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Divertimento – zwei Lehrer erfolgreich auf Abwegen

11.04.2019
von Miriam Dibsdale

Mittlerweile sind 20 Jahre vergangen, seit sich die beiden Lehrer Manuel Burkart und Jonny Fischer im Lehrerseminar kennenlernten. Als Cabaretduo Divertimento haben sie sich vom Klassenzimmer abgewandt und touren erfolgreich durch die Schweiz.

Jonny, du hast dir letztes Jahr die Achillessehne gerissen. Hast du dich schon von der Verletzung erholt?

Jonny Fischer: Leider noch nicht vollständig. Ich komme direkt von der Physiotherapie, die ich dreimal wöchentlich besuche. Zwar laufe ich ohne Krücken, doch bis ich wieder voll genesen bin, dauert es noch ein paar Monate.

Du standst mehrere Wochen mit Gips auf der Bühne. Wie schwierig war es, diesen in die Divertimento-Show zu integrieren?

Jonny Fischer: Für die Show war der Unfall ein Geschenk. Nach 140 Auftritten war unser Programm bereits Routine geworden. Die Anpassungen und Ergänzungen mit Krücken und Rollstuhl brachten dann Abwechslung in die Show. Das war ein Mehrwert für unsere Zuschauer, die überraschend ein völlig neues Programm zu sehen bekamen. Für mich persönlich war es ehrlich gesagt aber eher unangenehm.

Habt ihr die neuen Programmteile nun alle gestrichen?

Jonny Fischer: Nach 40 angepassten Auftritten mit dem lädierten Bein haben wir nun eine Mischform aus beiden. Wir haben einzelne Szenen vom Herbst drin gelassen und andere rausgestrichen. Die Genesung war also nicht nur für mich ein Geschenk, sondern hat unsere Routine erneut gebrochen.

Wie oft baut ihr Situationen aus dem Alltag spontan in eure Divertimento-Shows ein?

Jonny Fischer: Immer, wenn etwas Aussergewöhnliches im Leben passiert, versuchen wir das einzubauen. Früher war das noch einfacher, weil wir an den meisten Orten vor ausschliesslich lokalem Publikum gespielt haben. So konnten wir Vorkommnisse oder persönliche Erfahrungen in der Umgebung miteinbeziehen. Mittlerweile reisen unsere Zuschauer auch von weiter her an. Deshalb bauen wir eher Ereignisse wie die Ski-WM oder die Erkältung von Manuels Kindern ein. So bleibt auch das Programm für uns immer ein bisschen neu und frisch.

Welche Lebensbereiche bringt ihr besonders gerne auf die Bühne?

Jonny Fischer: Blöderweise kommen Schwächen besonders gut an. Dies können Sachen sein, mit denen wir allgemein Mühe haben oder die uns im Alltag Schwierigkeiten bereiten. Z.B. meine Unzufriedenheit mit meinem Taufnamen oder Ketchupbeutel in Restaurants.

Stört es euch nicht, wenn fremde Leute eure Schwächen kennen?

Jonny Fischer: Natürlich kann es schon mal etwas unangenehm sein, Schwächen vor allen zu offenbaren. Es kommt vor, dass mich Leute auf der Strasse Jonathan nennen, weil sie wissen, dass mich das ärgert. Doch deswegen werde ich nicht gleich wütend. Unsere Schwächen kommen auf der Bühne gut an, weil sie echt sind und wir sie nicht erfinden müssen.

Blöderweise kommen Schwächen besonders gut an. Divertimento

In welcher Figur erkennt ihr euch am ehesten wieder?

Manuel Burkart: In vielen Figuren lebe ich genau das, was ich sonst gar nicht bin und tue. Das geniesse ich an dieser «Schauspielerei». Dass auch echte, eigene Charaktereigenschaften aufblitzen kann gut passieren.
Jonny Fischer: Jede meiner Figuren hat was von mir. Am besten kann ich mich aber mit Gianfranco identifizieren. Er ist dieser liebenswürdige, aber sehr unsichere Zeitgenosse. Eine Eigenschaft, die ich zwar habe, doch nur selten zeigen kann.

Wie reagiert ihr bei Patzern oder ungeplanten Ereignissen während der Show?

