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Michel Péclard: «Ich streite sehr oft mit meinen Köchen»

25.08.2018
von Miriam Dibsdale

Die Zürcher Gastroszene wird von wenigen dominiert. Einer der auffälligsten und bekanntesten ist das «Enfant terrible» Michel Péclard, der hinter dem Fischer’s Fritz, dem Schober und der Pumpstation steht. Fokus «Gastro und Retail» hat ihn in einem seiner Restaurants getroffen.

Michel Péclard, zu Ihrer GmbH gehören mittlerweile 15 Betriebe. Das hört sich nach viel Verantwortung und Arbeit an. Wie oft schauen Sie täglich aufs Handy?

Immer. Ich bezeichne mich gar selbst als «Handyschlampe». Allerdings ist es immer auf lautlos. Seit ich mit meinem Geschäftspartner Florian Weber zusammenarbeite, ist mein Telefon ruhiger geworden, seines klingelt dafür andauernd. Er war für mich da, als ich aufgrund meiner Scheidung und einem Todesfall in der Familie beinahe aufgab. Ich hätte gar keine Chance mehr, den Betrieb ohne ihn zu führen. Er ist blitzgescheit, ich hingegen nur bauernschlau. Sollte er irgendwann davonlaufen, laufe ich einfach nach.

Bei der Eröffnung Ihres ersten Lokals, der Pumpstation an der Seepromenade, konnten Sie noch nicht auf seine Hilfe zählen. Wer hat Ihnen damals geholfen?

Aller Anfang ist schwer. Obwohl meine Eltern das nötige Kapital gehabt hätten, habe ich keinen Rappen davon gesehen. Anfangs zog ich erfolglos von Bank zu Bank, um die ersten 100’000 Franken zu besorgen. Die kleine Brauerei Rosengarten in Einsiedeln hat mir schliesslich das Geld geliehen, ohne sie hätte ich gar nie starten können. Ich bin bis heute ihr grösster Abnehmer, obwohl ich keinen Vertrag mit ihnen habe.

Hatten Sie nie Zweifel daran, ob Ihr Restaurant Erfolg haben würde?

Ich hatte unzählige schlaflose Nächte, habe daran gezweifelt, das Ganze überhaupt stemmen zu können. Als farbenblinder Legastheniker, der dreimal von der Schule geflogen ist, glaubte ich manchmal selbst nicht an mich. Dennoch hatte ich Mut und damit Erfolg. Denn was sollte schon passieren, würde ich Konkurs gehen? Wenn man nichts hat, kann man auch nichts verlieren. Es war die richtige Entscheidung, im Alter zwischen 20 und 30 Gas zu eben. Denn als mein erster Sohn auf die Welt kam, änderte sich mein Sicherheitsbedürfnis schlagartig. Plötzlich war ich nicht mehr nur für mich selbst verantwortlich und ich konnte keine so grossen Risiken mehr eingehen.

Haben Sie sich nie überlegt, Ihre Betriebe zu verkaufen?

Bei einem Angebot von 40 Millionen müsste ich natürlich leer schlucken, dennoch würde ich ablehnen. Ich lebe meine Firma, sie ist mein Hobby, meine Familie. Morgens stehe ich auf und kann das machen, was mir Spass macht. Ich hatte den Mut, jemanden an meiner Firma zu beteiligen, obwohl ich dies nicht gemusst hätte. Das Leben ist zu kurz, um Geld nachzurennen. Wenn ich ein bisschen Geld habe, kaufe ich mir lieber eine neue Beiz als ein neues Auto. Meine Kinder sind in die Firma integriert und Teil davon. Beide möchten später einmal ins Geschäft einsteigen. Der ältere studiert an der HSG Wirtschaft, während dem jüngeren die Hotelfachschule in Luzern vorschwebt.

Eins Ihrer Herzensobjekte ist das Fischer’s Fritz in Wollishofen. Wieso?

