wissenschaftler am mikroskop
Bildung Gesundheit Interview

Volker Thiel über die Erforschung des Coronavirus

04.07.2020
von Flavia Ulrich

Prof. Dr. Volker Thiel erforscht mit seinem Team das neuartige Virus SARS-CoV-2. Im Gespräch mit «Fokus» erklärt er, wieso man die eindämmenden Massnahmen nicht von heute auf morgen lockern sollte und was er sich in den kommenden Monaten von der Schweizer Bevölkerung wünscht.

Volker Thiel

Volker Thiel

Herr Volker Thiel, hat Covid-19 Ihren Arbeitstag immer noch vollkommen in der Hand?

Ja, ziemlich. Eigentlich von früh bis spät. Nachdem man in der ersten Phase das Virus SARS-CoV-2 und seine Verhaltensweisen erst einmal kennengelernt hat, geht es jetzt an die Forschung. Wir versuchen dabei, verschiedene Impfstoffe für die Krankheit zu finden.

Wie lange wird es dauern, bis ein Impfstoff auf dem Markt ist und wie läuft dieser Prozess ab?

Einen fertigen Impfstoff zu haben und ihn auf den Markt zu bringen, sind zwei unterschiedliche Paar Schuhe. Verschiedenste Firmen versuchen ihre Impfstoff-Plattformen zu nutzen und so umzubauen, damit ein fertiger Impfstoff für das neue Virus entsteht. Dies geht relativ schnell und kann nach einigen Monaten in einem Tiermodell auf die Wirksamkeit untersucht werden. Momentan veröffentlichen Forscher erste Publikationen über die Untersuchung von Impfstoffen, die für das Virus SARS-CoV-2 umgebaut wurden und in einem Tiermodell funktionieren. Theoretisch ist dies schon der Impfstoff. Ihn aber zu produzieren und zu zeigen, dass er für den Menschen ungefährlich und gegen das Virus wirksam ist, zieht sich noch lange hin.

Jeden Tag kommen neue Informationen über SARS-CoV-2 zutage. Was macht die Erforschung von neuen Viren so kompliziert?

In diesem Fall ist es speziell, da gefühlt die ganze Welt daran arbeitet. Natürlich ist der Konkurrenzdruck gross, aber vom Aufbau der Coronaviren ist schon klar, welche Grundfunktionen vorhanden sind. Diese versuchen wir jetzt abzufragen. Das Genom ist sehr ähnlich zu SARS, welches auch als SARS-CoV bekannt ist. Deswegen kann man sich vieles bereits herleiten, was die im SARS-Coronavirus bereits beschriebenen Funktionen angeht. Allerdings haben wir inzwischen gelernt, dass sich das Virus in seinem Verhalten doch ziemlich davon unterscheidet.

Was waren die grössten Unterschiede im Vergleich zu anderen Viren?

Vor allem die höhere Ansteckungsrate war ein Unterschied, den man am Anfang unterschätzt beziehungsweise gar nicht erst auf dem Radar gehabt hatte, da die Ähnlichkeit des neuen Virus zu seinem Vorgänger SARS-CoV so gross ist. Als das Virus noch in China war, verneinte man die Frage, ob es sich überhaupt von Mensch zu Mensch übertragen konnte. Später stellte man fest, dass dies eben doch der Fall ist und es sich ganz im Gegenteil sogar sehr gut übertragen lässt.

Als das Virus noch in China war, verneinte man die Frage, ob es sich überhaupt von Mensch zu Mensch übertragen konnte. Prof. Dr. Volker Thiel

Am Beispiel von Covid-19 haben wir gesehen, wie die Bevölkerung mit einer Epidemie umgeht. Sehen Sie Aufholbedarf in der Gesellschaft bezüglich der Aufklärung über Viren?

