Interview von Aaliyah Daidi

Ivan Frédéric Knie: «Auch unsere Mitarbeitenden gehören zur Familie»

Zirkuskunst zwischen Tradition und Moderne: Wie lebt es sich in der achten Generation der Familie Knie?

Seit über 200 Jahren begeistert die Familie Knie mit ihrer Zirkuskunst und gelebter Tradition. Ivan Frédéric Knie wuchs in dieser besonderen Welt auf – zwischen Manege, internationalen Künstler:innen und Pferden. Im Interview spricht er über seine einzigartige Kindheit, den starken Familienzusammenhalt und die Herausforderung, ein traditionsreiches Familienunternehmen zu bewahren und gleichzeitig neue Wege zu gehen. 

Ivan Frédéric Knie, Sie haben durch Ihr Familienunternehmen eine ganz besondere Kindheit gehabt. Wie würden Sie diese beschreiben?

Ich kann meine Kindheit kaum in Worte fassen. Sie war fantastisch. Ich hatte das grosse Glück, Dinge erleben zu dürfen, die für viele andere Kinder nicht selbstverständlich sind. Wir reisten viel und haben unzählige Orte entdeckt. Als Kind liebte ich Spielplätze und wollte immer neue erkunden. 

Eine besonders schöne Erinnerung ist, dass ich viele schöne Freundschaften mit Künstlerinnen, Künstlern und deren Kindern schliessen konnte. Wir haben jedes Jahr 60 bis 70 Künstler und insgesamt über 200 Mitarbeitende – viele von ihnen sind ganze Familien. Dadurch habe ich heute Freunde auf der ganzen Welt und immer irgendwo eine Verbindung, was ein Riesengeschenk für mich ist. 

Ich würde meinen zukünftigen Kindern genauso eine wunderschöne Kindheit wie meine wünschen. Ich war schon fast etwas verwöhnt, aber ich hätte es mir nicht anders wünschen können. Es war ein Traum. 

Da Sie durch den Zirkus viel reisen, begegnen Sie ständig neuen Menschen und knüpfen somit zahlreiche Kontakte. Würden Sie sagen, dass diese Beziehungen langfristig oder eher vorübergehend sind? Sehen Sie darin eventuell einen Nachteil? 

Definitiv langfristig. Natürlich telefoniere ich nicht täglich mit all meinen Freunden, aber für mich sind echte Freundschaften die, bei denen man sich auch nach langer Zeit wieder melden kann und alles sofort passt. Natürlich ist das durch Social Media heutzutage einfacher und ich weiss immer, wo meine Freunde sich gerade aufhalten. 

Ein Beispiel: Vor ein paar Jahren war ich in den Sommerferien in Las Vegas, einfach um ein paar Freunde zu besuchen und mir Liveshows anzuschauen. Vor Ort habe ich dann festgestellt, dass so viele Bekannte dort leben, dass ich meinen Aufenthalt verlängern musste, um alle zu sehen.

Ich sehe das als grossen Vorteil. Viele Menschen wünschen sich, so viel reisen zu können und so viele Kontakte zu knüpfen. Für mich ist das ein unglaubliches Privileg. 

Ivan Frédéric Knie in der Manege

© Nicole Boekhaus

Der Circus Knie ist ein grosses Familienunternehmen, das seit vielen Generationen geführt wird. Wie würden Sie den heutigen Zusammenhalt beschreiben?

Unsere Situation ist besonders. Wir leben und arbeiten zusammen und tauschen uns täglich über alles Mögliche aus. Natürlich gibt es – wie in jeder Familie – Meinungsverschiedenheiten. Entscheidend ist, dass wir sie akzeptieren und offen kommunizieren, um dann Kompromisse finden zu können. 

Das könnte man mit einer guten Beziehung vergleichen: Man muss sich austauschen, über Probleme reden und zusammen daran arbeiten. Uns gelingt das sehr gut und ich hoffe, dass es für immer so bleibt. Der Zusammenhalt unserer Familie ist etwas ganz Besonderes. 

Wie gelingt es Ihnen, eine gute Work-Life-Balance aufrechtzuerhalten und gleichzeitig ein harmonisches Verhältnis zu Ihrer Familie zu bewahren?

Für mich ist unser Lebensstil normal. Unser Beruf wurde zu unserer Leidenschaft, wir haben unser Hobby zu unserem Job gemacht.

Das könnte man mit Profisportlerinnen und -sportlern vergleichen: Ein Tennisspieler lebt für seinen Sport, trainiert regelmässig und ist immer unterwegs. Genauso ist es bei uns im Zirkus. Selbst in unserer Freizeit überlegen wir, wie wir die Show verbessern könnten. Für mich ist das keine Arbeit, sondern ein grosser Teil meines Lebens und auch das meiner Familie. 

Zum Glück kann ich sagen, dass ich immer Menschen um mich habe, die mich unterstützen – sei es im Team, im Freundeskreis oder in der Familie.

Wie empfinden Sie es, Familienmitglieder als Vorgesetzte zu haben? Welche Vorteile und Herausforderungen bringt diese Dynamik mit sich?

Ich sehe meine Mutter nicht nur als Chefin, sondern auch als meine engste Vertraute – genauso wie meinen Grossvater, der früher Zirkusdirektor war. Er hat mich als Künstler geprägt und mir alles über Pferde und Dressur beigebracht. 

