ruedi noser
Innovation Wirtschaft Interview

Ruedi Noser: «Wenn das Schlimmste vorbei ist, muss man nach vorne blicken»

24.04.2020
von Dominic Meier

In Krisenzeiten ergeben sich auch neue Chancen für die Zukunft. Ruedi Noser, Unternehmer und FDP-Ständerat des Kantons Zürich, über die Relevanz einer digitalisierten und flexiblen Wirtschaft und die Zeit nach der Coronakrise.

Herr Ruedi Noser, inwiefern nehmen Sie als Politiker und Unternehmer die aktuelle Situation aufgrund des Coronavirus wahr?

Es zeigt, mit wie viel Hors-Sol-Problemen wir uns in normalen Zeiten in unserer Wohlstandsgesellschaft beschäftigen. Aktuell geht es nämlich um ganz wesentliche Dinge: um Familien, um Einkommen, um Bildung und nicht zuletzt um die Gesundheit. Wenn ich nur daran zurückdenke, wie die Digitalisierung und das Homeoffice in der Politik verteufelt, wie der Onlinehandel angeprangert und die internationalen Lieferketten kritisiert wurden. Heute sieht man hingegen deutlich: Lebensmittel, die aus der Schweiz kommen, sind nicht teuer, sondern sicher. Und ohne Nickel und Kupfer gibt es keine Beatmungsgeräte. Die massgebenden Zusammenhänge der Gesellschaft und des Wohlstands werden wieder viel besser verstanden.

Wie hat sich das Virus auf Ihren persönlichen Alltag ausgewirkt?

Glücklicherweise sind meine Partnerin, meine Familie und ich bis jetzt wohlauf. Zuhause kann ich aktuell meist effizienter arbeiten als vor der Krise, da ich dort für Meetings in der ganzen Schweiz herumreisen musste. Als Optimist lasse ich mich nicht von der Angst beherrschen, sondern denke täglich positiv, halte mich an die Regeln und mache meine Arbeit. Meiner Meinung nach könnte die Digitalisierung in unserer Gesellschaft einen riesigen Produktivitätsschub auslösen, wenn wir einen Teil der momentanen digitalen Arbeitsweisen auch in die Zeit nach der Krise mitnehmen würden.

Die Coronakrise hat die Schweizer Wirtschaft verlangsamt. Entstehen hier Schäden, die irreversibel sind?

Das hängt von unserer Vernunft ab. Grundsätzlich kann es sogar eine Chance sein: Nämlich wenn wir nach der Krise zu den Hors-Sol-Problemen Nein sagen und uns darauf fokussieren, möglichst produktiv und innovativ zu arbeiten und den Produktivitätsgewinn in Wohlstand für alle zu verwandeln. Wenn uns das gelingt, gewinnen wir doppelt: Unsere Gesellschaft profitiert und wir haben mehr Zeit für uns und unsere Familien.

Welchen Wert hat die internationale – und vor allem europäische – Zusammenarbeit in solchen Krisenzeiten für die Schweizer Wirtschaft?

Die Weltwirtschaft und ihre Verträge sind enorm wichtig. Die Krise zeigt gut auf, wie wir Menschen funktionieren. In der Panik ist sich jeder selbst am nächsten, hamstert und bunkert sich ein. Das ist wohl ein natürlicher Reflex. Nach einigen Tagen stellt man dann fest, dass es nicht funktioniert, wenn jeder nur an sich selbst denkt und dass Konservendosen und Toilettenpapier einem die Einsamkeit nicht nehmen. Dieser Mechanismus lässt sich auch auf Staaten übertragen. Man beginnt nachzudenken und stellt fest, dass der Situation am besten begegnet werden kann, wenn die internationalen Warenflüsse funktionieren.

Warum ist die aktuelle Situation besonders für KMUs herausfordernd?

Die aktuelle Situation ist für die gesamte Wirtschaft herausfordernd, nicht nur für KMUs. Aber KMUs haben vermutlich am wenigsten Reserven, deshalb trifft es sie am härtesten. Wobei der Bund für die kleineren Firmen sehr schnell gute Lösungen präsentiert hat. Schwierig ist es für Einzelunternehmen und für mittelgrosse Firmen, denen das gesamte Geschäft weggebrochen ist. Dort fehlt es an Lösungen.

