Ob die Labels tatsächlich nachhaltig handeln, oder ob es nur schöne Worte sind.» Man solle genauer hinschauen, ob die Firma Verantwortung übernimmt und existenzsichernde Löhne bezahlt. Weitere wichtige Fragen lauten: 

  • Weist das Businessmodell des Unternehmens kurze Produktionszyklen auf?
  • Ist das Businessmodell des Unternehmens eindeutig auf Trends ausgerichtet?
  • Kommuniziert das Unternehmen transparent?
  • Gibt das Unternehmen dessen Defizite zu? 
  • Lässt sich das Unternehmen zertifizieren?
  • Arbeitet das Unternehmen mit unabhängigen Akteur*innen, NGOs, Gewerkschaften zusammen? 
  • Nennt das Unternehmen Lieferanten, mit denen es langjährige Beziehungen pflegt?
  • Wo werden die Produkte des Unternehmens hergestellt? 

Doch gerade in puncto Produktionsstandort dürfe man laut Susanne Rudolf noch lange nicht aufatmen, nur weil etwas in Europa hergestellt wurde. «Während die Löhne in Osteuropa teils sogar noch tiefer sind als in China, handeln neueste Skandale über miserable Arbeitsbedingungen in Modefabriken Italiens und Englands», erklärt sie.

Auch können die verwendeten Materialien viel über ein Modelabel aussagen. Rudolf warnt vor Marken, die bei ausgewählten Linien mit recycelten oder aus dem Meer gefischten Materialien sowie Bio-Baumwolle prahlen. «Hier ist der Anteil an der Gesamtproduktion entscheidend. Um wirklich nachhaltig zu sein, müsste mindestens 50 Prozent der Kollektion auf eine faire Weise hergestellt sein.» Und gerade bei Buzzwords wie «veganes Leder» sollte man laut der Expertin aufpassen: «Nur weil dieses vegan ist, heisst es nicht per se, dass es umweltschonend hergestellt wurde. Veganes Leder besteht in den meisten Fällen aus Plastik.» Schlussendlich ist beim Material der Kleidung wichtig, dass natürliche statt künstliche Materialien verwendet werden.

Bewusst konsumieren

Vor allem in ihrem Konsumverhalten sind Individuen gefragt, einen Wandel in der Modebranche zu initiieren. Denn insbesondere im Fashion-Bereich haben sich gesellschaftliche Konsummuster in den letzten Jahrzehnten drastisch verändert. Konsumierende kaufen heute gemäss «Fashion Revolution» und «Greenpeace» 400 Prozent mehr Kleider als noch vor 20 Jahren – Schweizer*innen erwerben 60 neue Stücke pro Jahr.

«Bevor man also etwas kauft, sollte man zunächst tief durchatmen und sich fragen: Brauche ich das wirklich? Lautet die Antwort ‹ja›, so sollte man sich überlegen, wie oft man das Stück tragen würde – Stichwort: Cost per Wear», rät Susanne Rudolf. Insbesondere seltener benötigte Stücke wie Festtagskleidung müssten nicht mehr gekauft, sondern können alternativ gemietet oder geliehen werden.

Kauft man aber wirklich etwas Neues, so soll man zu vorbildlichen, kleineren Labels greifen, um die lokale Industrie zu fördern. Modemarken, die Greenwashing betreiben, gilt es hingegen zu vermeiden. Zudem soll dabei auf qualitativ hochwertige Materialien sowie faire Herstellung geachtet werden. Durch solches Konsumverhalten können Einzelne gemäss Rudolf ein Zeichen setzen und den Verantwortlichen die Kontrolle wegnehmen. Ganz im Sinne des «Fashion Revolution»-Mottos – «What you wear matters».

Neuen Bezug zur Kleidung entwickeln

«Doch das wichtigste am persönlichen Kleiderkonsum ist, dass man wirklich Freude am Kleidungsstück hat und dieses auch tatsächlich trägt.» Laut Susanne Rudolf sollen Konsumierende ein neues Verhältnis zur Kleidung entwickeln. Diese sollte man über eine lange Zeit schätzen, statt dem Bedürfnis nachzugehen, ständig Neues zu konsumieren. Second Hand oder Vintage kaufen, Kleider tauschen, mieten, flicken – all dies sind Möglichkeiten, um Mode und Kleidung nachhaltiger zu konsumieren und trotzdem weiterhin Freude daran zu haben. «Man darf schlussendlich nicht vergessen, dass ein Mensch dieses Stück hergestellt hat – egal, wie billig es war», so die Country Coordinator von «Fashion Revolution Switzerland».

Text Akvile Arlauskaite

Die Fashion Revolution Week 2021 findet vom 19. April – 25. April statt.

Fashion Trails durch verschiedene Städte, virtuelle Workshops, Künstler*innen Performances und diverse Talks inspirieren und regen zur Diskussion über die Zukunft der Modewelt an.

Mehr Informationen unter
www.fashionrevolution.ch

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