portrait von dr. khalil amine
Nachhaltigkeit Energie Interview

Dr. Khalil Amine: «Die Nutzung von Energie wird die grösste Herausforderung darstellen»

31.03.2020
von Lars Meier

In Zürich neigt sich der Tag bereits dem Ende zu, als das Telefoninterview mit Dr. Khalil Amine stattfindet. Im mehr als 7000 Kilometer entfernten Chicago ist Vormittag, wo der Wissenschaftler über Batterien forscht. Er war der meistzitierte Wissenschaftler im Feld der Batterietechnologie zwischen 1998 und 2008, und der Gewinn des renommierten Global Energy Prize für seine Beiträge zur Entwicklung effizienter Speichersysteme für elektrische Energie 2019 machte ihn zu einem der relevantesten Forscher unserer Zeit. Ein Gespräch über seinen enormen Forschungsbeitrag und die Forschung der Zukunft.

Dr. Khalil Amine, warum wollten Sie Batterieforscher werden?

Ich habe in Interkalationschemie promoviert. Wir haben damals Metallfluoride in Kohlenstoff interkaliert und nach einer Möglichkeit gesucht, sie als Elektroden für Batterien zu verwenden. Das war von 1986 bis 1989. Danach ging ich nach Japan, wo ich an fluorierten Kohlenstoffmaterialien arbeitete, die in Primärbatterien wie Uhren und einigen weiteren elektronischen Geräten verwendet werden. 1991, als ich noch in Japan war, hat Sony die erste Lithium-Ionen-Batterietechnologie auf den Markt gebracht. Ich habe mich daraufhin noch stärker mit diesem neuen Konzept befasst und angefangen, an der Entwicklung der Kathoden und Anoden der nächsten Generation zu arbeiten, während ich im Osaka National Laboratory und als Gruppenleiter bei der Japan Storage Battery Company tätig war. Als ich ein Kind war, wollte ich Arzt werden, aber ich hatte und habe immer noch ein grosses Problem: Ich kann kein Blut sehen.

Ihre Arbeit als Forscher umfasst 586 Artikel in nur 18 Jahren. Das ist sehr beeindruckend! Was ist Ihr Geheimnis, um so produktiv zu sein?

Ich sage mir immer: Ich muss die Dinge anders sehen. Manchmal hat man einen berühmten Professor oder Wissenschaftler, der etwas veröffentlicht hat, und alle springen auf diesen Zug auf, sodass der Fortschritt sehr gering ist. Aber ich suche immer nach einer Möglichkeit, Dinge anders zu machen, um eine Wirkung zu erzielen. Ich hatte dabei in vielen Fällen Erfolg, denn ich habe viele Technologien erfunden, zum Beispiel das Schwefelsystem. Die meisten Forschenden versuchten, Schwefel in Kohlenstoff zu integrieren, um die Leitfähigkeit zu erhöhen. Schwefel weist jedoch mehrere Hauptprobleme auf: Wenn man sich die veröffentlichten Veröffentlichungen ansieht, dreht sich alles um die Integration von Schwefel in verschiedene Kohlenstoffe.

Früher habe ich fast siebzehn Stunden am Tag gearbeitet. Khalil Amine

In unserem Fall hatten wir eine clevere Idee: Wir verwendeten Selen und kombinierten es mit Schwefel, um die sowohl die Leitfähigkeit als auch den Shuttle-Effekt zu beseitigen – ein völlig neuer Ansatz. Dies ist ein Beispiel dafür, wie man innovativ sein und daher natürlich viel veröffentlichen kann. Daher ist auch harte Arbeit von entscheidender Bedeutung. Früher habe ich fast siebzehn Stunden am Tag gearbeitet. Harte Arbeit und innovative Ideen können die eigene Produktivität enorm erhöhen. Letztendlich ist es aber nicht das Wichtigste, wie viele Artikel ich veröffentlicht habe, sondern, wie oft sie zitiert werden und wie wichtig ihre Wirkung ist!

Der russische Energieminister Alexander Novak und der US-amerikanische Preisträger Khalil Amine an der Vergabe des Global Energy Prize 2019.

