Interview von Miriam Rauh

Lebendige Räume, nachhaltige Werte: die Zukunft der Architektur

Der Stararchitekt über das Bauen von morgen. Lebendig, nachhaltig und radikal anders.

Der international renommierte Architekt Ole Scheeren denkt Städte und Gebäude neu. Ein Blick auf Trends, Technologien und Konzepte, die unsere Wohn- und Arbeitswelten grundlegend verändern könnten.

Herr Ole Scheeren, der Immobilienmarkt befindet sich weltweit im Wandel. Welche Entwicklungen spüren Sie aktuell besonders stark?

und Durchmischung, mehr soziale Interaktion in den Projekten. Im Zeitalter der digitalen Vereinsamung scheint es besonders wichtig, darüber nachzudenken, wie die Menschen im realen Raum leben, was sie dort zusammenführt und welche Rolle Projektentwicklung, Architektur und Design dabei spielen können. Gleichzeitig erleben wir einen Fokus auf weniger Ressourcenverbrauch, weniger CO2, weniger Flächenversiegelung. Diese Prinzipien verbinden sich zu neuen qualitativen und quantitativen Maßstäben, die den Markt prägen.

Welche Geschichten erzählen Immobilien heute über unsere Gesellschaft?

Architektur sollte Geschichten über Sozialität und Nachhaltigkeit erzählen und auch über Magie und Abenteuer. Wir alle sehnen uns danach, dass in unserem Leben Dinge passieren, an die wir uns erinnern können. Räume prägen unser Leben und schaffen Erinnerungen. Natur spielt dabei eine immer größere Rolle; nicht als Marketing-Alibi, sondern als echter Lebensraum.

Unsere Projekte wie beispielsweise »The Interlace« in Singapur zeigen, dass soziale und ökologische Ideen langfristig erfolgreich sein können. Das Gebäude wurde vor Kurzem mit dem Zehn-Jahres-Award von CTBUH ausgezeichnet, in Anerkennung der Erfüllung aller Ideen, die bei seiner Konzeption präsentiert wurden. Heute sind sie Wirklichkeit und damit ein Beweis dafür, dass es möglich ist, einen erlebbaren qualitativen Lebensraum zu schaffen.

Wie verändern hybride Arbeitsmodelle und Remote Work die Anforderungen an Büros?

Büros müssen heute sowohl soziale Qualitäten aufweisen als auch auf Gemeinschaft und Well-being einzahlen. Arbeits- und Lebenswelten verschmelzen, daraus entstehen neue Raumkonzepte. Erfolgreich werden in Zukunft jene Büros sein, die echte Begegnungen ermöglichen. Gleichzeitig verändert sich auch das Wohnen, da viele Menschen zu Hause arbeiten – Wohnräume brauchen also mehr Flexibilität. Lebensräume, die diesen neuen Realitäten der Arbeit und des Zusammenlebens gerecht werden, sind gefragt.

In Ihren Projekten verschwimmen oft die Grenzen zwischen Wohnen, Arbeiten und Freizeit. Was macht Mixed-Use-Konzepte so attraktiv?

Mischnutzung schafft Vielfalt, Lebendigkeit und wirtschaftliche Vorteile. Räume werden rund um die Uhr effizient genutzt und generieren zusätzliche Einnahmen. Urban Glen in Hangzhou ist ein anschauliches Beispiel: Co-Working-Bereiche, ruhige Bürozonen, ein Hotel, Einkaufsmöglichkeiten und Kulturangebote mit Eventräumen und Kunstsammlung verschmelzen zu einem lebendigen Ganzen. Die beiden Türme öffnen sich zu einem begrünten Tal mit gestuften Terrassen, das Tageslicht maximiert und Innen- und Außenräume verbindet. Stadtnatur ist so jederzeit für alle Nutzerinnen und Nutzer erfahrbar.
Das Projekt zeigt, wie Mischnutzung architektonische Sprache, Lebendigkeit und Erlebniswelt zugleich schaffen kann.

Urban Glen by Ole Scheeren

Urban Glen. Bild: © Büro Ole Scheeren

Was kann gute Architektur, was eine reine Immobilie nicht leistet?

Architektur kann Visionen schaffen: Sie kann Räume kreieren, die Geschichten erzählen, inspirieren, Erinnerungen stiften und Identifikation bieten. Und sie kann langfristige ökonomische Werte erzeugen. Ich sehe Architektur deshalb immer auch als Gestaltungs-, Sozial- und Businessmodell, das für Bewohnende und Entwickler zugleich echte Wertigkeit erzeugt. Unsere Aufgabe ist es, dauerhafte Werte zu generieren. Durch Qualität, Nachhaltigkeit und die langfristige Attraktivität von Gebäuden.

