Deutschland steht vor der Aufgabe, digitale Innovation, Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit zugleich zu sichern. Im Interview erläutert Prof. Dr. Christoph Meinel, Mitgründer der German University of Digital Science, wie Bildung, KI und Smart Energy zur Schlüsselachse einer souveränen, klimafreundlichen Wirtschaft werden und warum Transformation vor allem Mut und Verantwortung braucht.
Herr Professor Christoph Meinel, Sie haben das Hasso-Plattner-Institut fast zwei Jahrzehnte lang geprägt und 2025 die German University of Digital Science (GUDS) mitgegründet. Worin unterscheidet sich diese Universität von anderen?
Wir bauen eine digitale Universität für das digitale Zeitalter, wissenschaftlich fundiert, forschungsnah und zugleich radikal anwendungsorientiert. Unser Prinzip ist, exzellente Studierende und Lehrende virtuell so zusammenzubringen, dass Dynamik und Tiefe zunehmen. In einer solchen Lernumgebung kann in kürzerer Zeit mehr vermittelt werden, weil das Niveau die Gruppe trägt. Zugleich öffnen wir Bildung modular: Micro-Credentials mit ECTS-Punkten ermöglichen lebensbegleitendes Lernen, etwa berufsbegleitend, ohne aus dem Job auszusteigen. So entsteht Bildung, die verfügbar, anschlussfähig und skalierbar ist und damit echte digitale Souveränität ermöglicht.
Wie wirkt sich dieser Ansatz auf Ihr Studienangebot aus?
Wir trennen Lerninhalte und Abschlüsse. Wer ein Spezialthema vertiefen möchte, belegt ein Modul als Micro-Credential, das sich später im Studium anrechnen lässt. Unsere Masterprogramme (60 bzw. 120 ECTS) sind flexibel und berufsbegleitend. Ergänzend bieten wir eine offene Lernplattform open.German-UDS.de mit frei zugänglichen Kursen an, demnächst z. B. »Lernen mit KI«. Dort können Teilnehmende praxisnah den Einsatz von KI trainieren beim Recherchieren, Übersetzen, Schreiben, Codieren, Erfassen gesprochener Inhalte und zugleich ethische Fragen reflektieren.
Wie ist die Universität organisiert?
Trägerin ist eine gemeinnützige GmbH unter dem Dach einer Stiftung. Daneben gibt es eine Gesellschaft für Projekte, Beratung, Executive Education und Start-ups. Wir vergeben deutsche Hochschulabschlüsse; BAföG kann wie üblich beantragt werden. Besonders wichtig ist uns die globale Zugänglichkeit: Wer bei uns studiert, kann eine Qualifizierung »made in Germany« erwerben, auch ohne physisch in Deutschland zu sein.
Europa spricht viel über digitale Souveränität, nutzt aber überwiegend außereuropäische Plattformen. Was braucht es wirklich?
Zunächst Kompetenz und Forschung. Wir brauchen Menschen, die digitale Systeme verstehen, gestalten und verantworten, nicht nur bedienen. Gleichzeitig müssen europäische Architekturen entstehen, die Datenschutz ernst nehmen und zugleich Nutzung ermöglichen. Datenschutz ohne Datennutzung bringt uns nicht weiter. Hinzu kommt Forschung zu energie- und ressourceneffizienter KI. Wir arbeiten beispielsweise an neuronalen Netzwerken mit nur leicht reduzierter Präzision, die bis zu 95 Prozent Energie sparen, auf eigenen Laptops laufen ohne spürbare Qualitätseinbußen beim Einsatz. Das ist gelebte digitale Souveränität.
Souveränität praktisch machen bedeutet: Datenschutz und Datennutzung zusammendenken und europäische Plattformen konsequent einsetzen. – Prof. Dr. Christoph Meinel, Mitgründer und Präsident der German University of Digital Science (GUDS)
Welche Kompetenzen brauchen Fach- und Führungskräfte in einer KI-getriebenen Wirtschaft?
Sie brauchen vor allem technologische Grundsouveränität, also ein Verständnis dafür, wie KI funktioniert, wo ihre Grenzen liegen und wie Qualität gesichert wird. Hinzu kommt Produkt- und Prozesskompetenz, um Daten und Prototypen in reale Geschäftsprozesse zu überführen. Und schließlich Governance und Verantwortung, also Sensibilität für Bias, Sicherheit, Haftung und Transparenz. Diese Themen sind bei uns Pflichtstoff, kein Feigenblatt.
Wo liegen die größten Hebel, um Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit zu sichern?
