reinhold messner, foto claude langlois
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Reinhold Messner: «Der Berg lügt nicht»

10.05.2019
von Matthias Mehl

Reinhold Messner ist eine Bergsteigerlegende, hat zahlreiche Bücher verfasst, war in der Politik tätig und hat mit dem sechsteiligen «Messner Mountain Museum» der Bergwelt ein Denkmal gesetzt. Selber bezeichnet sich Messner als Abenteurer. Was einen solchen auszeichnet und wie er zur «Inszenierung der Natur» steht, verrät Reinhold Messner im Interview.

Reinhold Messner, woran arbeiten Sie momentan?

Es sind verschiedene Themen, die ich mich aktuell beschäftigen. Bei mir ist es so, dass ich mich einer Sache nie nur «ein bisschen» verschreibe, sondern mich mit meinen Projekten immer ganz und gar auseinandersetze. Derzeit bin ich daran, einen Film-Krimi zu Ende zu bringen. Für diesen habe ich die Geschichte verfasst und auch Regie geführt. Der Film spielt in Patagonien und greift eine wahre Begebenheit aus dem Jahr 1959 auf.

Was hat sich denn damals zugetragen?

Hintergrund der Geschichte bildet die Erstbesteigung des Cerro Torre. Diese soll am 30. Januar 1959 den Bergsteigern Cesare Maestri sowie dem Tiroler Toni Egger über die Ost- und Nordwand gelungen sein – wobei Egger in einer Eislawine ums Leben kam. Die «erfolgreiche» Besteigung des Berges wurde später allerdings stark in Zweifel gezogen. Im Film gehe ich der Sache auf den Grund und suche Fachleute auf, die Licht auf die vielen Fragezeichen werfen, die diese Geschichte aufwirft. Und wir beweisen dadurch, dass sich das Ganze nicht so zugetragen haben kann, wie erzählt wird. Denn man kann den Berg nicht betrügen: Wenn jemand erzählt, er habe dieses oder jenes auf dem Berg erlebt, kann ich mithilfe geologisch-geografischer Fakten nachweisen, ob dem so war oder nicht. Der Berg ist dabei weder böse noch gut, er ist einfach. Der Berg lügt nicht – Menschen hadern nur mit ihrer Erinnerung. Der Film wird im Herbst ausgestrahlt, auf Servus TV in Österreich und Deutschland, im BR sowie Arte. Es handelt sich hierbei um meine vierte Regiearbeit.

Wenn jemand erzählt, er habe dieses oder jenes auf dem Berg erlebt, kann ich mithilfe geologisch-geografischer Fakten nachweisen, ob dem so war oder nicht.

Wie viel Zeit widmen Sie dem «Messner Mountain Museum»?

Die Leitung des Museums habe ich vor zwei Jahren an meine Tochter Magdalena abgetreten. Ich habe 20 Jahre gebraucht, um die Vision vom Museum wahrzumachen. Es war also an der Zeit, das Projekt in neue Hände zu geben. Heute würde ich mich gar nicht mehr getrauen, ein derartiges Vorhaben in Angriff zu nehmen – denn ich glaube, dass seine Realisierung allein schon politisch nicht mehr möglich wäre.

Und dennoch haben Sie es geschafft: Das «Messner Mountain Museum» besteht aus sechs Häusern in und um Südtirol, die den Besuchern die unterschiedlichen Facetten der Bergwelt und des Alpinismus näherbringen. Erfüllt Sie das mit Stolz?

Ich bin vielmehr zufrieden als stolz. Bei meinem Museum handelt es sich um das mit Abstand erfolgreichste Bergmuseum weltweit. Oder vielmehr bei unserem Museum, denn 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter setzen sich mit viel Engagement und Leidenschaft dafür ein. Leider sind nicht alle sechs Standorte gleich gut frequentiert, auch weil wir im Winter einige schliessen müssen, da sie in der kalten Jahreszeit unzugänglich werden. Dennoch dürfen wir mit dem Erreichten mehr als zufrieden sein: Wir haben ein Narrativ zur Bergwelt in den Museen untergebracht, über das Verhältnis der Menschen zur Berg-Natur. Im Zentrum des Museums steht die Frage, was mit uns Menschen passiert, wenn wir uns dem Berg ausliefern. Geologie und Geografie kommt beide eher nur am Rande vor, mir geht es vor allem um das Emotionale, das Spirituelle.

Der Berg erlaubt es uns, uns selbst von einer anderen Warte aus zu betrachten.

Was passiert denn mit Menschen, wenn sie sich dem Berg ausliefern?