Der russische Energieminister Alexander Novak und der US-amerikanische Preisträger Khalil Amine an der Vergabe des Global Energy Prize 2019.

Sie haben Lithium-Ionen-Batterien revolutioniert, indem Sie einen Weg gefunden haben, sie effizienter zu machen. Wie?

Ich bin keiner der Wissenschaftler, die sich auf ein bestimmtes Thema konzentrieren. Aber in meinem Fall arbeite ich mit Elektrolyten, Kathoden, Anoden, Natrium-Ionen-, Lithium-Luft-, Festkörper- und Lithium-Schwefel-Batterien und vielem mehr. Wenn man an vielen verschiedenen Themen arbeitet, ist es einfach, eine Idee aus einem Thema zu übernehmen und auf andere anzuwenden, so auch in diesem Fall. Man muss wirklich eine breite Sicht auf die Dinge haben.

Warum ist diese neue Art von Batterie auch in Zukunft für Elektroautos unverzichtbar?

Eine der grössten Erfindungen, die wir hatten, ist die Erfindung der NMC-Kathode, also Nickel-Mangan-Kobalt-Kathode. Diese wurde in unserem Labor erfunden und war wegweisend für Elektrofahrzeuge. Die meisten Elektrofahrzeuge verwenden sie, wie Chevrolet, BMW, Toyota, Honda, Porsche, Audi und Mercedes. Neben Autos kann die Batterie auch in anderen Bereichen eingesetzt werden, beispielsweise für elektronische und medizinische Anwendungen sowie im militärischen Gebrauch.

Sie haben den renommierten Global Energy Prize gewonnen. Was bedeutet diese Auszeichnung für Sie?

Es ist eine grosse Anerkennung und ich war wirklich sehr überrascht, als ich meinen Namen als Finalist im Vorjahr sah. Aber dann sagte ich mir: Du hast das alles aus eigener Kraft geleistet und es hat grosse Auswirkungen auf die Gesellschaft, also hast du wirklich gute Chancen. Und als ich gewonnen habe, war ich sehr aufgeregt und erfreut, anerkannt zu werden. Ich bin mir bewusst, dass es eine grosse Ehre und eine enorme Anerkennung ist. Zudem habe ich in meiner Karriere vielleicht 40 oder 50 Preise gewonnen, aber der Global Energy Prize ist wirklich herausragend. Ich bin sehr glücklich und der Association ausgesprochen dankbar.

Auf welche wissenschaftlichen Errungenschaften sind Sie am meisten stolz?

Ich würde sagen, es gibt zwei: Die erste ist die Entwicklung der NMC-Kathode. Ich persönlich habe noch kein Elektroauto, werde aber nächstes Jahr eines kaufen. Aber wenn ich mit meiner Tochter nach draussen gehe und eines sehe, bin ich stolz darauf, ihr zu sagen: «Daddy hat einen Beitrag zu diesem Auto geleistet!» Sie freut sich immer sehr, das zu hören und erzählt ihrer Freundin davon. Der zweite ist ein Miniatur-Bion-Mikrostimulator, der unsere Batterie-Chemie verwendet und in den menschlichen Körper injiziert werden kann, um den Schamnerv zu stimulieren und die Harninkontinenz bei hauptsächlich älteren Menschen zu überwinden. Er kann auch verwendet werden, um die Muskelfunktion für Menschen, die einen Schlaganfall erlitten, wiederherzustellen. In diesem Fall müssen jeweils viele Bionen in den Körper injiziert werden.

In welchen Bereichen sollte die Wissenschaft schneller vorankommen?

Bezuglich Energie würde ich sagen, dass die Entwicklung von kostengünstigen, stabilen und sicheren Energiespeichern mit hoher Reichweite erforderlich ist, um die Kosten zu senken und die Elektrifizierung aufzuwenden. Das ist zum Beispiel etwas, was aber bereits in Gange ist. Obwohl die Batterien elektrifiziert sind, muss man sich immer die Frage stellen: Woher stammt die Energie, welche die Batterie auflädt? Bei der Verwendung von Benzin ist dies immer mit Umweltverschmutzung verbunden. Daher ist eine Technologie zur Kohlenstoffbindung erforderlich. Andere erneuerbare Energiequellen sind ebenfalls von entscheidender Bedeutung, da die grösste Herausforderung in den nächsten fünfzig Jahren Energie ist – nicht das Bevölkerungswachstum oder Ressourcen wie Nahrung oder Wasser!

