Netto-Null bis 2050 – eine klimapolitische Zielsetzung, die in der Schweiz gesetzlich verankert ist. Doch die Realität in der Bau- und Immobilienbranche gleicht einem Dickicht aus unterschiedlichen Ansätzen und Definitionen. Wie also kann man ein derart komplexes Ziel erreichen, wenn die Spielregeln unklar sind? Ein wegweisendes Projekt des Bundes will genau das ändern und damit den Weg für klimaneutrale Gebäude ebnen.
Wenn Sie diese Zeilen lesen, dürfte es draussen sommerlich warm sein – oder je nach aktueller Wetterlage sogar ungemütlich heiss. An diesen Zustand muss man sich gewöhnen, denn generell wird es auf der Erde immer wärmer. Mit weitreichenden negativen Folgen für Flora, Fauna sowie die menschliche Bevölkerung. 2018 zeigte der Sonderbericht des Weltklimarates (IPCC) über die Erderwärmung auf, welche Folgen eine globale Erwärmung von 1,5 Grad hat, darunter die Zunahme von Extremwetterereignissen wie Hitzewellen, Dürren und Starkregen. Zudem wurden Massnahmen erläutert, mit denen sich die Erwärmung zügeln liesse. Basierend auf diesen Empfehlungen legte der Bundesrat im Folgejahr für die Schweiz das Ziel fest, bis zur Mitte des Jahrhunderts eine ausgeglichene Treibhausgasbilanz anzustreben. Dieses «Netto-Null-Ziel» ist heute Teil des «Klima- und Innovationsgesetzes», dem die Stimmbevölkerung 2023 zugestimmt hat. Damit wurde Netto-Null zum gesetzlichen Auftrag.
Um das Netto-Null-Ziel bis 2050 zu erreichen, müssen vor allem die Emissionen im Gebäudebereich, im Verkehr sowie der Industrie umfassend vermindert werden.
Doch was bedeutet das genau? Um das Netto-Null-Ziel bis 2050 zu erreichen, müssen vor allem die Emissionen im Gebäudebereich, im Verkehr sowie der Industrie umfassend vermindert werden. Gerade der Gebäudebereich trägt erheblich zu den Treibhausgasemissionen der Schweiz bei, wie es vonseiten des Bundesamtes für Umwelt (Bafu) heisst. Denn nebst den direkten und indirekten Emissionen durch den Betrieb von Gebäuden fallen auch sogenannte graue Emissionen («Embodied emissions») an. Diese entstehen bei der Herstellung, Errichtung und Entsorgung von Gebäuden, Gebäudeteilen und Baumaterialien und sind ein wesentlicher Faktor in der Klimabilanz. Daher ist eine ganzheitliche Betrachtung notwendig, um zielführende Ansätze für die Reduktion dieser Emissionen zu entwickeln.
Eine Frage der Definition
So weit, so klar. Oder etwa nicht? Denn wie ein Blick in die Bau- und Immobilienbranche zeigt, ist es gar nicht so einfach, einen gemeinsamen Nenner für das Netto-Null-Ziel zu finden. Ein zentrales Problem besteht darin, dass sich mehrere Organisationen in der Vergangenheit bereits damit beschäftigten haben und zu unterschiedlichen Ansätzen sowie Definitionen gelangt sind, darunter Organisationen wie Minergie Schweiz, die Kantone, der Bund oder der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein (SIA). Vereinfacht ausgedrückt, steht man in der Schweiz vor eine Dickicht aus unterschiedlichen Ansätzen und Definitionen. Um Abhilfe zu schaffen, lancierte das BFE im Jahr 2023 das Projekt «Netto-Null-Treibhausgasemissionen im Gebäudebereich». Im Rahmen dieses Vorhabens entwickelten TEP Energy, Interface, Carbotech sowie der ETH Zürich eine einheitliche Methodik und Definition für Netto-Null-Gebäude und zeigten Wege auf, um das Netto-Null-Ziel zu erreichen. Auf diese Weise sollen Grundlagen geschaffen werden, welche von allen relevanten Akteuren, wie Bund und Kantonen, Organisationen und Labels akzeptiert werden. Das Projekt war in fünf Fragestellungen und Teilprojekte gegliedert, um alle relevanten Aspekte abzudecken.
Die fünf Eckpfeiler
Das erste Teilprojekt «F0» beschäftigte sich mit den methodische Grundlagen. Hier wurden die Definitionen und Berechnungsmethoden für Netto-Null-Gebäude entwickelt. Bei «F1» ging es dann um die Machbarkeit der Netto-Null-Ziele, wobei untersucht wurde, wie sich der Gebäudebereich gesamtschweizerisch durch technische und wirtschaftliche Konzepte in Richtung Netto-Null entwickeln lässt. Zu diesem Zweck wurden sowohl Szenarien für Neubauten als auch für bestehende Gebäude betrachtet. «F2» und «F3» befassten sich mit Strategien zur Umsetzung, konkreten technischen sowie politischen Konzepten sowie möglichen Wegen zur praktischen Realisierung der Netto-Null-Ziele. «F4» hatte zu guter Letzt das Ziel, bestehende Methoden und Standards zu vergleichen und einen Überführungsansatz zu entwickeln, um die Vergleichbarkeit sicherzustellen und im Idealfall die Harmonisierung bestehender Regelwerke oder zumindest die Vergleichbarkeit zu ermöglichen.
Viel erreicht und noch viel zu tun
Was ist dabei herausgekommen – und kann man das Projekt als Erfolg bezeichnen? Eine Befragung der Teilnehmerschaft zeigt, dass wichtige Grundlagen geschaffen werden konnten, um die Förderung von Netto-Null zu vereinfachen. So wurde etwa folgende Definition festgelegt: «Ein Gebäude mit Netto-Null-Treibhausgasemissionen (kurz «Netto-Null-Gebäude») weist ein Minimum an Treibhausgasemissionen in den Phasen Erstellung und Betrieb über den gesamten Lebenszyklus auf und vermindert die verbleibenden Treibhausgasemissionen aus Erstellung und Betrieb durch anrechenbare Negativemissionen auf Netto-Null. Die Berechnung der Treibhausgasemissionen erfolgt nach definierten methodischen Grundsätzen. Diese sind grundsätzlich wissenschaftsbasiert. Mit Verweis auf Aspekte der Anreizsetzung und der Umsetzbarkeit wird teilweise in Varianten davon abgewichen.»
Wie bei einem Gebäude ist es mit dem Schaffen des Fundaments aber noch nicht getan – im Gegenteil. Nun geht es darum, dass die Akteure, sprich die verschiedenen Organisationen, die öffentliche Hand, Firmen aus dem Bau- und Immobiliensektor sowie Verbände auf dieser geschaffenen Basis konkrete Massnahmen und Anreize für den Bausektor generieren, damit dieser Netto-Null als Zielsetzung grossflächig anstrebt.
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