Als heruntergekommener Campingplatz mit Stacheldraht rundherum, hatte das Restaurant früher vielleicht acht Gäste pro Abend. Bei einem Anlass habe ich den damaligen Geschäftsführer kennengelernt. Er erzählte mir, dass er es verkaufen wolle. So kam es, dass wir im Beisein eines per Zufall anwesenden Anwalts mitten in der Nacht unter Alkoholeinfluss den Vertrag auf einer Serviette besiegelten. Mein Kader riet mir davon ab, kein normaler Mensch würde sich an Camping wagen. Doch ich möchte keine Kronenhalle, die sowieso gut läuft, übernehmen. Ich komme in Fahrt, wenn man mich hinterfragt. Ein Nein heisst bei mir ja.

Was motiviert oder inspiriert Sie in dieser Branche?

Ich finde es etwas vom Schönsten, Menschen glücklich zu machen. Wann geht man zum Arzt oder einem Scheidungsanwalt? Wenn es einem schlecht geht. In der Gastronomie kann man extrem kreativ sein. Ich reise auf der ganzen Welt umher und sehe neue Orte. Es gibt keinen besseren Job.

Ich bin einer der wenigen, der sich getraut, auch einmal gegen den Strom zu schwimmen und in Graubereiche vorzudringen.

Sie werden auch als «enfant terrible» bezeichnet. Wieso?

In der Schweiz ist alles streng reguliert. Kreativität hat keinen Platz. Ich bin einer der wenigen, der sich getraut, auch einmal gegen den Strom zu schwimmen und in Graubereiche vorzudringen. Die Stadt Zürich hat einfach keinen Mut. Erst kürzlich war das Bauschänzli ausgeschrieben. Der Zuschlag ging an die Candrian Catering AG, einen der grössten Gastronomiebetriebe in Zürich. Eine innovative Stadt, wie Zürich sie vorgibt zu sein, sollte genügend Mut haben, neue Wege zu gehen.

Haben Sie sich nie verkalkuliert?

Bei einem kreativen Kopf wie mir gehen sechs von zehn Ideen in die Hose. Dafür schlagen zwei bis vier richtig ein. Beim Schober im Niederdorf habe ich gründlich daneben gegriffen. Ich hatte mehrmals abgesagt und mein Gefühl riet mir davon ab, dennoch habe ich es übernommen. Die Kosten für den Umbau waren doppelt so hoch wie angenommen und es schreibt noch heute Verlust. Mit zwei kleinen Kindern und den zwei Millionen, die ich dort in den Sand setzte, erlitt ich beinahe ein Burnout. Auch das erste Konzept der Milchbar ging komplett daneben. Die Idee, ein glutenfreies Restaurant zu eröffnen, war an sich nicht schlecht. Doch es lief nicht, weil das angebotene Essen schlicht ungeniessbar war. Auch dieser Fehltritt kostete mindestens eine Million.

Es wird nicht immer nur positiv über Ihre Betriebe geschrieben. Wie gehen Sie mit Negativschlagzeilen um?

Ich habe festgestellt, dass Negativwerbung oft erfolgreicher ist als gezielte Werbemassnahmen. Ich erinnere mich an einen Latte-Macchiato-Test, bei welchem das Schober mit dem teuersten Preis am schlechtesten abschloss. Die Leute freuten sich über meinen Misserfolg. Doch kaum war das Rating veröffentlicht, stieg die Nachfrage an und wir verkauften nur noch Latte Macchiatos. Alle wollten den «schlechtesten» Latte Macchiato selbst probieren. Ähnlich verlief es in Arosa, als wir Tipis zur Übernachtung anboten und diese mitten im Juli plötzlich eingeschneit wurden. Ich stellte daraufhin ein Foto von den verschneiten Zelten auf Facebook und es hagelte Reservationsanfragen. Fehler passieren. Lache über dich selbst, das ist das beste Marketing.

Tauschen Sie sich oft mit anderen Gastronomen aus?