Auf welchen Wegen können sich KMUs finanzielle Unterstützung holen?

Der COVID-Kredit bis CHF 500 000 steht jedem Einzelunternehmen, jeder Personengesellschaft oder juristischen Person zu, die nachweisen kann, dass ihr Geschäft vom Virus negativ betroffen ist. Der Prozess für den Kreditantrag ist einfach und schnell – die Betroffenen müssen lediglich ein Formular ausfüllen und sich damit an ihre Hausbank wenden.

Durch Schliessungen und eingeschränkte Verkaufsbedingungen erwarten viele Unternehmen massive finanzielle Einbussen. Welche Massnahmen kann man jetzt treffen, um diese abzufedern?

Unternehmen, die im Investitionsgütermarkt tätig sind, sind sehr stark betroffen, weil einerseits die Projekte pausiert sind und andererseits vielerorts auch die Materialien fehlen. Allerdings darf man annehmen, dass diese Investitionen vorerst bloss aufgeschoben sind. Sprich, wenn der Shutdown in absehbarer Zeit gelockert wird, könnte man diesen Rückstand wieder aufholen.

Wie können Unternehmen dafür sorgen, Liquiditätsengpässe zu vermeiden?

Die Bundesprogramme helfen bereits sehr viel. Allerdings muss man auch klar sagen – und das hat der Bundesrat meines Erachtens etwas zu wenig deutlich gemacht – dass wir nicht ohne erheblichen wirtschaftlichen Schaden durch diese Krise kommen. Das lässt sich nicht schön- oder wegreden. Wenn der Shutdown länger als sechs Wochen dauert, wird der Schaden meiner Ansicht nach unbezahlbar. Auch ein wirtschaftlicher Schaden kann Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen haben, nicht nur ein Virus.

Wenn der Shutdown länger als sechs Wochen dauert, wird der Schaden meiner Ansicht nach unbezahlbar. Ruedi Noser

Welche selbst getroffenen Massnahmen in schwierigen Zeiten könnten KMUs langfristig schaden?

Das Wichtigste ist, dass die KMU versuchen, möglichst lange ihren Betrieb aufrechtzuerhalten. Aus Angst vor dem Virus präventiv die Arbeit einzustellen, wäre fatal. Betriebe, welche die Regeln des Bundes einhalten können, sollten ihre Tätigkeit fortführen.

Inwiefern können sich KMUs für den Wiederaufbau nach der Krise vorbereiten?

Motivation und Zuversicht sind für kleine Unternehmen nach der Krise wohl das Wichtigste. Wir müssen uns bewusst sein, dass dies nicht die letzte Krise ist, die wir erleben – es wird weitere geben. Wenn das Schlimmste vorbei ist, sollten Unternehmerinnen und Unternehmer deshalb möglichst rasch wieder nach vorne blicken, statt sich zu fragen, was man anders hätte machen können.

Fähige Leute werden nach der Krise sofort wieder gebraucht. Unsere KMUs verfügen über diese Leute und wir werden viele Unternehmen sehen, die nach der Krise erfolgreicher sein werden als vorher. Wer natürlich spekulativ oder unvorsichtig unterwegs war oder schon vor der Krise grosse Mühe hatte, der wird es schwieriger haben, wieder Fuss zu fassen. Wichtig ist, dass wir Entwicklungen im Bereich Digitalisierung, die wir aktuell zwangsweise lernen und anwenden, auch nach der Krise beibehalten und in den Firmen umsetzen.

Ruedi NoserWie sorgen Unternehmen dafür, dass Angestellte sowie Management in Krisenzeiten am gleichen Strang ziehen?

In den Unternehmen, in denen ich tätig bin, habe ich die Erfahrung gemacht, dass das automatisch passiert. Abgesehen von ein paar wenigen Panikreaktionen ist die überwiegende Mehrheit der Menschen – die Angestellten ebenso wie das Management – unheimlich offen für pragmatische und konstruktive Lösungen. Alle wollen ihren Job und ihre Firma erhalten, statt sich zu streiten. In dieser Hinsicht schweisst die Krise eher zusammen.

Was erwarten Sie von der Kommunikation eines Unternehmens während Krisenzeiten?

Ehrlichkeit und Transparenz. Die Bevölkerung ist dazu aufgefordert, zuhause zu bleiben.