Der Berg erlaubt es uns, uns selbst von einer anderen Warte aus zu betrachten. Es geht um primäre Erfahrungen in einer archaischen Welt. Allerdings fand meine Idee, diesem Umstand mit dem Museum Ausdruck zu verleihen, zu Beginn nur wenig Anklang: Ich hatte damals verschiedene Museumsdirektoren eingeladen, um ihnen mein Vorhaben zu erläutern. Das würde niemals klappen, wurde mir vorausgesagt. Doch ich war überzeugt davon, dass das Konzept funktionieren konnte, wenn es mir gelänge, die richtigen Standorte zu finden.

Heute setzt sich das Museum zusammen aus einem Zentrum und fünf Satelliten, umrahmt von einem Meer aus Gletschern und Felsengipfeln. Die Lokalitäten waren deshalb so wichtig, weil sie die Themen, welche die jeweiligen Häuser behandeln, mittragen müssen. Denn wir wollten nicht nur ein Kunst- oder Naturkunde-Museum schaffen, sondern vielmehr einen Begegnungsraum, in dem ich über die Berge erzählen kann. Zu diesem Zweck nutzen wir nebst diversen Reliquien aus den verschiedenen Epochen des Bergsteigens auch Kunstelemente sowie zusammenführende Texte.

Die Berge stellen einen zentralen Ankerpunkt in Ihrer Biografie dar. Als Alpinist und Extrem-Bergsteiger haben Sie weltweite Bekanntheit erlangt. Wie kam es dazu?

Ursprünglich komme ich aus den Dolomiten. Ich studierte und war Lehrer. Doch schon immer war da ein starker Bezug zur Bergwelt, weswegen ich schliesslich Kletterer wurde. Bis 1969 war ich vor allem ein Dolomiten-Kletterer und Alpen-Bergsteiger. Ende der 60er-Jahre führte mich meine Leidenschaft häufig auch in die Schweiz, etwa ins Wallis, zum Montblanc, dem Matterhorn und dem Eiger. Dabei konzentrierte ich mich stets auf schwierigste Routen und Erstbegehungen. 1969 erhielt ich dann das erste Angebot eines Sponsors. So etwas gab es vorher gar nicht, der Beruf des «Profibergsteigers» war schlicht inexistent.

Das Schreiben über die Expeditionen von Anderen hat mir mindestens so viel Freude bereitet, wie über meine eigenen Abenteuer zu berichten.

1969 machte ich mich an die Solo-Besteigung der Droites-Eiswand bei Chamonix, wofür ich einen Werbevertrag mit einem Rucksackhersteller nach Hause brachte. Ein Jahr später verlor ich am Nanga Parbat, einem Achttausender im Südhimalaya, meinen Bruder. Ich selber überlebte mit diversen Erfrierungen. Dieser Schicksalsschlag stellte mich vor die Entscheidung: Ich konnte entweder aufgeben, was mein Umfeld mir auch nahelegte. Oder ich konnte mich auf das Höhenbergsteigen verlegen – denn dabei brauchte ich die verlorenen Zehen nicht unbedingt. Ich entschied mich für Letzteres. 1971 gab ich meine letzte Unterrichtsstunde als Lehrer und wurde zu einem «Freelance-Abenteurer». Als solchen sehe ich mich heute noch: Ich bin ein Abenteurer und mache kein «Outdoor», wie das Bergsteigen heute so oft genannt wird.

Was bedeuten Ihnen die Natur und die Bergwelt heute?

Meine Leben wurde viel stärker von den Bergen geprägt als von der Schule, der Universität oder meiner bürgerlichen Existenz. Ich habe mir auch stets parallel zu meinen Abenteuern die dazugehörige Historie und Gedankenwelt verinnerlicht. Entsprechend schreibe ich heute nicht mehr nur Bücher aus der Ich-Perspektive, sondern auch über andere Grenzgänger. Das Schreiben über die Expeditionen von Anderen hat mir mindestens so viel Freude bereitet, wie über meine eigenen Abenteuer zu berichten. Wenn ich mich in eine andere Story hineinversetze, bin ich sozusagen mehrere Monate lang mit diesen Personen «am Berg», erlebe sowohl ihre Tragödien als auch ihre Hochgefühle nach. Auf diese Weise fungiere ich als Stellvertreter für viele, die davon träumen, ein eigenes Abenteuer zu erleben. Daher versuche ich, Geschichten so zu erzählen, dass sie auch Menschen begeistern, die noch niemals etwas Höheres als einen Barhocker bestiegen haben.

Sie haben bereits ausgeführt, was der Berg mit den Menschen macht. Was aber macht der Mensch mit den Bergen? Wird die Natur zur Touristenattraktion?