Jonny Fischer: Eigentlich sind Ungereimtheiten für uns, jetzt wo wir so eingespielt sind, ein Glücksfall. Teilweise bauen wir sie sogar extra ein, indem wir dem anderen ein Bein stellen oder ihm seinen Text vorwegnehmen. So ergeben sich Situationen, die zwar super ankommen, aber für uns auch einmal stressig sein können. Unser Ziel ist immer, dass die Leute zwischen spontanen und geplanten Ereignissen nicht unterscheiden können.

Erinnert ihr euch an eine Situation, in der es euch schwerfiel, etwas Unvorhergesehenes zu überspielen?

Jonny Fischer: In Basel hatten wir einmal einen Stromausfall vor 1600 Leuten. Wir wussten zwar, dass das Notstromaggregat in 90 Sekunden angeht, doch mussten selten so lange ohne Mikrofon und ohne Licht vor einem grossen Publikum stehen, das nicht wusste, ob etwas passiert oder dies Teil der Show war.
Manuel Burkart: Zu lange technische Pannen, so scheint mir, kann ich nur schwierig «unbemerkt» überspielen.

Ihr beide feiert dieses Jahr den 20. Jahrestag eures Kennenlernens. Welche Momente dieser Freundschaft waren die Highlights?

Jonny Fischer: Unsere Freundschaft ist vergleichbar mit einer Partnerschaft. Am Anfang haben wir uns vergöttert. Ich war blind begeistert von Manu und fand alles toll an ihm. Eine schöne Zeit. Dann folgte eine eher schwierige. Wir merkten, dass beide auch Schattenseiten haben und sahen fast nur noch diese. Es gab in diesen 20 Jahren drei Momente, in denen wir nicht wussten, ob es wirklich eine Zukunft gab. Auf diese Tiefpunkte folgten aber immer Highlights und nach jedem davon mochte ich Manu noch ein ganzes Stück lieber.  Divertimento ist uns beiden so viel Wert, dass wir grosse Kompromisse eingehen, um weiterhin zusammenarbeiten zu können.

In Basel hatten wir einmal einen Stromausfall vor 1600 Leuten.

Divertimento

2015 habt ihr euch ein Jahr Pause von der Bühne genommen und ein sogenanntes Sabbatical gemacht. Hatten ihr genug voneinander?

Jonny Fischer: Damit ein Team funktioniert, müssen beide Mitglieder eigenständig ebenso funktionieren. Nach 13 Jahren ohne Pause war etwas Abstand wichtig, um auch wiedermal etwas alleine zu erleben. Die Pause war heilsam und wir sind beide sehr erfüllt und mit neuen Ideen zurückgekommen.

Hattet ihr während der Pause trotzdem Kontakt?

Jonny Fischer: Kaum. Wir haben uns nur sehr wenige Nachrichten geschickt. Nach einem halben Jahr trafen wir uns das erste Mal in Schottland wieder. Wir haben uns unglaublich aufeinander gefreut. Das war vorher, als wir uns täglich sahen, irgendwann nicht mehr der Fall.

Ihr seid die ersten Schweizer Komiker, die das Hallenstadion gefüllt haben. Wie könnt ihr das überhaupt noch steigern?

Jonny Fischer: Es ist nicht die Masse, die über einen guten Auftritt entscheidet. Es geht mehr darum, zu lernen, den Erfolg zu geniessen und sich nicht auf den Lorbeeren auszuruhen. Mein persönliches Ziel ist deshalb nicht die Steigerung der Grösse des Publikums, sondern mehr Gelassenheit an den Tag zu legen.

In eurem ursprünglich erlernten Beruf des Lehrers hättet ihr 13 Wochen unterrichtsfreie Zeit und fixe Arbeitszeiten gehabt. Ihr aber habt euch für unregelmässige Zeiten und Wochenendeinsätze entschieden. Wie gut lässt sich dieser Zeitplan mit eurem Privatleben vereinbaren?

Jonny Fischer: Aufgrund der unregelmässigen Arbeitszeiten kommt leider die Zeit mit Freunden etwas zu kurz. Doch handkehrum gibt es auch viele Vorteile. So kann ich zum Beispiel unter der Woche die leeren Skipisten geniessen.
Manuel Burkart: Ja, der Arbeitsplan hat Vor- und Nachteile. Ich möchte aber momentan nicht anders, obschon ich je länger je lieber die Abende wieder zu Hause in meinem «Familie-Nest» verbringen würde.