Welche Umstände begünstigen wissenschaftliche Innovation und Fortschritt?

Man muss offen für Kooperationen sein, weil sie helfen, die Wissenschaft schneller voranzubringen. Wir haben viele Kooperationen auf der ganzen Welt, zum Beispiel in China, Korea, Japan, aber auch in Europa. Die persönlichen Fähigkeiten und Mittel sind auch sehr wichtig. Mit dem Argonne National Laboratory hier in Chicago haben wir zum Beispiel sehr viel Glück, weil es auf dem neusten Stand der Technik ist, den man so nirgendwo anders auf der Welt findet. «Last but not least» ist die Finanzierung dieser Aktivitäten von wesentlicher Bedeutung. Es ist also letzten Endes eine Kombination aus vielen Dingen.

Betrachten Sie sich als Umweltschützer? Wie wirkt sich das auf Ihren Alltag aus?

Ja, natürlich. Als Wissenschaftler glaube ich selbstverständlich an die globale Erwärmung. Wie gesagt, ich werde ein Elektroauto kaufen und mein Haus verwendet ein effizientes System, um den Verbrauch von Wärme zu minimieren. Ich achte auch auf die Minimierung von Abfall, weil mein Vater mir davon erzählt hat, als ich klein war, obwohl er damals nicht wusste, welche Relevanz das heute hat.

Sie haben mehrere renommierte Auszeichnungen erhalten und sind der am meisten zitierte Wissenschaftler in Ihrem Forschungsbereich. Welchen Rat würden Sie jungen Wissenschaftlern geben?

Arbeiten Sie hart und haben Sie Vertrauen in Ihre Arbeit. Versuchen Sie auch, nicht nur dem zu folgen, was andere Leute tun. Man muss die Dinge anders und aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten, um innovativ und kreativ zu sein. Diesen Rat gebe ich auch ständig meinen jungen Wissenschaftlern. Es ist häufig der Fall, dass ein berühmter Wissenschaftler etwas Neues etabliert und alle Menschen danach dasselbe tun, was den Fortschritt hemmt. Glauben Sie an sich selbst und lassen Sie sich nicht von den Ergebnissen von berühmten Wissenschaftlern einschüchtern. Sie müssen erkennen: Ich bin genau so gut wie andere und kann auch etwas bewirken!

Gibt es ein Zitat oder ein Motto, das Sie inspiriert?

Ja, ich habe mein eigenes Zitat. Es stammt aus meiner Rede beim Gewinn des Global Energy Prize: «Wer schnell aufgibt, wird nie etwas erreichen. Wer hartnäckig und einfallsreich ist, dem sind keine Grenzen gesetzt, was er oder sie erreichen kann!»

Über Dr. Khalil Amine

Dr. Khalil Amine stammt aus Marokko und studierte in Frankreich Materialwissenschaften. Sein persönlicher Fokus in der Forschung liegt auf der fortschrittlichen Batterientechnik mit Lithium-Ionen, darüber hinaus hat er eine besonders energieeffiziente Kathode entworfen, die in vielen Elektroautos und Haushaltsgeräten weltweit verwendet wird. Seit 2016 ist er zudem Professor an der kalifornischen Eliteuniversität Stanford; 2019 gewann er den renommierten Global Energy Prize für seine Beiträge zur Entwicklung effizienter Speichersysteme für elektrische Energie. 2017 ging dieser Preis in die Schweiz: Prof. Dr. Michael Grätzel erhielt den Preis damals für seine Verdienste bei der Entwicklung kostengünstiger und effizienter Solarzellen – bekannt unter dem Namen «Grätzel-Zellen».

Interview Lars Gabriel Meier
Bilder zVg

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