In vielen Unternehmen gleicht die Informationslandschaft einem Labyrinth: Alle Daten liegen isoliert in unterschiedlichen Systemen. Gleichzeitig werden Produkte immer komplexer, softwaregetriebener und stärker vernetzt. Wer diese Komplexität beherrscht, hat einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil und genau hier setzt der Digital Thread an.
Wörtlich übersetzt bedeutet »Digital Thread« digitaler Faden. Gemeint ist damit die durchgängige Integration aller produktrelevanten Informationen über alle Entwicklungsphasen und Disziplinen hinweg. Mechanik, Elektronik und Software sollen künftig nahtlos zusammenarbeiten, während Anforderungen, Simulationen, Tests und Änderungsprozesse transparent miteinander verknüpft sein müssen. Das so entstehende digitale Nervensystem hält alle Beteiligten auf demselben Informationsstand und steuert eine reibungslose Zusammenarbeit. Ohne diesen digitalen roten Faden steigt bei modernen, mechatronischen Systemen schnell das Risiko von Fehlern und Verzögerungen.
Komplexität unter Kontrolle bringen
Die Praxis ist anspruchsvoll: Entwicklungsprozesse für mechatronische Produkte sind hochgradig komplex. Ihre Entwicklung erstreckt sich über verschiedene Phasen, von der Anforderungsdefinition über Design und Simulation bis zur Verifikation, Validierung und zum Betrieb. Mechanik-, Elektronik- und Softwareteams arbeiten dabei meist in unterschiedlichen Tools und Datensilos, die selten miteinander kommunizieren, doch Änderungen in einem Teil des Systems können zeitlich versetzt Auswirkungen auf andere Disziplinen haben.
Noch heute nutzen viele Unternehmen Tabellen oder isolierte Anwendungen; ein Relikt aus der Zeit mechanischer Produkte. Doch ohne eine gemeinsame, zeitlich nachvollziehbare Informationsbasis über den gesamten Produktlebenszyklus bleibt es nahezu unmöglich, Traceability, Regelkonformität und Systemsicherheit zuverlässig sicherzustellen.
Vom Insellösungsdschungel zum digitalen Fluss
Hier setzt der Digital Thread an. Er verbindet Prozesse horizontal über alle Fachbereiche hinweg und vertikal bis in die jeweiligen IT-Systeme. Anstatt Inhalte zu replizieren, werden Beziehungen zwischen Informationsobjekten verlinkt, ähnlich einem neuronalen Netz, das Informationen dort abruft, wo sie liegen.
Der Digital Thread ist weit mehr als ein optionales Werkzeug. Vielmehr ist er ein strategischer Baustein für moderne Industrieunternehmen.
Diese Orchestrierung schafft nicht nur Nachvollziehbarkeit, sondern unterstützt auch die Einhaltung branchenspezifischer Standards wie A-SPICE in der Automobilindustrie oder DO-178C in der Luftfahrt. Unternehmen sparen Zeit, weil Informationen schneller auffindbar sind, während die Integrität der Fachsysteme erhalten bleibt.
Traceability über den gesamten Produktlebenszyklus
Traceability ist längst kein Thema für regulierte Branchen allein. Nicht nur regulierte Branchen stehen unter Druck: Auch Automobilzulieferer, Maschinenbauer und Energieunternehmen müssen jederzeit nachweisen können, dass Compliance, Produktsicherheit und Nachhaltigkeit eingehalten werden. Der Digital Thread macht dies möglich, indem er lückenlos dokumentiert, wann Entscheidungen auf welcher Grundlage getroffen wurden, welche Auswirkungen sie auf das Gesamtsystem hatten und wie Änderungen umgesetzt wurden. Fehlerquellen lassen sich schneller identifizieren, Reibungsverluste zwischen den Fachbereichen werden reduziert und Kundenfeedback fließt unmittelbar zurück in die Entwicklung. Prozesse, die früher Tage dauerten, lassen sich nun in Stunden oder Minuten nachvollziehen.
Change-Management im Fokus
Besonders das Änderungsmanagement profitiert. Neue gesetzliche Vorgaben, Kundenrückmeldungen oder technische Innovationen betreffen meist mehrere Disziplinen gleichzeitig. Der Digital Thread ermöglicht, diese Änderungen domänenübergreifend zu steuern: Mechanik, Elektronik und Software werden im gleichen Kontext betrachtet. Ingenieurinnen und Ingenieure nutzen dazu ein »Change Cockpit«. Dort sehen sie auf einen Blick, welche Artefakte betroffen sind, welchen Status sie haben und wie weit der Prozess fortgeschritten ist. Der sogenannte »Digital Change Thread« verknüpft Informationen und Prozesse und schafft so einen durchgängigen, auditfähigen Entwicklungsfaden.
Effizienz und Innovation
Der Nutzen des Digital Thread zeigt sich klar: Entwicklungszeiten können verkürzt, Fehlerquoten reduziert und Ressourcen gezielter eingesetzt werden. Parallel dazu schafft der Digital Thread die Basis für Innovationen, ohne die Abläufe in den Fachbereichen zu stören, von digitalen Zwillingen über KI-gestützte Analysen bis hin zu simulationsbasierten Optimierungen.
Durch eine konsequente Vernetzung sämtlicher relevanter Informationen können Entscheidungen schneller getroffen, Änderungen effizient umgesetzt und die auch bereichsübergreifende Zusammenarbeit gestärkt werden. Unternehmen, die den Digital Thread nutzen, steigern somit nicht nur Geschwindigkeit und Qualität der Produktentwicklung, sondern sichern sich auch langfristig digitale Souveränität.
Mehr als ein technisches Konzept
Der Digital Thread ist weit mehr als ein optionales Werkzeug. Vielmehr ist er ein strategischer Baustein für moderne Industrieunternehmen. Er befähigt Firmen, flexibel auf Marktveränderungen zu reagieren und ihre Innovationskraft nachhaltig zu sichern. Auf Basis des digitalen roten Fadens entstehen aus isolierten Informationen vernetzte, orchestrierte Entwicklungsökosysteme, die Produktentwicklung und Zusammenarbeit auf ein neues Niveau heben. Das macht die Produktentwicklung in Unternehmen nicht nur effizienter, sondern auch zukunftsfähiger.
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