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Bildung Gesundheit

ASMR – Entspannung mit Alltagsgeräuschen

16.06.2020
von Dominic Meier

Knistern, Rascheln oder Flüstern: Mit ASMR kann man sich angeblich so richtig entspannen. Dem Internet gefällt’s – und Forscher versuchen herauszufinden, was hinter dem Entspannungs-Phänomen steckt.

ASMR steht für «Autonomous sensory meridian response» und beschreibt ein Phänomen, welches besonders durch das Internet Aufmerksamkeit erlangte. Die Videos sollen demgemäss ein anregendes Kribbeln und tiefe Entspannung auslösen. Was verbirgt sich hinter dieser «Wellness-Massage» fürs Gehirn?

Gänsehaut deluxe

Was viele unter ASMR verstehen, ist in Forschungskreisen nicht so klar definiert. Insofern versteht man darunter verschiedenste Videokonzepte, die alle ähnlich aufgebaut sind und auf sehr ähnliche Effekte abzielen. Der Fokus liegt dabei auf kleinen, sonst eher unscheinbaren Alltagsgeräuschen. Diese werden in den ASMR-Videos bewusst repetiert, um zu «triggern» und dadurch positive Effekte für den Körper auszulösen.

Entspannen durch Geräusche? ASMR-Videos gibt es auf YouTube wie Sand am Meer.

«Betroffene beschreiben ein intensives Kribbeln, ein stärkeres Entspannungsgefühl oder sogar angenehme haptische Erlebnisse, welche dem Gänsehaut-Feeling nahekommen», erklärt Claus-Christian Carbon, Professor für Allgemeine Psychologie und Methodenlehre an der Universität Bamberg in Deutschland. «Doch im Gegensatz zur oft kurzweiligen Gänsehaut hat ASMR eine längerfristige Wirkung. Die ständige Repetition von Handlungen führt zu Gewöhnungseffekten und schliesslich zu einer nachhaltigen Entspannung», so der Wahrnehmungspsychologe weiter.

Nachgewiesene Effekte

Da man Dinge von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich wahrnimmt, ist es wissenschaftlich schwierig zu sagen, was ASMR bei Menschen auslöst. Mittels experimenteller Untersuchungen aber hat man bereits erste Erkenntnisse, inwiefern ASMR auf Menschen wirken kann: «Wir versuchen, das Erlebnis während des Konsumierens von ASMR-Inhalten zu verstehen, indem wir unsere Versuchspersonen über eine längere Zeit mit solchem Material beschäftigen lassen. Folglich erhalten wir die typischen Reaktionen, welche von rhythmusartigen Erlebniserfahrungen geprägt sind ­­– ein Wechselspiel zwischen starker Erregung und anschliessend tiefen Entspannungsphasen», erläutert Claus-Christian Carbon.

Manchmal muss man sich länger mit ASMR beschäftigen, um eine Phase der Entspannung erreichen zu können. Claus-Christian Carbon

ASMR braucht auch Zeit

Nicht jeder erlebt das Phänomen und dessen Effekte aber gleich. Vielmehr reagieren Personen beim Anschauen der Videos eher mit Abneigung anstelle von Entspannung und können nichts damit anfangen. Gibt es demnach Menschen, die «immun» sind? «Personen, die in unseren Untersuchungen zuerst mit Abneigung auf solche Inhalte reagierten, haben nach häufigem Konsumieren dennoch oft positive Erlebnisse verzeichnen können. Es scheint also so, dass man sich eventuell länger mit ASMR beschäftigen muss, um Phasen der Entspannung erreichen zu können. Wissenschaftlich gesichert ist dies aber noch nicht», führt Claus-Christian Carbon aus.

Ein Trend, der nicht nachlässt

Geprägt ist der Begriff des ASMR vor allem durch die Videoplattform YouTube. Dort hat sich in den vergangenen Jahren eine aktive und erfolgreiche Community etabliert und mittlerweile lassen sich zahlreiche «ASMR-Künstler» auffinden, die mit ihren Videos Millionen von Klicks erreichen.

Auf YouTube gibt es verschiedenste ASMR-Formate – auch süsse Vierbeiner sind mit von der Partie.

Die Beliebtheit von ASMR wird gemäss Claus-Christian Carbon weiter steigen, zumal gesellschaftliche Entwicklungen und die Covid-19-Pandemie ihren Einfluss haben: «Das Bedürfnis nach Entspannung mit möglichst wenig Aufwand ist enorm. Vor allem nach hektischen Alltagssituationen oder bei Sehnsucht nach Berührungen, sehen hier viele ASMR als effektive Entspannungsmethode an. Besonders in Zeiten von Covid-19 gilt dies freilich noch mehr», meint der Wissenschaftler.

Ein noch eher unerforschtes Gebiet

Durch ASMR soll man sich nicht nur entspannter, sondern auch fokussierter fühlen. Diese verbesserte Konzentration soll dann helfen, achtsamer durch den Tag zu gehen. Dafür gibt es bereits auch erste Beobachtungen und Einschätzungen: «Während des Anschauens sind Zuschauer durchaus fokussierter. Das ist insofern erstaunlich, da die Videos eigentlich ohne relevante Inhalte aufgebaut sind und andere Dinge transportieren, die man in sonstigen Videos tagsüber konsumiert», so der Fachpsychologe.

Viele Menschen berichten auch, dass ihnen ASMR das Einschlafen erleichtert und zu tieferem Schlaf verhilft. Dass der entspannende Effekt von ASMR direkt auf die Schlafqualität wirkt, ist durchaus plausibel, aber noch nicht wissenschaftlich bewiesen. Deshalb empfiehlt Claus-Christian Carbon, auch traditionelle Entspannungsmethoden in Betracht zu ziehen: «Es gibt sehr viele anerkannte Massnahmen und Methoden, um sich auch ohne ASMR entspannen zu können. Autogenes Training, Yoga oder progressive Muskelentspannungstechniken sind hier nur einige Beispiele dafür.»

Text Dominic Meier

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