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Die Handschrift verrät mehr, als man denkt

20.03.2020
von Lars Meier

In Zeiten der Digitalisierung verliert die Handschrift an Bedeutung, wohingegen schnelles Tippen daran gewinnt. Dennoch ist es heute beispielsweise immer noch üblich, dass bei Bewerbungen handschriftliche Dokumente verlangt werden. Was man aus der Handschrift über den Menschen und seinen Charakter lesen kann.

Obwohl wir alle in der Schule lernen, von Hand zu schreiben, ist es heute keine Selbstverständlichkeit mehr, dass man dies im Alltag noch tut: Die Einkaufsliste wird ins Handy getippt, der Austausch mit Mitmenschen erfolgt per Whatsapp oder ähnlichen Messengern und auch im Büro fliegen die Finger den ganzen Tag über eine Tastatur statt dass sie zu einem Stift greifen.

Handschrift ist unverwechselbar

Dieser Wandel kann aber prekäre Folgen haben. Dies bestätigt auch Doris Aerne, diplomierte Graphologin mit eigener Praxis in Zürich: «Wenn wir verlernen, mit der Hand zu schreiben, weil wir im Zeitalter von Smartphone und Whatsapp nur noch tippen, wird sich auch unser Denken, unsere Vorstellungskraft auf das rein Zweckmässige reduzieren.» Während getippte Texte zudem alle einheitlich erscheinen und nur noch mithilfe von stilistischen Merkmalen der Verfasserin oder dem Verfasser zugeordnet werden können, liegt bei der Handschrift die unverwechselbare persönliche Note im wahrsten Sinne des Wortes auf der Hand. «Die Handschrift mit ihren gestalterischen Elementen als Ausdruck unserer Individualität und Kreativität gibt jedem Menschen sein eigenes Gepräge und ist so unverwechselbar wie Mimik und Gestik.»

Was ist Graphologie?

Manch einer mag sich bis hierher gefragt haben: Was macht eine Graphologin? Zu Recht, schliesslich gehört dieser Beruf nicht zu den geläufigsten Tätigkeiten. Ebenso wenig dürften die wenigsten Menschen über die spannende Entstehungsgeschichte dieses Fachgebiets Bescheid wissen. Doris Aerne erzählt: «Systematische Graphologie wurde erst möglich, als es individuelle Handschriften gab. Erste Lehren stammen vom Bologneser Medizinprofessor Camillo Baldi anfangs des 19. Jahrhunderts. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde von Abbé Jean-Hippolyte Michon der Begriff «Graphologie» geprägt, bestehend aus den griechischen Begriffen «graphein» (Schreiben) und «logos» (Wissenschaft).»

Weitere Geschichte der Graphologie

«Michon war Empiriker und versuchte, Schriftmerkmale von ihm bekannten Personen so zu gruppieren, dass sie bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen zugeordnet werden konnten. In Frankreich wurde das System Michons durch Jules Crépieux-Jamin weiterentwickelt. Gleichzeitig waren es in Deutschland vor allem Psychiater und Psychologen, die sich mit den Fragestellungen und der Weiterentwicklung der Graphologie befassten. Bedeutende weitere wichtige Wegbereiter im deutschsprachigen Raum des 20. Jahrhunderts waren später Ludwig Klages, Max Pulver, Rudolph Pophal, Robert Heiss und weitere. Die Hochblüte und Etablierung erlebte die Graphologie dann in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und hat sich zu einer Wissenschaft entwickelt, die bis in die späten 1980er-Jahren in den Universitäten gelehrt wurde. Dies ist heute nicht mehr der Fall.»

Die Handschrift als offenes Buch

Bekommt Doris Aerne eine Schriftprobe, dann erhält die Graphologin einen tiefen Einblick in den Schreibenden: «Nebst besonderen Begabungen und Grenzen, die in der Handschrift ersichtlich sind, richtet sich meine Aufmerksamkeit immer zuerst auf das zur Verfügung stehende Potential jedes Einzelnen. Konkret zeigt sich, ob jemand kommunikativ oder zurückhaltend ist, anpackt und umsetzt, wie er organisiert, ob er zuverlässig ist, Teamplayer oder zur Führung geeignet, nachgebend oder durchsetzend, gut strukturiert, innovativ, routineresistent oder ein kreativer Chaot, um ein paar Beispiele zu nennen.»

Die Hochblüte und Etablierung erlebte die Graphologie dann in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und hat sich zu einer Wissenschaft entwickelt, die bis in die späten 1980er-Jahren in den Universitäten gelehrt wurde. Doris Aerne

Kann man auch erkennen, ob eine Person psychisch oder körperlich krank ist? «Psychische oder auch körperliche Krankheiten (ausser Parkinson) sind per se nicht klar zu deuten», weiss die diplomierte Graphologin. «Jedoch kann ich sehen, wie es um die mentale oder körperliche Verfassung steht, ob die Schrift Verschleisserscheinungen aufweist, die auf eine Erschöpfung oder auf ein Burnout hindeuten könnten.»

Weder Esoterik noch wildes Herumdeuten

Die Vorstellung, dass man alleine über die Handschrift viel über den Menschen lernt, dürfte Laien völlig fremd sein. Für Doris Aerne ist dies Alltag: «Das «Kennenlernen» einer mir gänzlich unbekannten Person erfolgt über mehrere Stunden sorgfältiger Analyse seiner Handschrift mit ihren unverkennbaren Schriftmerkmalen.» Zudem überrascht sie mit folgendem Fakt: «Mit gutem Gefühl darf ich sagen, dass ich dann mehr als 80 Prozent der Persönlichkeitsstruktur eines mir unbekannten Menschen kennengelernt habe. Kunden bestätigen mir dies und sind immer erstaunt, wie viel die Graphologin aus der Handschrift «lesen» und interpretieren kann.»