Ja, ich führe mit vielen Gastronomen einen offenen, ehrlichen Austausch. Einer davon ist mein bester Freund Thomas Krebs, der Pächter der Seerose. Entgegen der Meinung vieler verstehen wir uns trotz theoretischer Konkurrenzsituation blendend und werden bald gemeinsam ein Restaurant eröffnen.

Was meinen Sie mit «theoretischer Konkurrenzsituation»?

Ich habe keine Konkurrenz und das ist nicht eingebildet zu verstehen. Einige Gastronomen stört es, wenn ein Betrieb neben dem ihrem eröffnet. Meiner Meinung nach ist das ein falsches Denken. Ich hatte ein Café an der Bahnhofstrasse als daneben das Divino von Denner eröffnete. Trotz der Preisdifferenz nahmen unsere Einnahmen nicht ab, im Gegenteil: Da das Divino mehr Leute anzog als Plätze vorhanden waren, kamen automatisch mehr Leute zu uns. Ich finde es immer schön, wenn neue Betriebe eröffnen, das belebt eine Gegend.

Was machen Sie, um die Speisekarten neu und aufregend zu halten?

Streiten. Ich streite sehr oft mit meinen Köchen. Ich bin kein Gastronom, habe keine Ahnung von Wein und kann nicht kochen. Es geht darum, den Gast zu studieren und herauszufinden was er will. Damit habe ich eine andere Sichtweise als ein Koch. Ich bringe Ideen ein, die sie nicht kennen. Als ich Zürichsee-Sushi anbieten wollte, sagten sie mir, Sushifisch müsse aus dem Meer stammen. Daraufhin habe ich einen meiner Köche nach Japan geschickt, um zu lernen wie man Sushi macht. Auf ähnlichen Widerstand bei meinen Köchen stiess ich beim mittlerweile sehr gefragten und populären Gemüsekorb sowie unserem Beststeller, den Pouletflügeli. Meine Köche waren gegen «Hasenfutter» und Pouletflügelei sahen sie als Abfallprodukt. Mittlerweile sitzt Roger Federer persönlich im Fischer’s Fritz und isst Pouletflügeli. Und wieso? Weil es sonst überall immer Rindsfilet gibt. Da sind Flügeli eine sehr willkommene Abwechslung.

Sprüche wie «Das haben wir aber schon immer so gemacht» sind der Untergang eines jeden Gastronomen.

Woher kommen die Lebensmittel und anderen Waren für Ihre Betriebe?

Wenn immer möglich, beziehen wir lokale Waren. Wein von Übersee ist ein Tabu. Ich sehe nicht ein, wieso wir beispielsweise argentinischen Wein verkaufen sollten. Auch Thunfisch findet sich in praktisch keiner meiner Speisekarten. Wir Menschen überfischen die Meere und rotten mit dem Thunfisch einen der wenigen natürlichen Feinde der Quallen aus und wundern uns dann, wieso der Lieblingsstrand plötzlich gesperrt ist. Ich habe zwei Söhne, die die Welt auch nach mir noch brauchen. Wir haben im Fischer’s Fritz einen eigenen Fischer, der täglich frischen Fisch aus dem Zürichsee bringt. Viele Neider haben schon in meinen Restaurants Proben genommen und untersuchen lassen, ob der Fisch wirklich aus dem See stammt. Natürlich haben alle Ergebnisse die Herkunft bestätigt.

Was halten Sie von Ernährungstrends wie dem veganen Lebensstil?

Ich muss nicht jeden Trend selbst verstehen. Wieso steht mein Sohn in New York morgens um zwei Uhr stundelang Schlange, um einen Turnschuh für 600 Franken kaufen zu können? Wenn die Gäste sich vegane Menüs wünschen, müssen wir ihnen diese bieten und nicht nur an alten Mustern festhalten. Sprüche wie «Das haben wir aber schon immer so gemacht» sind der Untergang eines jeden Gastronomen.

Interview: Miriam Dibsdale



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