Wie können Unternehmen gerade jetzt ihre Kundenbeziehungen pflegen?

Das betrachte ich als die grösste Herausforderung. Laufende Aufträge abzuschliessen ist das eine, an neue Aufträge zu kommen ist das viel grössere Problem. Darum muss der Shutdown zwingend zeitlich begrenzt sein und dann schrittweise durch andere, weniger einschneidende Massnahmen abgelöst werden.

Laufende Aufträge abzuschliessen ist das eine, an neue Aufträge zu kommen ist das viel grössere Problem. Ruedi Noser

Wenn die potenziellen Kunden nicht arbeiten, kann man noch so kreativ sein – es gibt keine neuen Aufträge. Erst wenn die Wirtschaft und der Konsum wieder Fahrt aufnehmen, werden neue Projekt angestossen. Darum rechne ich bei einem langen Shutdown auch mit einem enorm grossen wirtschaftlichen Schaden, der überdies das Potenzial hat, sich negativ auf unsere Gesundheit auszuwirken.

Viele Arbeitnehmer erledigen die tägliche Arbeit zurzeit im Homeoffice. Wo sehen Sie hier Herausforderungen und Vorteile für Arbeitgeber?

Vor der Krise wurde das Homeoffice viel zu wenig genutzt, obwohl dies in etlichen Funktionen und Branchen problemlos möglich gewesen wäre. Ich bin überzeugt, dass Büroarbeitsplätze lediglich für rund 70 Prozent der Belegschaft zur Verfügung gestellt werden sollten, und 30 Prozent wechselnd im Homeoffice sind. Denn ich gehe davon aus, dass wir nach der Krise viel weniger feste Büroarbeitsplätze in Unternehmen sehen werden und mehr Flexibilität herrscht, die Arbeit dort zu verrichten, wo man eben gerade ist. Ich bin auch überzeugt, dass diese Flexibilität sowohl von Arbeitgebern wie auch von Arbeitnehmern gefordert wird.

Glauben Sie, dass die Coronakrise generell die Türen für flexiblere Arbeitsmodelle in Schweizer Unternehmen öffnen wird?

Wir hatten in der WAK-S während der letzten zwei Jahre für flexible Arbeitszeiten gekämpft, sodass jeder und jede möglichst selbstbestimmt arbeiten kann. Die Krise hat nun schlagartig eine neue Realität geschaffen: Jeder und jede muss nun von zuhause aus arbeiten und sich selbst organisieren – und es gelingt! Ich bin sicher, dass diese Erfahrung die Diskussion verändern wird. Als Gesellschaft werden wir produktiver und flexibler aus dieser Krise herauskommen. Das ist das Gute an der Sache.

Auch erfährt unsere Wirtschaft einen Paradigmenwechsel in Richtung «Digital Workplace». Welche Errungenschaften der Digitalisierung erleichtern momentan vielen Schweizer Unternehmen das Erhalten eines funktionierenden Arbeitsalltags?

Nicht nur die Wirtschaft, alle Menschen machen die Erfahrung, dass soziale Distanz gerade dank der Digitalisierung eingehalten werden kann und erst noch erträglicher ist. Das Grosi hat die Möglichkeiten, via Videochat mit dem Enkel zu kommunizieren während Quarantäne-Videos den Alltag ein wenig aufheitern.

Wo sehen Sie hier unausgeschöpftes Potenzial, welches auch nach der Krise zum Tragen kommen wird?

Das Potenzial ist unendlich gross. Ein kleines Beispiel: Tausende von Kurzarbeitsanträgen werden heute noch von Hand erfasst. Stellen Sie sich vor – alle Kontodaten müssen von Hand eingetragen werden. Wir sind in vielen Bereichen, gerade beim Staat und beim Gesundheitswesen, zwanzig Jahre hinter dem Stand der Technik.

Was sind Lehren oder Konsequenzen dieser Krise für die Schweizer Wirtschaft?

Jetzt zeigt sich, dass die globalen Wertschöpfungsketten nicht so krisenresistent sind, wie man immer vermutet hat. Das heisst, man muss sich gut überlegen, wie man lebenswichtige Produkte in Zukunft produziert und wo potenzielle Risiken bestehen.

Interview Dominic Meier Bild zvg

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