Nie zuvor haben Firmen so viele Daten erzeugt – und gleichzeitig so wenig Kontrolle darüber besessen. Studien zeigen, wie teuer schlechte Dokumentenprozesse wirklich sind und warum KI zwar helfen kann, aber nur, wenn die Basis stimmt.
Ein Alltag voller Suchbewegungen
In vielen Betrieben beginnt der Arbeitstag nicht mit Entscheidungen, sondern mit Suchen. E-Mails, Cloud-Ordner, Archivsysteme, Projektplattformen – alles wächst schneller, als Mitarbeitende es überblicken können. Die deutsche Wirtschaft setzt heute im Durchschnitt deutlich mehr als hundert verschiedene Softwareanwendungen ein, wie aktuelle Bitkom-Auswertungen zeigen. Was als Fortschritt gedacht war, wird zunehmend zu einer Belastung. Denn immer mehr Systeme bedeuten nicht automatisch mehr Effizienz, sondern oft weniger Orientierung. Laut mehreren Digitalisierungsstudien verbringen Beschäftigte inzwischen spürbare Teile ihrer Arbeitszeit damit, Informationen zu lokalisieren, neu zu sortieren oder von Kolleg:innen anzufordern, die im Zweifel ebenfalls suchen müssen.
Der Verlust von Wissen hat System
Hinzu kommt eine demografische Entwicklung, die den Dokumentenfluss zusätzlich unter Druck setzt. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung erwartet, dass bis zum kommenden Jahrzehnt Millionen Fachkräfte fehlen werden. Mit ihnen verschwinden auch Wissen und Erfahrungen, die nie strukturiert abgelegt wurden. In vielen mittelständischen Unternehmen sind Prozesse historisch gewachsen und Ablagen über Jahre unkoordiniert entstanden. Fehlen klare Regeln, entstehen Unsicherheiten darüber, welche Version eines Dokuments gültig ist oder wo eine Entscheidung festgehalten wurde. Dadurch werden Projekte langsamer und Fehlerwahrscheinlichkeiten steigen. Besonders kritisch ist es, wenn verschiedene Teams parallel mit unterschiedlichen Datenständen arbeiten und niemand mit Sicherheit sagen kann, welcher korrekt ist.
Warum technische Systeme allein nicht genügen
Trotz moderner Infrastruktur bleibt das Dokumentenmanagement vieler Betriebe erstaunlich lückenhaft. Ältere DMS-Lösungen laufen weiter, weil sie »noch funktionieren«, während neue Plattformen im Arbeitsalltag oft nur teilweise genutzt werden. Die Folge sind fragmentierte Informationslandschaften, in denen Dokumente verteilt, kopiert oder lokal abgelegt werden. Studien zu digitaler Arbeit belegen, dass rund die Hälfte der Beschäftigten Schwierigkeiten hat, benötigte Informationen rechtzeitig zu finden. Gleichzeitig steigt das Sicherheitsrisiko: Je mehr Systeme im Einsatz sind, desto schneller entstehen Inkonsistenzen oder veraltete Inhalte. Viele Unternehmen unterschätzen zudem, wie groß der Schaden sein kann, wenn ein falsches Dokument in einen Prozess gerät oder eine überholte Vorlage verwendet wird.
Die KI-Erwartung – und die Ernüchterung
Während vielerorts über neue KI-Werkzeuge gesprochen wird, zeigt die internationale Datenlage ein nüchternes Bild. Der StepUp-Report zur europäischen KI-Adoption macht deutlich, dass nur ein kleiner Teil der Firmen künstliche Intelligenz wirklich produktiv einsetzt. Besonders ernüchternd sind die Zahlen zu Pilotprojekten. Das internationale IT-Fachmedium CIO berichtet über Auswertungen des Marktforschers IDC, wonach ein Großteil experimenteller KI-Initiativen nicht über die Testphase hinauskommt. Die Analyse zeigt, dass rund 88 Prozent dieser Projekte niemals den Sprung in den regulären Betrieb schaffen. Ein später im Technologiebereich des Massachusetts Institute of Technology veröffentlichter Befund kommt sogar auf eine globale Ausfallquote von über 95 Prozent. Diese Zahlen zeigen, wie anspruchsvoll es ist, KI im Unternehmensalltag zu verankern. Die Technologie scheitert dabei weniger an technischen Grenzen, sondern an fehlenden Grundlagen wie unklaren Verantwortlichkeiten, unstrukturierten Daten und ungepflegten Dokumentprozessen.
Wenn Dokumente zum Risiko werden
Eine weitere Entwicklung verschärft die Lage: Mitarbeitende greifen zunehmend auf spontane Lösungen zurück, etwa indem sie Inhalte in private Tools hochladen, um sie schneller auszuwerten oder zusammenzufassen. Arbeitsschutz- und Datenschutzexpertinnen warnen seit Längerem vor steigenden Risiken, da Unternehmen in solchen Situationen kaum nachvollziehen können, wo sensible Informationen landen. Die Gründe für dieses Verhalten sind nachvollziehbar. Wer unter Zeitdruck steht und im internen System nicht findet, was sie oder er braucht, sucht sich Abkürzungen. Die Folge ist jedoch ein Kontrollverlust, der im Widerspruch zu den steigenden Anforderungen an Compliance, Sicherheitskultur und Nachvollziehbarkeit steht.
Strukturen schaffen, bevor KI wirken kann
Die Studienlage führt zu einem zentralen Ergebnis: Dokumentenmanagement ist keine Randaufgabe mehr, sondern ein Fundament für jede Form der digitalen Transformation. Erst wenn Versionen eindeutig, Ablagen konsistent und Zuständigkeiten klar sind, können Unternehmen mit Automatisierung und KI echte Wirkung entfalten. Projekte, die auf strukturierten Informationsflüssen basieren, zeigen messbare Beschleunigungseffekte. In Märkten, in denen Geschwindigkeit zunehmend den Wettbewerb bestimmt, wird die Fähigkeit, Dokumente verlässlich zu finden, zu bewerten und zu nutzen, zum strategischen Vorteil. Viele Unternehmen stehen deshalb vor einer Phase der Neuordnung. Wer diese Chance ergreift, wird in den kommenden Jahren deutlich stabiler und schneller arbeiten können als jene, die im Dokumentendschungel verharren.
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