Ein Beispiel dafür ist »The Axiom«. Hier haben wir mit einem seitlich versetzten Gebäudekern eine Alternative zur gängigen Typologie entwickelt, die großzügige, offene Flächen ohne störende Strukturen ermöglicht. So entstehen flexible, zukunftsfähige Arbeitswelten – ein in Hochhäusern über 250 Metern äußerst seltener Ansatz, der Expansion, Zusammenarbeit und neue Arbeitsmodelle unterstützt.

The Axiom by Ole Scheeren

The Axiom. Bild: © Büro Ole Scheeren

Auch bei »Fifteen Fifteen« in Vancouver haben wir einen disruptiven Ansatz verfolgt. Traditionell sind Penthouses oben am wertvollsten, unten sind die Wohnungen am günstigsten – die Mitte bleibt oft schwer verkäuflich. Wir wollten das umkehren: Durch horizontale Auskragungen entstanden in der Mitte spektakuläre Wohnräume, deren Wert das Investment weit übersteigt.

Wie verändert das Thema Nachhaltigkeit die Projektentwicklung?

Nachhaltigkeit darf kein Marketingschlagwort sein; sie muss ökologisch, ökonomisch und sozial gedacht werden. Nur Gebäude, die langfristig funktionieren, sind wirklich nachhaltig. Qualität und Lebenswertigkeit sind dabei entscheidend, nicht kurzfristige Effekte.

Sie arbeiten international, von Vancouver bis Shenzhen. Wie unterscheiden sich die Immobilienmärkte in Asien, Nordamerika und Europa und wie prägt das Ihre Architektur?

Architektur ist immer eine spezifische Antwort auf ihren Ort, aber im internationalen Austausch entstehen neue Typologien und Impulse. Jeder Kontext hat eigene kulturelle und gesellschaftliche Prägungen. Gleichzeitig lassen sich viele Ideen global übertragen.

Wir können viel voneinander lernen, weil wir in den unterschiedlichsten Teilen der Welt involviert sind. Dinge international und global zu sehen, ist für uns sowohl Inspiration als auch Anreiz, neue Ideen, Topologien und vielleicht neue Formen von Immobilien zu entwickeln.

Welche Rolle spielen Luxusimmobilien in einer Zeit, in der Wohnraum zugleich knapper und teurer wird?

Ich glaube, es wird immer beides geben, das obere und das untere Segment; wir haben seit jeher an beiden Interesse. Als Architektinnen oder Immobilien- und Projektentwickler haben wir die Aufgabe, den Wohnungsbau mit neuen Ideen zu verbessern und voranzutreiben. In diesem Sinne gibt es ökonomische, aber auch viele soziale und qualitative Aufgaben, die gelöst und verfolgt werden müssen, und meiner Meinung nach ist es die Aufgabe der Architektinnen und Architekten und Bauherrschaften, dies gemeinsam zu schaffen und in Projekte zu übersetzen.

Als Beispiel möchte ich noch mal »The Interlace« aufführen, eines unserer Großprojekte in Singapur mit 1040 Wohneinheiten. Hier ging es nicht um Luxuswohnungen, sondern darum, ein hocheffizientes System zu entwickeln: kompakte Kerne, minimale Zirkulation und maximierte Grundfläche. So konnten wir im wettbewerbsintensiven Singapur ein Projekt realisieren, das sich im erschwinglicheren Segment der Eigentumswohnungen positionierte. Das Ergebnis ist ein Prototyp für viele Qualitäten des Lebens, der das Wohnen im verdichteten Raum mit viel Natur und sozialen Strukturen verbindet.

Welche Trends werden die Zukunft der Architektur prägen?

Es vollziehen sich radikale Veränderungen, von denen wir erst die Spitze des Eisbergs sehen. Neue Generationen werden mit neuen Erwartungen, aber auch mit Antworten kommen. Gebäude werden nicht mehr monofunktional sein, sondern in hybriden Mischformen eine komplexe Ganzheit bilden. Architektur muss diese Zukunft verstehen und beherbergen. Künstliche Intelligenz wird nicht nur den Entwurf und den Bauprozess, sondern das Leben der Menschen grundlegend prägen und viele Arbeitsbereiche beeinflussen. Wir müssen uns eine Gesellschaft vorstellen, in der Arbeit und Freizeit andere Rollen spielen als heute. Es werden neue Fragen entstehen, wie Menschen ihren Tag verbringen. Das bedingt neue Anforderungen und Erwartungen an Räume. Fiktionen wie diese treiben uns an.


Headerbild © Felix Grünschloss

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22.10.2025
von Miriam Rauh
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