stefan breitenstein stefan breitenstein: «virtual lawyer wird es nicht geben»
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Stefan Breitenstein: «Virtual Lawyer wird es nicht geben»

17.04.2019
von SMA

Die Rechtsbranche ist ein Spiegel der Gesellschaft: Sie verändert sich analog zu den Entwicklungen und Trends, die das Berufs- und Privatleben der Menschen bestimmen. Welche Themen das aktuell sind, welche Veränderungen die Finanzbranche gerade durchläuft und wie die Digitalisierung den Beruf des Juristen verändert, erläutert Stefan Breitenstein, Managing Partner bei Lenz & Staehelin, im Interview.

Stefan Breitenstein, als Experte für Banken- und Finanzrecht beraten Sie bei Lenz & Staehelin Klienten u.a. im Bereich internationaler Transaktionen. Aus aktuellem Anlass: Wie viel schwieriger gestaltet sich diese Aufgabe in jüngster Zeit angesichts der anhaltenden Brexit-Thematik?

Der Brexit ist in der Schweiz gegenwärtig kein grosses Rechtsberatungsthema. Der Brexit wird für den englischen Finanzsektor nachhaltige Veränderungen verursachen, da die englischen Finanzinstitute den EU-Passport verlieren werden, der ihnen erlaubt, grenzüberschreitend in Europa Finanzdienstleistungen zu erbringen. Das wird zu Verlagerungen von Finanzdienstleistungen in die EU führen. Die Fondsverwaltungsdienstleistungen werden sich noch stärker auf Irland und Luxemburg konzentrieren. Versicherungen werden möglicherweise vermehrt nach Luxemburg verlagert und Bankdienstleistungen werden neu häufiger aus Frankfurt, Paris und Madrid angeboten. Die Schweiz wird von diesen Verlagerungen nicht profitieren.

Frankreich hat der UBS aufgrund vermeintlicher Steuerdelikte im Februar eine rekordhohe Busse aufgebrummt – die Grossbank hat Einspruch erhoben. Welche Auswirkungen wird dieser Fall Ihres Erachtens auf den Banken- und Finanzsektor haben?

Der Prozess erscheint dem schweizerischen Betrachter als teilweise politisch. In der Vergangenheit hat die UBS in solchen Situationen die Strategie verfolgt, früh einen Vergleich abzuschliessen. Sie ist mit dieser Strategie gut gefahren, besser als andere Schweizer Banken. In Frankreich gab es wohl gute Gründe, von dieser Strategie abzuweichen. Es hat sich nun gezeigt, dass diese Strategie mit sehr hohen Risiken verbunden ist und es fragt sich, ob ein solch politischer Prozess in einem Land wie Frankreich überhaupt gewonnen werden kann. Ob nun ein negativer Prozessausgang auf andere schweizerische Finanzinstitute Auswirkungen haben kann, ist allerdings schwer zu sagen. Die der UBS vorgeworfenen Sachverhalte betreffen die Jahre 2004 bis 2012. Seitdem ist das Doppelbesteuerungsabkommen mit Frankreich angepasst und der automatische Informationsaustausch eingeführt worden.

Welche Themen beschäftigen die hiesige Finanzbranche aktuell?

Der schweizerische Finanzsektor befindet sich gegenwärtig in einer schwierigen Umbruchsphase, die durch die Zinspolitik der Zentralbanken zusätzlich verschärft wird. Der Umbruch und insbesondere die neuen Technologien werden zum Umbau der bestehenden Geschäftsmodelle führen. Ich bin zuversichtlich, dass dieser Umbau rechtzeitig gelingen wird.

Datenschutz wird in der Zukunft das grosse zentrale Thema sein.

Und welche aktuellen Entwicklungen stellen Sie bezüglich M&A in der Schweiz und im Ausland fest?

Global gibt es gegenwärtig weniger Megadeals. Dies ist auf drei Faktoren zurückzuführen. Erstens besteht eine grosse Unsicherheit im heutigen politischen Umfeld wegen Brexit und den Handelsstreitigkeiten. Zweitens ist das regulatorische Umfeld schwieriger geworden. Insbesondere Wettbewerbsbehörden sind bei Megadeals kritischer geworden. Schliesslich zeigt der M&A-Protektionismus Folgen z.B. in den USA, Deutschland, dem Vereinigten Königreich und der EU. In der Schweiz hat sich der Bundesrat gegen solche protektionistischen Massnahmen ausgesprochen. In der Schweiz stellen wir gegenwärtig eine rege M&A-Tätigkeit fest, z.B. die Übernahme von UPC durch Sunrise, bei der wir Sunrise vertreten konnten. Weiter gibt es grosse Aktivitäten im Logistikbereich, wo derzeit ein hoher Veränderungsdruck besteht, z.B. CEVA, Panalpina.

Kürzlich durfte Lenz & Staehelin in London den «Law firm of the year – Switzerland»- Award entgegennehmen. Erneut.

Solche Awards sind wichtig für uns. Sie reflektieren die Anerkennung unserer guten Arbeit durch unsere Klienten und den Markt im Allgemeinen.

Sie sind seit 2015 «Managing Partner» bei Lenz & Staehelin. Welches sind die grossen Veränderungen gegenüber Ihrer vorherigen Stellung im Unternehmen?