Wir müssen KI in die Fläche bringen. Ob vorausschauende Instandhaltung, bildbasierte Qualitätssicherung, digitale Zwillinge oder optimierte Logistik – die Werkzeuge sind da. Entscheidend ist der Transfer: Professorinnen und Professoren mit Industrieerfahrung, reale Unternehmensdaten, Projektseminare, in denen Forschung zu Anwendung wird. Auch die Robotik in Kombination mit deutschem Maschinenbau birgt enormes Potenzial. Kurz gesagt: Zu zögern und nur über Regulierung zu diskutieren, wird teurer als loszulegen.
Hemmt Regulierung derzeit Innovation?
Regulierung kann Orientierung geben, darf aber nicht zu Erstarrung führen. Da wir noch viel zu wenig wissen, brauchen wir Experimentierklauseln und Sunset-Regeln, also Gesetze mit Ablaufdatum, die regelmäßig überprüft werden. Innovation braucht geschützte offene Räume, in denen es keine Denkverbote gibt und Neues ausprobiert werden darf. Zukunft entsteht nicht am Schreibtisch. Bei der Regulierung des Einsatzes von KI reicht es nicht, das Risiko zu betrachten und dann Hochrisikoanwendungen zu verbieten, denn gerade in der Medizin bietet die KI ein riesiges Potenzial, Leben zu retten. Wo der Nutzen evident ist, muss man ermöglichen und gleichzeitig absichern, statt eindimensionaler Betrachtungen folgend zu verbieten.
Digitalisierung und Nachhaltigkeit werden oft gegeneinander gestellt. Zu Unrecht?
Absolut. Natürlich verbraucht IT Energie, aber sie spart an anderer Stelle vielfach Ressourcen: bei Meetings, Logistik, Produktion, Gebäudesteuerung oder Energienetzen. Smart-Energy-Systeme erhöhen die Effizienz durch Prognosen, Lastmanagement und intelligente Speicher. Transparente Daten entlang der Lieferkette ermöglichen gezielte CO₂-Reduktion. Und elektrische Energie ist die, die sich am leichtesten erneuerbar erzeugen lässt. Kurz gesagt: Messen, steuern, optimieren sind ohne Digitalisierung undenkbar.
Gibt es aus Ihrer Sicht Tabus beim Energiemix?
Ich warne vor Dogmen. Wer Technologien von vornherein ausschließt, verliert Handlungsspielräume. Entscheidend ist, Versorgungssicherheit und Emissionssenkung pragmatisch auszubalancieren und immer wieder offen zu sein für neue technologische Entwicklungen.
Thema FinTech, Blockchain, Tokenisierung … Wo sehen Sie sinnvolle Entwicklungen?
Reine Blockchain-Lösungen sind oft zu energie- und ressourcenintensiv. Zukunft haben hybride Modelle, die Effizienz und Transparenz verbinden. Besonders spannend finde ich die Tokenisierung realer Vermögenswerte, etwa von Kunstwerken. Das demokratisiert den Zugang und schafft neue Formen von Liquidität. Deutschland agiert hier wie so oft sehr vorsichtig und risikoscheu, das darf aber nicht in Selbstverzicht münden.
Transformation ist auch Kultur. Wie lässt sich digitale Offenheit verankern?
Durch Zugriff und Kompetenz. Wissen ist so verfügbar wie nie, aber Menschen brauchen Werkzeuge, Übung und Urteilskraft, um es sinnvoll zu nutzen. Bildungseinrichtungen müssen Hands-on-Erfahrung ermöglichen und Verantwortung einüben, von Diskurskultur bis Datenethik. Unsere offene Lernplattform lädt bewusst auch externe Partner ein, ihr Wissen zu teilen und dadurch Wissen in einem offenen Ökosystem weiterzuentwickeln.
Bei all der Dynamik der digitalen Transformation – was treibt Sie persönlich an, mit der German UDS noch einmal neu zu starten?
Bildung zu vermitteln ist für mich immer Herzensangelegenheit gewesen und der stärkste Hebel der Digitalisierung. Die Welt verändert sich in rasantem Tempo und Mündigkeit entsteht nur, wenn Menschen verstehen, was geschieht, und befähigt sind, bewusst zu gestalten und Verantwortung zu übernehmen. Genau das ist auch der Kerngedanke unserer digitalen Universität: Wir möchten möglichst niedrigschwellig im globalen Maßstab viele Menschen befähigen, die digitale Zukunft nicht nur zu erleben, sondern aktiv mitzugestalten.

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