Ich glaube, im Verlauf der letzten Monate hat der Normalbürger viel über Viren gelernt (lacht). Ich denke, dass es als Laie schwer zu wissen ist, wie gewisse Aussagen zu werten sind. Wenn jemand behauptet, einen Impfstoff herzustellen und in drei Monaten die ganze Welt zu impfen, hört sich das gut an. Im Endeffekt ist dies aber nichts Solides. Somit ist es für die Bevölkerung schwer zu wissen, welchen Aussagen man Glauben schenken sollte.

Die Bevölkerung musste während des Lockdowns auf vieles verzichten und es gab sogar Proteste dagegen. Was halten Sie als Virologe davon?

Ich kann den Frust verstehen, da es für viele um ihr Geschäft und ihre Existenz geht. Man sieht aber, dass alle Länder, die das Virus am Anfang nicht ernst genommen oder keinen Lockdown hatten, momentan ganz schlecht dastehen. Ich spreche da von Brasilien oder den USA, die enorme Todes- und Fallzahlen haben. Länder, die es sehr gut gemacht haben – und dazu zählt auch die Schweiz –, haben die Situation von Anfang an ernst genommen und gute Massnahmen ergriffen. Da möchte ich mein Lob nicht nur an die Politiker aussprechen, sondern auch an die Bevölkerung, welche die Massnahmen ausgezeichnet umgesetzt hat. Nun konnte man das, was man vermeiden wollte, auch tatsächlich vermeiden. Und jetzt fragt man sich, wo die vielen Fälle im Spital sind. Anstatt dies als Erfolg zu sehen, denkt man sich, dass das Virus doch nicht so schlimm war. Dies erinnert mich ein bisschen an eine Karikatur, wo ein Fallschirmspringer in der Luft schwebt und sagt, dass alles in Ordnung sei und er gefahrlos seinen Fallschirm abmachen könne. Wir stehen nun aber auch vor der Aufgabe, uns um die anderen Bereiche des Lebens zu kümmern. Anfangs war die Situation wie eine Feuerwehrübung: Jedem war klar, was zu tun war. Jetzt muss man Schritt für Schritt vorgehen. Das ist schwieriger zu kommunizieren und zu vermitteln.

Warum sollte man trotz einigermassen eingedämmter Situation weiter vorsichtig bleiben und die Massnahmen nicht von heute auf morgen auflösen?

Wenn wir umgehend gar nichts mehr machen würden, gäbe es erneut einen exponentiellen Zuwachs der Fälle. In den verschiedenen Ländern hat es ungefähr ein bis zwei Monate gedauert, bis sich die Ausbreitung des Virus sichtbar machte. Während dieser Zeit gab es logischerweise auch keine Massnahmen; aus den einzelnen Fällen entstand eine Epidemie. Das würde sofort wieder passieren. Jetzt ist es aber so, dass wir uns im Moment nicht so verhalten wie vorher. Wir haben noch keine Grossveranstaltungen, wir tragen in vielen Situationen Masken, wir halten Distanz – es wird sich zeigen, ob dies schon reicht. Weiterhin wird man auch herausfinden, ob bestimmte Orte oder Begegnungen hochrisikoreich sind. In Deutschland hört man beispielsweise von ersten Fällen, bei denen in Restaurants viele Personen angesteckt wurden. Da muss man schauen, ob es nur ein Zufall aufgrund einer örtlichen Begebenheit war oder man doch besonders darauf achten muss. Andere Dinge, bei denen man vielleicht mehr Angst hat, könnten sich als nicht so schlimm herausstellen. Darum sage ich eben: Schritt für Schritt. Wenn man alles auf einmal macht, könnte man bei einem erneuten Fallanstieg nicht herausfinden, wo das Problem liegt.

Wie sollte man als Gesellschaft die nächsten Monate nach der Lockdownphase noch durchstehen?