Bei uns werden die Managing Partner durch die Partnerschaft für vier Jahre gewählt. Die Wahl stellt einen grossen Vertrauensbeweis dar. Denn sie verändert den bisherigen Aufgabenbereich sehr stark. Ich verwende nur noch 50 Prozent meiner Arbeitszeit für die Beratung von Klienten. Die anderen 50 Prozent verwende ich für Managementaufgaben. Der Managing Partner einer Anwaltskanzlei ist kein CEO, da alle Partner gleichberechtigte Partner sind. Der Führungsstil basiert deshalb auf Konsens und Überzeugung. Die Teamarbeit steht im Vordergrund.

Die Digitalisierung verändert klassische Industrien, schafft neue Unternehmensfelder und krempelt unser Verständnis von Privatsphäre um. Das führt auch zu neuen Rechtsfragen. Vergangenes Jahr war hierzu bspw. die DSGVO (Datenschutz-Grundverordnung) ein grosses Thema. Welches sind die zentralen rechtlichen Themen, die aufgrund der Digitalisierung noch auf Sie und Ihre Kollegen zukommen werden?

Die Digitalisierung ist in der Tat einer der Megatrends in der Rechtsentwicklung. Die europäische Datenschutz-Grundverordnung hat direkte Auswirkungen auf alle international ausgerichteten schweizerischen Unternehmen, vor allem solche mit einem Geschäftsmodell, das auf Daten basiert. Deshalb beraten wir heute Klienten direkt zu europäischem Recht. Datenschutz wird in der Zukunft das grosse zentrale Thema sein. Die dynamische Rechtsentwicklung und die hohe Komplexität verlangen ein Team von Spezialisten, das wir natürlich bei unserer Grösse haben.

Es braucht Interesse an der Rechtsordnung, Passion und Einsatzbereitschaft.

Und inwiefern wird eine Kanzlei wie die Ihre von der Digitalisierung erfasst – werden wir z.B. bald den «Virtual Lawyer» haben?

Den «Virtual Lawyer» wird es nicht geben. Das Thema ist der «Enhanced Lawyer». Anwälte werden vermehrt die neuen Technologien einsetzen. Wir konzentrieren uns auf Suchtechnologien, die wir jetzt schon bei internen Untersuchungen für Klienten einsetzen. Daneben wird es «Drafting Tools» geben, die sich primär an Inhouse-Juristen und allgemein praktizierende Anwälte richten. Hier steht mit Approovd.com der erste Schweizer Anbieter am Start.

Blockchain-Technologie sowie Kryptowährungen sind in aller Munde, verursachen aber auch viel Unsicherheit. Welches Vorgehen empfehlen Sie Mandanten hierzu?

Wir müssen Blockchain-Technologie und Kryptowährungen auseinanderhalten. Kryptowährungen sind ein Anwendungsfall der Blockchain-Technologie. Kryptowährungen haben meiner Ansicht nach schon aus regulatorischen Gründen wenig Zukunft. Dagegen hat die Blockchain-Technologie sicherlich langfristig Chancen. Wir konzentrieren uns sehr stark auf diese Themen. So sind wir Gründungspartner der Capital Market and Technology Association (CMTA), in der die École Polytechnique Fédéral de Lausanne (EPFL) und Industriepartner vertreten sind und sich zum Ziel gesetzt haben, die Verwendung der Blockchain-Technologie im Finanzmarkt zu erleichtern. Präsident der Vereinigung ist mein Partner Jacques Iffland.

Wie stellen Sie sicher, dass Sie über die besten Nachwuchskräfte verfügen – gerade angesichts der Tatsache,  dass sich der Rechtsbereich wandelt?

Bei der Rekrutierung von Nachwuchskräften ist die Attraktivität des Arbeitgebers zentral. Wir bieten unseren Juristinnen und Juristen die Möglichkeit, in modernen Büros mit den neuesten technologischen Mitteln in einem internationalen Umfeld an aktuellen Rechtsfragen zu arbeiten und im Team belastbare Lösungen für Klienten effizient zu erarbeiten. Wir wurden durch das Institut Universum zum attraktivsten privaten Arbeitgeber für Juristen gewählt.

Welche Ratschläge haben Sie für junge Menschen, die mit dem Gedanken spielen, eine Anwaltskarriere einzuschlagen?

In der Vergangenheit haben viele Maturanden den Juristenberuf durch negative Auswahl gewählt. Das geht heute für Anwälte nicht mehr. Es braucht Interesse an der Rechtsordnung, Passion und Einsatzbereitschaft. Wenn sie das mitbringen, können sie auch heute getrost den Anwaltsberuf wählen.

Über Lenz & Staehelin.

Lenz & Staehelin gilt als die führende Anwaltskanzlei der Schweiz. Mit mehr als 200 Juristen ist die Kanzlei in der Lage, innovativ zu sein und sich an die sich ständig verändernden rechtlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen anzupassen, sowohl in der Schweiz als auch international. Aus diesem Grund vertrauen viele der weltweit führenden Unternehmen sowie Privatpersonen ihre Rechtsangelegenheiten den Expertinnen und Experten von Lenz & Staehelin an.

Weitere Informationen finden Sie unter www.lenzstaehelin.com

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