Shops und Kaufhäuser ziehen aus, Büros und Logistikhallen werden neu konzipiert: Wohin geht der Trend bei Gewerbeflächen?
An zwei Beispielen lässt sich der Wandel von Gewerbeflächen besonders gut beobachten. Jede Stadt hatte früher ein paar bekannte Bürohäuser, in denen internationale Firmen auf mehreren Etagen ihre Filialen untergebracht hatten. So gab es in Hamburg, West-Berlin, Düsseldorf, Frankfurt und München – oftmals in der Nähe der Bahnhöfe – etwa zentral gelegene Büros der großen Filmverleihgesellschaften, die für die jeweiligen Bezirke Filme an die Kinos vermittelten, Abrechnungen erstellten und Reklame verschickten. Ein Millionenerfolg wie »Spiel mir das Lied vom Tod« wäre ohne die Vermittlungsarbeit zwischen lokalen Disponent*innen und Kinobesitzer*innen niemals möglich gewesen. In den 1990er Jahren ging die Ära der Filialbüros zu Ende – und die Firmen steuerten ihre Geschäfte nun komplett über zentrale Standorte. Die ehemaligen Verleihetagen gingen an kleinere Vertriebsfirmen oder wurden gar zu Call-Centern oder Praxen umgebaut.
Ein gänzlich schwereres Schicksal erleben seit einigen Jahren die traditionsreichen Kaufhäuser. Die mehrstöckigen Shopping-Tempel mit ihren Shop-in-Shop-Systemen, Lebensmittelabteilungen im Keller und Dachrestaurants dienten jahrzehntelang nicht nur als Ortbeschreibung, sie bestimmten auch maßgeblich städtische Infrastrukturen mit. Vor Karstadt oder Kaufhof wurden Straßenbahnstationen errichtet, Restaurants und Bankfilialen, sogar Fußgängerzonen. Mit der Schließung dieser Kaufhäuser wird die Rat- und auch Planlosigkeit einiger Städte nun endgültig offenbar. Niemand machte sich bislang sehr laut über sterbende Traditionsgeschäfte Sorgen, solange das erste Kaufhaus am Platze noch stand.
Wo man früher vor allem die Inhalte wechseln sah – geht der eine, kommt der andere – geht es mittlerweile buchstäblich an die Substanz. Dass es in einem nächsten Schritt beispielsweise auch den zwei- oder dreigeschossigen City-Galerien mittelgroßer Städte an den Kragen gehen könnte, macht die Lage nicht besser. Die Städte müssen sich und ihre Gewerbeflächen neu erfinden und ordnen.
»Gewerbeflächen stapeln«
Die IHK Köln hat sich in ihrer unlängst veröffentlichten Studie »Gewerbeflächen stapeln« gefragt, wie Gewerbe- und Industrieflächen effizienter gestaltet werden können – auch um kleine und mittlere Unternehmen, aber auch Start-ups und E-Commerce-Firmen zentral als Ersatz für alte Galerie-Konzepte und Franchise-Einerlei in die Innenstädte zu holen. »Nachdem die Entwicklung in die Fläche aufgrund der Knappheit, Nutzungskonkurrenz und Raumwiderständen schwierig geworden ist, stellt die Entwicklung in die Höhe eine mögliche Alternative dar.«
Die Studie verweist dabei auch auf die erfolgreichen Gewerbehöfe München, die seit den 1980er Jahren ein »Konzept der vertikalen Anordnung von kleineren und mittleren Gewerbeeinheiten« praktizierten. Durch die Münchner Gewerbehof- und Technologiezentrumsgesellschaft seien inzwischen neun Gewerbehöfe entwickelt worden, in denen die Gesellschaft auch als Verwalter agiere. »Die unterschiedlich großen, teilweise flexiblen Mietflächen verteilen sich auf bis zu sechs Geschosse und werden zur An- und Ablieferung über Lastenaufzüge angedient.«
Innovativ seien laut der Studie auch die Ansätze für Logistikimmobilien, die auf mehreren Ebenen von Lkws anfahrbar seien. Hier stünden »im Gegensatz zu den Unternehmenserweiterungen konzeptionelle Ansätze im Fokus, die alle technischen Notwendigkeiten im Rahmen der Planung und des Baus berücksichtigen«. Hintergrund sei, »dass mit der Zunahme des E-Commerce und der Last-Mile-Delivery die Nähe zu den Kund*innen zunehmend wichtiger wird und eine weitgreifende Professionalisierung zur Bedienung eines künftigen Bedarfs in der Planung und Entwicklung erkennbar ist«.
Unverpackt-Läden und Kurzzeit-Mietende
Mag es technisch in die Höhe gehen, inhaltlich geht es in die Tiefe. Statt großer Firmen, die immer kurzatmiger auf ihre Mietverträge reagieren, haben sich in vielen kleineren Orten längst Gemeinschaften gegründet, die, analog zum Crowdinvesting, in neue, tiefergehende Bio- oder Unverpackt-Läden investieren – und dabei auch mit renommierten Ladenflächen liebäugeln. Mit einer möglichst breiten Partizipation soll ein neues Gemeinschafts- und auch Shopping-Gefühl gestärkt werden, das Nachhaltigkeit und Erfolg propagiert. Wer sich selbst engagiert und Geld sowie Zeit in etwas steckt, so die Maxime, wird seine Idee schon ein paar Jahre am Leben halten wollen.
Die spanische Firma Go-PopUp wirbt europaweit gleichzeitig für kurzfristige PopUp-Stores, die sowohl Marken als auch Flächen neues Leben einhauchen sollen – nicht zu lange, nicht zu teuer. »Angesichts der Tatsache, dass der Leerstand von Gewerbeimmobilien in Deutschland wächst«, so die Macher*innen, »bietet die temporäre Vermietung und Zwischennutzung eine permanente Option für Eigentümer*innen von Gewerbeimmobilien, ihre Flächen durch neue Kundensegmente voll auszulasten.« Kurzzeitvermietungen böten die Aussicht, Gewerbeflächen langfristig attraktiver werden zu lassen und durch stetig neue Mieter*innen und Kund*innen auch ganze Stadtteile nachhaltig wiederzubeleben. »Ein leerer Raum nützt keinem.«
Der wirkliche Bedarf der nächsten Jahre an Büros und Gewerbeflächen hängt von vielen Faktoren ab. Wie werden die Büros der Post-Corona-Zeit aussehen? Wieviel Work-Life-Balance müssen und wollen Arbeitgeber*innen in Arbeitsplätze selbst einbauen? Was wird aus Kinos und Theatern, die maßgeblich das Abendleben in den Innenstädten bestimmen? Wie könnten alternative Räume aussehen, in denen man sich abends austauschen, regenerieren oder ausruhen will? Das Motto der Städte muss und wird wieder lauten: Spiel mir das Lied vom Leben.
Text Rüdiger Schmidt-Sodingen
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