Manuel, bleibt neben Familie und Divertimento überhaupt noch Zeit für deine Plausch-Band BBR?

Manuel Burkart: Ich investiere wirklich gerne meine Freizeit in dieses Projekt. Doch es ist tatsächlich so, dass dies momentan schwierig ist, da Job und Familie eigentlich alles ausfüllen.

 Es ist nicht die Masse, die über einen guten Auftritt entscheidet. Divertimento

Im Rahmen vom Projekt «Sternenwoche» von Unicef, seid ihr ins Klassenzimmer zurückgekehrt. Vermisst ihr euern alten Beruf manchmal?

Jonny Fischer: Das Unterrichten an sich nicht, doch die Arbeit mit Jugendlichen fehlt mir, denn sie haben eine Kraft, die man im ganzen Leben nie mehr hat. Diese Träume, die Zuversicht und alle Türen stehen einem offen. Ein tolles Alter!
Manuel Burkart: Mir fehlen das Lehren und der Austausch mit den Kindern und Jugendlichen schon manchmal. Alles andere gar nicht. Es würde mich sehr reizen, einmal etwas im Bereich Umwelt-, Konsum- oder Gewalt- und Mobbingprävention zu machen. Aber eben, die Zeit ist leider knapp.

Hattet ihr jemals Zweifel, ob ihr den richtigen Karriereweg eingeschlagen habt?

Jonny Fischer: Ja, die hatte ich. Am Anfang waren die Ungewissheit und das fehlende Geld das grösste Problem. Wir haben im Juni als Lehrer aufgehört, als es auf der Bühne nicht gut lief und wir noch keine Auftritte für den Herbst organisiert hatten. Doch auch als wir dann Auftritte hatten, kam keiner. Da kamen natürlich Zweifel auf. Ich musste mein Auto verkaufen und bin in eine Vierer-WG gezogen. Doch wenn man nicht alles versucht, ohne ein Sicherheitsnetz, kann man nie sagen, ob es funktioniert oder nicht. Wir haben diesen Schritt gewagt und hatten Glück.

Könntet ihr euch vorstellen, noch einmal selbst die Schulbank zu drücken und eine Weiterbildung zu machen?

Jonny Fischer: Ja, ich besuche regelmässig Sprachkurse. Doch ich bin noch immer eher auf der anderen Seite aktiv und gebe Coachings und Kurse.
Manuel Burkart: Sich weiterzubilden ist wichtig. Ich würde viele Kurse besuchen, wenn die Zeit dafür vorhanden wäre. In Vergangenheit reichte es mal für einen Motorsäge-Kurs und einen Adobe Premiere-Filmschnitt-Kurs. Das Projekt «Familie» ist auch ein fetter Kurs!

Ich musste mein Auto verkaufen und bin in eine Vierer-WG gezogen. Divertimento

Wart ihr als Lehrer schon die Spassmacher oder eher streng mit euren Schülern?

Jonny Fischer: Ich habe nicht den Clown gemimt, aber war sehr nah an den Jugendlichen dran. Als ich aufhörte zu unterrichten, waren die Schüler enttäuscht und die Eltern froh.
Manuel Burkart: Ich habe mit den Schülern selten den «Löli» gemacht, weil ich merkte, dass ich mit dem Wechselverhalten zwischen «ernst» und «lustig» viele überforderte. Trotzdem, gelacht haben wir viel zusammen.

Manuel, du hast Kinder im schulpflichtigen Alter. Gibt es ein Fach, das deiner Meinung nach im Lehrplan fehlt oder zu wenig Beachtung findet?

Manuel Burkart: Nein, lasst für die Schüler die Fächer so sein. Aber vielen Eltern würde es gut tun, Unterrichtseinheiten zu besuchen. Ich denke da an «Umgang mit Medien», «Umgang miteinander», «Konsumverhalten», «Streitkultur», «Freizeitgestaltung»…

Gibt es Szenen von euren Shows, die du ihnen nicht zeigen würdest?

Manuel Burkart: Nein, unsere Nummern sind alle kinder- und familientauglich. Es fallen vielleicht etwas viele Kraftausdrucke, aber so sind wir halt.

Jonny, du bist seit bald drei Jahren mit deinem Partner verheiratet. Habt ihr schon über Kinder gesprochen?

