Interview von Rüdiger Schmidt-Sodingen

Prof. Dr.-Ing. Martin Ruskowski: »Natürlich können wir mit den richtigen Innovationen international bestehen«

Der Vorstandsvorsitzende der SmartFactory Kaiserslautern darüber, wie wettbewerbsfähig die deutsche Industrie wirklich ist.

Deutschlands Industrie muss technologisch souverän werden – mit mehr praxisnaher Forschung und den entsprechenden Investitionen. Fordert Prof. Dr.-Ing. Martin Ruskowski. Ruskowski ist Vorstandsvorsitzender der SmartFactory Kaiserslautern (SFKL), Lehrstuhlinhaber Werkzeugmaschinen und Steuerungen an der RPTU Kaiserslautern und wissenschaftlicher Direktor des Forschungsbereichs »Innovative Fabriksysteme« (IFS) am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI).

Herr Prof. Ruskowski, was ist eine »Smart Factory« und was sind die Chancen, die sich durch sie für Unternehmen ergeben?

Bei der Smart Factory geht es nicht darum, auf eine existierende Fabrikstruktur einfach KI draufzupacken. Eine Smart Factory denkt Produktion ganz anders als heute. Sie ist eine extrem flexible Fabrik, die Maschinen mittels KI besser mit anderen Maschinen und Menschen kommunizieren lässt. Wir arbeiten und forschen an der SFKL dazu seit vielen Jahren. Wenn wir uns hierzulande die standortspezifischen Rahmenbedingungen, sprich die hohen Lohnkosten und die demografische Entwicklung, ansehen, ist eines klar: Wenn wir weiter wettbewerbsfähig produzieren wollen, brauchen wir eine innovative und schlanke Produktion. Ein Ziel muss dabei unter anderem die Automatisierung sämtlicher nicht direkt wertschöpfender Prozesse sein.

Martin Ruskowski

Das Tempo von Forschungsprojekten ist manchmal so schnell, dass eine Lücke zwischen Forschungs­ergebnissen und der Umsetzung bei Unternehmen entsteht. Wie lässt sich diese Lücke verkleinern oder gar schließen?

Sicher gibt es eine breite Forschungsförderung, die allerdings nicht oft genug zu konkreten Produktionsverbesserungen in Unternehmen führt. Auch Firmen haben eigene Forschungsprojekte und Innovationsabteilungen. Allerdings hapert es auch hier mit der Umsetzung und die Produktion wird nur zögerlich geändert. Man will ja produzieren und Geld verdienen. Da stört es leider, wenn man Neuerungen einführt oder bestehende Prozesse hinterfragt, um sie umzukrempeln und zu automatisieren. Das Hauptproblem ist die fehlende Vernetzung innerhalb der Unternehmen. Es ist manchmal einfacher, diese Vernetzung von außen herzustellen. Wir als Forschungszentrum bauen diese Brücken bei Firmen, weil wir von außen viel besser andere Themen, die gezielt Innovationen diskutieren, platzieren können. Bei Themen, die im Unternehmens- und Produktionsalltag leider zu kurz kommen, können wir entsprechende Unterstützung anbieten.

Wie schätzen Sie das Zusammenspiel Forschung und Industrie aktuell ein?

Wir brauchen mehr Forschung, die in die Anwendung von Unternehmen gebracht werden kann. Beispielsweise sollte es darum gehen, Software weiterzuentwickeln und Open-Source-Software kleineren Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Sehr oft landen Forschungsergebnisse im »Valley of Death«, sie bringen nichts, weil sie auf dem Weg von der Erforschung Richtung Unternehmen praktisch verloren gehen und »sterben«. Das liegt auch an einer fehlenden Finanzierung für die Überbrückung.

Woran hakt es in den Unternehmen selbst?

Die Aufmerksamkeit des Managements ist wichtig. Nur wenn das Management Innovationen will, können sich diese auch durchsetzen. Wenn sie nur die unteren Bereichsebenen einbinden, ist das zu wenig. Die unteren Ebenen können alleine oft nicht überzeugend agieren und werden dann zwangsläufig ausgebremst. Die Potenziale werden nicht erkannt, geschweige denn ausgeschöpft.

Wie können KMU dabei unterstützt werden, Schritte hin zur Smart Factory zu machen? Welche Rolle spielen dabei Forschungseinrichtungen und staatliche Institutionen?

KMU werden durch die Hürden bei öffentlichen Forschungsprojektbeantragungen oft abgeschreckt. Die Beantragung ist oftmals kompliziert und die Durchführung mit Aufwänden verbunden, für die im Normalbetrieb keine Ressourcen vorgesehen sind. Dabei haben wir gute Erfahrungen mit niedrigschwelligen Angeboten gemacht. Beispielsweise lassen sich viele Ideen in kleineren Firmen hervorragend umsetzen, wenn die Ergebnisse per Open Source allgemein verfügbar gemacht werden, ein Konzept, an dem wir in Kaiserslautern schon lange arbeiten. Mit einer solchen Software können neue Produkte entstehen und sie haben als Unternehmen gleichzeitig die Chance, die freie Software aktiv zu steuern und zu verbessern. Das führt zu einem stabilen Ökosystem, in das sich auch die zentralen Komponenten IT und KI viel leichter und verständlicher integrieren lassen.