Jedem Menschen steht das Recht zu, sich mit der Natur auseinanderzusetzen. Allerdings wird diese Auseinandersetzung zunehmend inszeniert – und dadurch geht sie letztlich verloren. Ein gutes Beispiel dafür sind Aussichtsplattformen, die inzwischen allerorten im Gebirge angebracht werden. Von dort geniesst man als Tourist zwar eine schöne Aussicht, doch ein tiefergehender Einblick eröffnet sich einem nicht: Wenn ich den Abgrund nicht spüre, gibt es den Abgrund eigentlich nicht. Der Berg wird also mehr und mehr zu einer Kulisse. Am Südpol kann man an Halbmarathons teilnehmen. Doch das Herumstapfen in einem abgesicherten Raum hat nichts mit dem realen Südpol zu tun, auf diese Weise begreife ich diesen Ort nicht wirklich. 90 Prozent der Kletterer sind heute in der Halle unterwegs. Das hat nichts mit Alpinismus zu tun. Grosse, legendäre Berge wie der Mount Everest und Co. werden für Touristen präpariert, man bringt allerorten Klettersteige an, fördert Pleasure-Touren. Die Natur wird in Ketten und Seile gelegt. Es ist eine Form des Tourismus. Das ist in Ordnung, doch muss man sich bewusst sein, dass es dabei nicht um Naturerfahrung geht, man besteigt letztlich keinen Berg mehr, sondern eine Attrappe.

Sie haben die echten Berge bestiegen und haben in allen Teilen der Welt Abenteuer erlebt. Welcher Ort hat Ihnen besonders gefallen?

Eindeutig Tibet. Als ich diese Gegend erstmals erkundete, war sie natürlich noch ganz anders als heute. Diese einzigartige Kultur könnte verloren gehen, wenn die Region keine Autonomie im Rahmen von China erlangt. Es gibt hier gewisse Parallelen zu Südtirol: Wir Südtiroler sind heute eine selbstbestimmte Gruppe von rund 550 000 Menschen. Wir befinden uns inzwischen in der privilegierten Lage, keine nationalen Zugehörigkeitsgefühle haben zu müssen. Wir können Europäer sein. Und so wie Tibet mir als Region besonders in Erinnerung bleibt, sind mir die Tibeter auch die liebsten Bergbewohner. Sie leben in diesem grossartigsten Land, auf dieser einzigartigen Hochfläche und pflegen ihre ganz besondere Halbnomaden-Kultur.

Wenn Sie zurückschauen auf alle erlebten Abenteuer, auf die vielen Facetten Ihres Lebens – gibt es etwas, was Sie im Nachhinein anders machen würden?

Ich beschäftige mich nicht mit Hypothesen, es muss in Ordnung sein, so wie es ist. Ich denke, dass ich aufgrund meiner Abenteuer gelernt habe, dass es falsch ist, erst am Lebensende auf ein erfolgreiches Leben zurückblicken zu wollen. Es wäre zu spät. Vielmehr geht es im Leben darum, immer wieder neue Ideen zu entwickeln und diese umzusetzen. Das gelingende Leben basiert auf Gestalten im Hier und Jetzt. Und wenn ich scheitere, gehört das ebenso dazu. Ich kann es anschliessend nicht mehr ändern. Der beste Bergsteiger war ich nie.

Ich bin ein ganz normal ausgestatteter Bürger, mit normalem Herzen und normalen Lungen. Doch habe ich die Gabe, öfters aufzubrechen als die Anderen. Viele waren besser als ich – doch sie haben es nie gewagt, den ersten Schritt zu tun. Die Denkweise hat mich weitergetragen. 1968 und 1969 waren meine besten Kletterjahre gewesen; und plötzlich hatte ich keine Zehen mehr. Darum musste ich einen neuen Weg für mich finden. Also wurde ich Höhenbergsteiger, später Abenteurer, dann Forscher, Politiker, Museumsgestalter und Filmemacher. Es geht letztlich darum, immer der Neugier zu folgen. Und ich fühle mich noch zu jung für die Rente.

Über Rheinhold Messner.

Reinhold Franz Messner wurde am 17. September 1944 in Brixen in Südtirol geboren. Seit 1969 hat er über 100 Reisen in die Gebirge und Wüsten dieser Erde unternommen. Zudem gelangen ihm zahlreiche Erstbegehungen, die Besteigung aller 14 Achttausender und der «seven summits». Die Antarktis, die Wüsten Gobi und Takla Makan und die Längsdurchquerung Grönlands sind ihm ebenfalls gelungen. Er hat über 50 Bücher geschrieben und eine Reihe Filme mitgestaltet. Für seine Beiträge zum Bergsteigen und der Berggebiete wurde Messner mit der «Patron’s Medal», eine der höchsten Auszeichnungen des britischen Königshauses, ausgezeichnet.

Weitere Informationen zu dem Messner Mountain Museum unter
messner-mountain-museum.it

Ein weiteres Interview zum Thema Natur gibt es hier.

Text: Matthias Mehl

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