Jonny Fischer:  Ja das haben wir, doch Nachwuchs kommt für uns nicht in Frage. Die Schweiz ist leider noch nicht bereit für Kinder gleichgeschlechtlicher Paare und ich möchte nicht, dass ein Wunsch von mir wichtiger ist als das Kindeswohl.

Du hast dafür ein dreijähriges «Gottimeitli». Weiss sie, was ihr Götti beruflich macht?

Jonny Fischer: Ich habe mit ihren Eltern besprochen, dass sie so lange wie möglich Fan vom Götti sein soll und nicht Fan von seinem Beruf. Ich mache aber natürlich privat viele Spässe mit ihr und sie freut sich immer besonders, wenn sie bei mir Dinge tun darf, die zuhause verboten sind.

Wie schwierig ist es, euer Privatleben von der Aussenwelt abzuschirmen?

Jonny Fischer: Glücklicherweise leben wir in der Schweiz und Schweizer sind eher zurückhaltend. Sie erkennen uns und tuscheln vielleicht, doch sie umringen uns nicht und reissen uns die Kleider vom Leib. Ich empfinde aber in gewissen Situationen zu viel Nähe von fremden Personen als störend. Beispielsweise wenn ich mit meinem Mann beim Einkaufen eine Auseinandersetzung habe oder ich mit meinem «Gottimeitli» unterwegs bin. Was ich zudem vermisse, sind richtige Bierbankfeste und Grümpelturniere, obwohl ich solche Events wirklich liebe. Sobald Leute Alkohol trinken, haben sie die Distanz nicht mehr im Griff. Dann wird es unangenehm. Im Winter war ich mit zwei Freunden am Weihnachtsmarkt im Strassburg, wo mich keiner kennt und man sich auch einen Spass erlauben kann, ohne fotografiert zu werden oder damit in die Medien zu kommen. Das hat echt Spass gemacht.

2017 war eure Aussage über einen möglichen Kinofilm «wär mal was». Wie konkret ist dieses Projekt bereits?

Jonny Fischer: Von dem träumen wir schon lange, doch es ist überhaupt nicht konkret. Wir haben öfters angefangen zu schreiben, haben zudem immer wieder Ideen und erhalten auch Skripts. Doch nur einen Film zu drehen, damit es einen gibt, ist uns zu wenig wert. Er muss wirklich zu uns passen. Aktuell liegen wieder zwei Drehbücher bei uns, doch wir hatten noch gar keine Zeit, diese überhaupt zu lesen. Vielleicht ist ein Kinofilm ein Traum, der nur ein Traum bleibt, doch vielleicht wird er irgendwann zur Realität.

Eure Fans dürfen also noch hoffen?

Jonny Fischer: Ja, und wir auch!

Beendet folgende Sätze:

Ohne Divertimento wäre…

Manuel Burkart: ich sicherlich anders geformt und geprägt.
Jonny Fischer: ich ein total anderer Mensch

Mein schlimmster Moment auf der Bühne war, als…

Jonny Fischer:  ich kürzlich zu Tode krank, mit Fieber und ohne Stimme auftreten musste. Dabei wollte ich nur sterben oder im Bett liegen aber nicht vor 3000 Leuten performen.
Manuel Burkart: ich mit lädierten, nur ca. zu 30 Prozent einsatzfähigen Stimmbändern auftreten musste. Das kommt leider fast jedes Jahr einmal vor.

Privat lache ich am liebsten über…

Jonny Fischer: Missgeschicke von anderen Menschen.
Manuel Burkart: Missgeschicke aller Art.

Freiheit bedeutet für mich…

Manuel Burkart: Unabhängigkeit, zu lieben und geliebt zu werden.
Jonny Fischer: nicht daran zu denken, was andere von einem erwarten.

Ich wünschte mir von der Gesellschaft…

Jonny Fischer: mehr Verständnis für gleichgeschlechtliche Paare.
Manuel Burkart: einen respektvollen Umgang mit Mitmenschen.

Ich wäre gerne besser…

Jonny Fischer: in Sprachen.
Manuel Burkart: darin, Ordnung zu halten.

Familie bedeutet für mich…

Manuel Burkart: Geborgenheit & Halt und manchmal Stress & Erschöpfung.
Jonny Fischer: leider nicht so viel.

In zehn Jahren…

Jonny Fischer: ist alles möglich.
Manuel Burkart: ist Donald Trump hoffentlich «entmachtet».

Interview Miriam Dibsdale

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