Ich glaube die nächsten Monate bleiben anstrengend, weil wir wahrscheinlich bis zum nächsten Jahr noch keinen Impfstoff haben werden. Auch Medikamente wird es nicht so schnell geben und schon gar keines, das Wunder wirkt, so wie in vielen Hollywoodstreifen. Insofern erhoffe ich mir von der Gesellschaft, dass man zusammenhält, denn zu polarisieren hilft nicht. Das Virus ist da und wir haben momentan noch nichts dagegen. Weiterhin wünsche ich mir einen zivilisierten und demokratischen Austausch von Meinungen, wie es am Anfang der Epidemie der Fall war. Man sollte jetzt nicht ungeduldig werden. Auf der einen Seite hat man verstanden, wo die Ängste und Nöte der Gesellschaft und der Wirtschaft liegen. Andererseits gibt es natürlich die Notwendigkeit, Menschenleben zu retten. Es gibt keinen Politiker, keinen Wissenschaftler und keinen Experten, der jetzt sofort eine Lösung hat. Deswegen muss man zusammen den besten Weg finden und alle Argumente anhören.

Ist die Schweizer Bevölkerung nach Covid-19 für eine weitere Epidemie gewappnet oder muss da in der Infrastruktur oder auf Bundesebene noch etwas gemacht werden?

Ich glaube, dass noch etwas gemacht werden muss. Wichtig sind beispielsweise zeitnahe Informationen über die aktuellen Fallzahlen. Unter normalen Umständen drängt es nicht so stark, dass das BAG Infektionszahlen am Freitag oder erst am Montag bekommt und veröffentlicht. Jetzt ist es aber entscheidend, weil man in einer solchen Pandemiesituation möglicherweise angesteckte Kontakte ermitteln muss – da zählt jeder Tag! Da arbeiten Behörden, Labore, Kantone und der Bund über verschiedenen Schnittstellen zusammen. Diese waren nicht wirklich für eine Pandemie ausgelegt, denn man hat nicht gedacht, dass die Situation so schlimm wird. Man muss auch sehen, dass ein sich so schnell verbreitender Virus der schlimmste Fall ist, den man sich vorstellen kann. Insofern ist es kein Vorwurf, sondern eher eine Erkenntnis für die Zukunft.

Wichtig sind beispielsweise zeitnahe Informationen über die aktuellen Fallzahlen. Prof. Dr. Volker Thiel

Was könnte vor allem im Bereich der Technologie in zukünftigen Fällen helfen?

Das Contact Tracing ist momentan in aller Munde. Dieses kann einerseits ganz klassisch durchgeführt werden, indem man Betroffene per Telefon über eine mögliche Ansteckung informiert. Andererseits kann dies mithilfe der App auch digital passieren. Der Nutzen ist offensichtlich: Man kann in Sekundenschnelle gefährdete Kontakte ermitteln. Die Gewissheit, einen neuen Fall schnell eindämmen zu können, ist bei der korrekten Umsetzung da. Auch technisch hat man sich einiges einfallen lassen, um die Datensicherheit zu gewährleisten. Denn die Daten werden nicht auf zentralen Servern gelagert, sondern nur lokal, zeitlich begrenzt und anonym gespeichert.

Welches Wissen zur Impfstoffforschung sollte allgemein bekannt sein?

Man sollte sich klar sein, dass ein Impfstoff nicht nur zum Eigenschutz ist, sondern auch zum Schutz anderer. Das heisst: Wenn ich geimpft bin, dann kann ich die Krankheit auch nicht an andere übertragen. Vor allem bei der Masernimpfung akzeptieren dies viele nicht, sondern denken nur an sich selbst und sagen, dass sie dieses Risiko auf sich nehmen. Dass man jedoch beim Impfen auch für andere sorgt, ist der springende Punkt – gerade bei leicht übertragbaren Krankheiten.

Wie meistern wir die Coronakrise? Bekannte Persönlichkeiten haben uns hier Einblick gegeben, wie sie mit der Pandemie und ihren Folgen umgehen.

Interview Dominic Meier   Text Flavia Ulrich

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