Für Kritische räumt die Expertin dann noch mit Vorurteilen über ihren Beruf auf: «Es ist weder Esoterik noch wildes Herumdeuten, sondern das Ergebnis analytischer Arbeit und langjähriger Erfahrung mit unterschiedlichsten Menschen.

Warum das Schreiben von Hand so wichtig ist

Auch wenn viele Jugendliche oder auch zahlreiche Erwachsene lieber tippen als zu einem Stift zu greifen, gibt es dennoch zahlreiche Gründe, vermehrt letzteres zu wählen. Expertin Doris Aerne verweist diesbezüglich auf die verschiedenen Vorteile, welche das Schreiben von Hand mit sich bringt: «Das Schreiben, der Gebrauch der Handschrift fördert die Denkleistung und stärkt die Merkfähigkeit. Schreibinhalte kann man sich zudem besser merken, als wenn man einfach tippt. Umfragen bei Studierenden ergab, dass sich durch das Mitschreiben von Hand der Stoff leichter und nachhaltiger einprägt. Immer noch verbürgt zudem die Unterschrift auf wichtigen Dokumenten unsere Authentizität.«

«Eine unleserliche Handschrift zeugt von Intelligenz»

Werden Menschen mit einer in den Augen anderer schwer leserlichen Schrift auf diese angesprochen, dann fällt als Rechtfertigung gerne dieser Satz. Doch ist wirklich etwas an dieser Aussage dran? Die diplomierte Graphologin findet dafür klare Worte: «Diese Meinung ist zu allgemein. Eine eilige Schrift, insbesondere wenn sie weiterhin noch elegante, individuelle, kreative Wegabkürzungen und eine gewisse Ästhetik beinhaltet und zudem auf dem Schreibblatt eine gute Strukturierung zeigt, lässt Rückschlüsse zu auf die Intelligenz. Intelligenz ist aber ein grosser Begriff, es gibt nebst den intellektuellen Fähigkeiten auch die emotionale und praktische Intelligenz, die man nebst guter Denkleistung zur Verfügung hat oder eben nicht.»

Die eigene Handschrift analysieren

Wer bereits während dem Lesen dieses Artikels öfters an die persönliche Handschrift gedacht hat und diese gerne auf eigene Faust analysieren möchte, für den hält Doris Aerne zum Abschluss noch einen Tipp bereit: «Als Laie kann man den gesunden Menschenverstand heranziehen und sich beispielsweise fragen: Wieso nehme ich auf dem Papier so viel oder aber so wenig Platz ein? Sich selbst betrachtet man jedoch in den wenigsten Fällen wirklich neutral und objektiv, sondern bleibt subjektiv in den eigenen Ansichten gefangen. Deshalb ist die Deutung der eigenen Handschrift, ohne entsprechendes Wissen um die vielfältigen Zusammenhänge, für die meisten nicht möglich. Da kann die Graphologin weiterhelfen.»

Was verschiedene Eigenschaften der Handschrift aussagen können:

Druckstarke Schrift:
Vitale, robuste Persönlichkeit, Überzeugungskraft, dynamisch, engagiert, durchsetzungswillig, ausdauernd
Aber auch: expansiv, dominant, uneinsichtig, wenig empathisch, aufbrausend

Druckschwache Schrift:
Beweglich, umgänglich, sensibel, einfühlend
Aber auch: ablenkbar, wenig Widerstandskraft, fehlende Durchsetzung, wenig ausdauernd

Grosse Schrift:
Selbstbewusst, präsentiert sich gern, optimistisch, extravertiert, kommunikativ, oft Gefühlsmenschen
Aber auch: grosses Ego, Selbstdarstellung, fehlende Bescheidenheit, weniger reflektiert

Kleine Schrift:
Sachlich, drängt sich nicht vor, bescheiden, vorsichtig, mehr introvertiert, oft Denktypen
Aber auch: weniger selbstbewusst, weniger grosszügig, weniger mutig

Eilige Schrift:
Aktiv, lebhaft, rasches Denken, initiativ, flexibel, rasche Auffassung, spontan
Aber auch: reagiert vorschnell, zu wenig überlegt, gehetzt, ungeduldig

Langsame Schrift:
Ruhig, bedächtig, umsichtig, gründlich, detailorientiert
Aber auch: bequem, wenig Antrieb, langsam in der Auffassung

Weite Schrift:
Zielgerichtet, zukunftsorientiert, dynamisch, spontan, aufgeschlossen, extrovertiert
Aber auch: unüberlegt, vorschnell, flüchtig, oberflächlich, ungeduldig

Enge Schrift:
Vorsichtig, konzentriert, überlegt, diszipliniert, kontrolliert, introvertiert
Aber auch: wenig offen, ängstlich, wenig innovativ, überexakt

Bemerkung der Expertin: Dies sind alles nur Beispiele – alle Schriftmerkmale müssen im Zusammenhang gesehen werden; es gibt unterschiedliche Grössen, Weiten und so weiter

Text Lars Gabriel Meier

Eine Antwort zu “Die Handschrift verrät mehr, als man denkt”

  1. K.Dryer sagt:

    Ich kann nicht kommentieren,da ich hier nur Druckschrift verwenden kann.

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