Was ist in dem Kontext die größere Herausforderung: Technologieakzeptanz oder die Bereitschaft, zu investieren? Wie kann diese Hürde adressiert werden?

Investitionen rechnen sich grundsätzlich langfristig. Leider denken Unternehmen derzeit extrem kurzfristig. Dieses Problem hat in den letzten ein bis zwei Jahren zugenommen. Jeder möchte den Gewinn maximieren, alles, was geht, aus der bestehenden Produktion herauspressen – auf Kosten der Investitionen und ohne weiterzudenken. Wir müssen endlich wieder mittel- und langfristig denken. Wirkliche Technologieakzeptanz meint eine langfristig angelegte Investitionsbereitschaft.

Investitionen rechnen sich grundsätzlich langfristig. Leider denken Unternehmen derzeit extrem kurzfristig.– Prof. Dr.-Ing. Martin Ruskowski

Welche Schritte müsste die Industrie aktuell tun, um deutsche Innovationen nach vorne zu bringen?

Wir müssen wieder an uns glauben und investieren. Die deutsche Wirtschaft dreht sich augenblicklich zu sehr um sich selbst, statt sich aktiv mit der Automatisierung und der Steigerung der Produktivität zu beschäftigen. Natürlich können wir mit den richtigen Innovationen gegen China und die USA bestehen. Das ist für mich überhaupt keine Frage. In Kaiserslautern zeigen wir, dass das geht. Die notwendigen Technologien liegen vor, sind relativ niederschwellig und schnell einsetzbar und bringen sofort Nutzen und Ergebnisse. Deutschland ist absolut wettbewerbsfähig. Ich sage gerne: Unternehmen ist das Gegenteil von Unterlassen. Unternehmen müssen wieder nach vorne blicken – und aktiv Innovationen angehen, umsetzen und davon dann profitieren.

Welche Herausforderungen sehen Sie bezüglich des Verhältnisses von Mensch und Maschine in der Arbeitswelt?

Zunächst einmal: Automatisierung schafft Arbeitsplätze und vernichtet sie nicht pauschal. Das hat sie noch nie getan. Automatisierung kostet zwar erst einmal Geld, erhöht dann jedoch die Produktivität, die dann wieder neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter braucht. Früher hatten wir komplexe Maschinen und der Mensch musste sich an die Automatisierung anpassen. Heute sind wir in der Lage, Maschinen zu bauen, die sich an den Menschen anpassen. Das bedeutet, dass wir ein Miteinander, ein gemeinschaftliches Arbeiten hinbekommen. Die Kommunikation zwischen menschlicher Arbeit und Automatisierung wird einfacher – etwa durch Software-Agenten, die die Vermittlerrolle zwischen Mensch und Maschine einnehmen und verständliche Transparenz schaffen.

Sie haben in der Vergangenheit im Kontext der Automatisierung vom »Kollegen Roboter« gesprochen. Inwiefern muss sich das Skillset der Arbeitnehmenden in der Industrie verändern? Welche Schritte sind dazu nötig?

Das Entscheidende ist, dass sich die Maschinen auf die Menschen zubewegen. Die menschliche Arbeit wird hochwertiger, weil Routine- und Fleißarbeiten durch Maschinen übernommen werden. Das hat massive Auswirkungen auf die Produktion. Wir merken, dass die Vorbehalte gegen Technik deutlich weniger werden. Wo Menschen im Alltag ständig Technik nutzen, erwarten sie diese Technik auch auf der Arbeit. Eine kluge Automatisierung gibt ihnen die Möglichkeit, mit Maschinen zu kommunizieren – und bringt die sozialen Netzwerke, die wir im Alltag nur für Privates nutzen, in die Fabrik.

Sie sind seit Dezember 2024 Mitglied des Forschungsbeirats Industrie 4.0 von acatech, der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften e.V. Haben Sie ein spezielles Thema, das Sie dort voranbringen wollen?

Es ist eine Melange aus Themen, die ich dort nach vorne bringen möchte. Vor allem geht es mir um einen Transfer von Forschungsideen und -resultaten in die Realität. Wir entwickeln zu viele Prototypen, die dann nicht breit eingesetzt werden, es wird zu viel verprobt. Wir sollten mehr praktische Lösungen schaffen – und zwar gemeinsam. Am Beispiel Open Source wird klar, dass keiner alles lösen kann. Wir müssen also an einem Strang ziehen und speziell beim Thema Innovationen und Automatisierung das »Valley of Death« überschreiten.

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18.09.2025
von Rüdiger Schmidt-Sodingen
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