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Reto Lipp: «Geld und Geist können durchaus zusammengehen»

11.04.2019
von Matthias Mehl

Mit den Sendungen «ECO» und «SRF Börse» bringen Reto Lipp und sein Team komplexe wirtschaftliche Zusammenhänge für die TV-Zuschauer auf den Punkt. Was den erfahrenen Moderator so sehr am Thema «Wirtschaft» fasziniert, wie eine «ECO»-Folge entsteht und wie er sich vom hektischen Börsentreiben erholt, hat Reto Lipp «Fokus» verraten.

Reto Lipp, im SRF-internen Interview sagen Sie, dass Ihnen an «ECO» u.a. die enorme thematische Vielfalt zusagt. Gibt es ein Thema oder einen Beitrag, der Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist – und weshalb?

Ich kann mich noch sehr gut an ein Interview mit dem ehemaligen britischen Regierungschef und Finanzminister Gordon Brown am «Swiss Economic Forum» 2016 erinnern. Es war ganz kurz vor der Brexit-Abstimmung. Ich fragte ihn, ob der Brexit kommen werde. «Keinesfalls», sagte Brown, denn die jungen Wähler würden das verhindern. Es kam alles sehr anders, weil sich Gordon Brown nicht vergewissert hatte, wann die Semesterferien beginnen. Als die Abstimmung anstand, waren viele Studenten bereits in den Ferien und gingen nicht abstimmen. Heute wäre das wohl anders.

Mögen Sie als Experte noch über den Brexit sprechen?

Ich moderierte gerade wieder einmal einen Beitrag zum Thema «Brexit» an mit den Worten «und täglich grüsst der Brexit». Man kann nur staunen, wozu sich die sonst als kühl und berechenbar geltenden Briten hinreissen lassen. Man hat das Gefühl, dass die gesamte politische Klasse vollständig den Kopf verloren hat. Wo bleibt der britische «Common sense»?  Ich kann nur hoffen, dass so etwas nicht in der Schweiz geschieht – denn obschon wir mit der EU zwar schon viele Verträge geschlossen, haben, ist auch die Schweizer Haltung hinsichtlich der Weiterentwicklung der Beziehungen mit der EU nicht ganz klar. Das Rahmenabkommen wird uns jedenfalls noch einige Monate beschäftigen. Und damit natürlich auch die Frage, wie viel uns wirtschaftlich gute Beziehungen zur EU wert sind.

Wir wollen frühzeitig eigene Themen setzen, die andere noch gar nicht auf dem Radar haben.

Reto Lipp

Da Sie das Moderieren ansprechen: Wie entsteht eigentlich eine «ECO»-Folge und worauf achten Sie dabei besonders?

Uns ist uns sehr wichtig, ein ganz eigenständiges Themen-Setting zu haben. Als Hintergrund- und Wochenmagazin kommen wir immer als letzte im Umzug, vor uns laufen «Tagesschau» sowie «10vor10». Es macht also keinen Sinn, wenn wir auch noch tagesaktuelle Wirtschaftsgeschichten abhandeln. Unser Anspruch muss ein anderer sein: Wir wollen frühzeitig eigene Themen setzen, die andere noch gar nicht auf dem Radar haben – oder wir wollen Themen, die bekannt sind, auf eine andere Art gestalten und umsetzen. Ganz wichtig ist dabei die bildliche sowie grafische Aufarbeitung: Tolle Erklär-Grafiken sind eines der Markenzeichen der Sendung. Heute lassen sich mit 3-D-Grafiken viele sehr komplexe Themen publikumsfreundlich umsetzen.

Kürzlich hat Ihnen Bundespräsident Ueli Maurer kurz vor dem geplanten Auftritt in Ihrer Sendung in letzter Sekunde einen Korb gegeben, weil er sich an der Formulierung eines Beitrags zum Thema STAF gestört hat. Kommt so etwas häufiger vor und wie reagiert man darauf?

Ich bin jetzt seit 35 Jahren Journalist und bei mir ist noch niemand «rausgelaufen». Dass die Premiere ausgerechnet mit dem Bundespräsidenten stattfinden musste, bedaure ich sehr. Denn es war auch unverständlich: Der Beitrag, der Ueli Maurer nicht passte, war Teil eines Gesamtpaketes. Zuerst wäre ein kritischer Beitrag von fünf Minuten erfolgt, dann hätte Ueli Maurer acht Minuten Zeit gehabt, um das «Ja» zu vertreten. In einem thematischen Gesamtpaket vor einer Abstimmung müssen auch Argumente der Gegner vorkommen. Das gebietet mein Verständnis von Fairness.

Sie waren im Radio, den Printmedien und nun im TV tätig. Welches Format hat Ihnen am meisten zugesagt – und was würde Sie noch reizen?

 

 

Meine grosse Liebe ist und bleibt das Radio. Während Fernsehen immer eine Teamarbeit ist, ist man im Radio sehr oft allein unterwegs. Und das sagt mir sehr zu, man kann vieles spontaner und schneller umsetzen. Wirtschaftsthemen sind oft abstrakt und hier muss das Fernsehen viel Zeit investieren, um nach Bildern zu suchen oder Grafiken aufzubereiten. Im Radio kann man dagegen mehr Zeit in Gespräche investieren, was mir sehr entgegenkommt. Ich würde also sehr gerne irgendwann wieder einmal eine Radio-Sendung moderieren.