Meine Familie sehe ich nicht als Vorgesetzte, sondern eher als meine Trainer und Mentorinnen. Wir haben eine sehr offene Kommunikation und wir können uns immer aufeinander verlassen. Nicht alle haben so eine besondere Beziehung zur Familie, dafür bin ich unglaublich dankbar. 

Inwiefern beeinflussen andere Zirkuskonzepte Ihr Format?

Ich liebe es, mir andere Shows anzusehen und mich inspirieren zu lassen. Für mich gibt es Konkurrenz in dem Sinne nicht – nur gute und weniger gute Produktionen. 

Es ist unglaublich wichtig, dass es weltweit verschiedene Liveshows gibt, damit das Publikum weiterhin begeistert werden kann. Der Zirkus muss sich ständig weiterentwickeln und dabei hilft die Inspiration von anderen Produktionen enorm. 

Gibt es Aktivitäten, die Sie auch ausserhalb des Zirkusalltags unternehmen? Und wie gestalten Sie traditionelle Anlässe wie beispielsweise Geburtstage und Feiertage?

Ehrlich gesagt, bin ich nicht der grösste Fan von Feier- oder Geburtstagen. Meine Familie legt aber viel Wert darauf und deshalb feiern wir immer zusammen.

An Weihnachten und Silvester kommen nicht nur unsere Familie, sondern auch unsere Künstlerinnen, Künstler und Mitarbeitenden zusammen, denn sie gehören auch zur Familie. Einige unserer Mitarbeitenden sind schon seit Jahrzehnten bei uns. Das schafft eine starke Verbundenheit. 

Wie würden Sie den Alltag in Ihrer Familie beschreiben? Gibt es besondere Gewohnheiten oder Rituale, die Ihrer Familie wichtig sind?

Der Morgen ist immer am wichtigsten, denn er beginnt immer im Stall. Dort kümmern sich 15 Mitarbeitende um unsere 44 Pferde. Mein Grossvater kommt später dazu, denn er ist schliesslich mein Mentor. Obwohl er nicht mehr in der Manege steht, ist er noch immer genauso aktiv hinter den Kulissen wie früher in der Manege, denn der Zirkus ist sein Lebenswerk. Unsere Tage sind durch das Zirkusleben sehr geprägt, aber genau das lieben wir und ich würde es mir nicht anders wünschen. 

Der Zirkus hat sich im Laufe der Jahre weiterentwickelt. Wie sehen Sie die Entwicklung des traditionellen Konzepts im Vergleich zu modernen Formaten? Gibt es interessante Elemente, die Sie gerne integrieren würden? 

Meine Mutter und mein Stiefvater sind unglaublich innovativ und setzen sich stark für die Weiterentwicklung des Zirkusses ein. Der Zirkus hat sich schon immer verändert – genau wie das gesamte Showbusiness.

Früher konnte man das gesamte Publikum mit einem einfachen Salto begeistern, doch heute sind durch Social Media, unzählige Videos und Talentshows die Erwartungen viel höher. Durch die Digitalisierung müssen wir uns ständig neu erfinden und modern präsentieren, damit der Zirkus auch in Zukunft das Publikum begeistern kann. 

Welche kreativen und logistischen Heraus-forderungen bringt die Arbeit im Zirkus mit sich? Wie gehen Sie mit unerwarteten Änderungen im Tagesablauf um?

Jede Herausforderung ist anders. Zum Glück kann ich sagen, dass ich immer Menschen um mich habe, die mich unterstützen – sei es im Team, im Freundeskreis oder in der Familie.

Wir haben Spezialistinnen und Spezialisten für alle Bereiche im Zirkus, und es gibt immer jemanden, der eine Lösung findet. Kommunikation ist dabei das Wichtigste für uns. 

Werden wir Sie zukünftig in der Rolle der Zirkusdirektion sehen? Wie gehen Sie mit diesem Druck um?

Ich hoffe es! Gleichzeitig wünsche ich mir jedoch, dass meine Mutter und mein Stiefvater das Unternehmen noch lange führen können. Ich kann sagen, dass ich mehr Vorfreude als Druck empfinde, einmal die Rolle als Zirkusdirektor übernehmen zu dürfen. 

Momentan führt die siebte Generation das Unternehmen. Gibt es bereits Visionen oder Pläne des Zirkusses in der achten Generation? 

Unser Ziel ist es, die Familientradition fortzuführen. Circus Knie gibt es schon seit dem Jahr 1803 – über 200 Jahre lang! Wir tun alles, dass unser Unternehmen auch in Zukunft bestehen bleibt.

Wenn wir weiter so zusammenarbeiten, dann bin ich davon überzeugt, dass der Zirkus eine grossartige Zukunft vor sich hat. 

Zur Person

Ivan Frédéric Knie ist der Sohn von Géraldine Knie und Ivan Pellegrini. Er gehört mit seinen zwei Halbgeschwistern und Cousins zu der achten Generation der Knie Familie. Ivan Knie hat eine grosse Leidenschaft für Pferde und Dressurreiten. Durch seine Mutter und seinen Grossvater besteht die Leidenschaft für den Circus Knie noch immer und wird in Zukunft auch von Ivan Knie weitergeführt. Solange Géraldine Knie noch für die Zirkusdirektion verantwortlich ist, begeistert Ivan Knie weiterhin das Publikum mit seiner atemberaubenden Show.

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19.04.2025
von Aaliyah Daidi
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