Meine grosse Liebe ist und bleibt das Radio. Reto Lipp

Vor Ihrer Zeit bei SRF waren Sie UBS Vizedirektor im Bereich «Wealth Management». Was ist Ihnen aus dieser Zeit besonders geblieben und wie helfen Ihnen diese Einsichten heute bei der Berichterstattung?

Diese Anstellung war mein erster und einziger Abstecher in einen wirklichen Grossbetrieb mit tausenden von Mitarbeitern. Ich habe dabei sehr viel gelernt. Zum einen ist mir die sehr internationale Ausrichtung im Gedächtnis geblieben. In Schweizer Grossfirmen arbeiten Menschen aus allen Nationen. Diese Zusammenarbeit mit Menschen aus völlig anderen Kulturen öffnet den Horizont und ist äusserst fruchtbar. Man bekommt einen anderen Blick auf die Welt und dieser andere Blick war für mich dann auch bei «ECO» sehr wichtig. Zum anderen spürt man, wie schwerfällig Grossbetriebe sind und wie lange es dauert, bis man einen solchen Supertanker auf einen neuen Kurs gebracht hat. Solche Erkenntnisse sind für die journalistische Arbeit ebenfalls wertvoll. Wir Journalisten sind ja oft der Meinung, vieles könne sich von heute auf morgen ändern. Kann es in Grossbetrieben eben oft nicht.

Wie häufig werden Sie als Schweizer Börsenguru um Anlage-Tipps gebeten? Und was sagen Sie in solchen Situationen?

Sehr häufig– und ich muss da immer hinzufügen, dass es uns bei «SRF Börse» untersagt ist, konkrete Anlage-Tipps zu geben. Ich denke aber, dass erfolgreiches Anlegen gar nicht so schwer ist und man da sehr im Allgemeinen bleiben kann. Hier mein Tipp: Alle Eier immer ins gleiche Körbchen zu legen ist falsch, sprich man muss diversifizieren. Und zweitens kommt – gerade wer jung ist – nicht an Aktien vorbei. Mit diesen beiden Tipps kann man sich schon eine ganz gute Anlage-Strategie bauen. Und dann ist es wichtig, bei allen Börsenstürmen konsequent bei der einmal festgelegten Strategie zu bleiben. Viel Hin und Her macht vor allem die Banken und die Trader reicher, nicht aber die Anleger.

Das Thema «Wirtschaft» zieht sich wie ein roter Faden durch Ihre Karriere. Welche anderen Themen beschäftigen Sie?

Es gibt viele andere Interessen, die derzeit leider etwas zu kurz kommen. Beim Radio habe ich beispielsweise eine wöchentliche Polit-Talkshow mit Hörerbeteiligung moderiert, eine Art «Arena» am Radio. Das Interesse an der Politik ist unverändert gross. Zum anderen habe ich am Radio auch Bücher vorgestellt und eine französische Musiksendung moderiert. Ich könnte noch heute aus dem Stand heraus eine Musiksendung mit aktuellster frankophoner Musik moderieren, und vielleicht schaffe ich es auch noch irgendwann als Gast in den Literaturclub. Leider ist es ja so, dass man gelegentlich in Schubladen gesteckt wird – wer von Geld und Wirtschaft eine Ahnung hat, hat keinen Geist, denken viele. Aber Geld und Geist können durchaus zusammengehen.

Viel Hin und Her macht vor allem die Banken und die Trader reicher, nicht aber die Anleger. Reto Lipp

Wie schalten Sie ab vom Arbeitsalltag?

Da höre ich sehr viel Musik: Ein Tag ohne Musik ist ein verlorener Tag. Dann bin ich ein existenzieller Leser, das heisst es gibt auch keinen Tag, an dem ich meine Nase nicht in ein Buch stecke. Wo immer ich bin, ein Buch ist dabei, das gehört existenziell zu mir – und natürlich muss auch etwas Sport sein. Man findet mich morgens immer auf meinem Crosstrainer. Das muss sein, denn eine weitere Liebe von mir: Schokolade.

Welche Themen werden Sie und Ihr Team von «ECO» in nächster Zeit beschäftigen?

Uns wird die FIFA in einer Spezialsendung im Juni stark beschäftigen, dann gibt es noch vor dem Sommer eine Serie über das «Business rund um Tiere» und mein nächster «ECO Talk» am 15. April beschäftigt sich mit der Frage, ob denn jetzt bei höheren Leerstandquoten endlich mal die Mieten ins Rutschen kommen. Die «ECO»-Themen-Breite ist also unverändert gross. Und genauso muss es sein.

Zur Person.

Reto Lipp (58) moderiert auf SRF die Wirtschaftssendung «ECO». Lipp ist der wohl bekannteste Wirtschaftsjournalist der Schweiz. Er studierte Ökonomie an der Universität Zürich, danach arbeitete er beim Radio, war Chefredaktor des Finanzbundes der «Handelszeitung» und im Jahr 2000 massgeblich an der Lancierung des Börsenmagazins «Stocks» beteiligt.

Interview Reto Lipp: Matthias Mehl

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