Starke Verbindungen: Die Vereinigung von Mobilität und Stadtentwicklung
Die SBB besitzen Land im Herzen von Städten und Gemeinden, direkt am Puls der Mobilität. Diese Flächen wollen die SBB optimal für die Mobilität nutzen – und gleichzeitig neue Flächen zum Wohnen, Arbeiten und Leben schaffen. Beatrice Bichsel, Leiterin SBB Immobilien, erklärt, wie das gelingt und was es braucht, damit aus bisher durch Gleise, Werkshallen oder anderen infrastrukturellen Nutzungen belegte Areale zukunftsfähige und nachhaltige Stadtquartiere werden.

Beatrice Bichsel
Leiterin SBB Immobilien
Beatrice Bichsel, die SBB haben in den letzten Jahren ehemalige Bahnareale städtebaulich entwickelt. Wie entscheidet man darüber, welche Flächen umgestaltet werden?
Grundvoraussetzung für die städtebauliche Entwicklung einer Fläche ist, dass diese nicht mehr oder künftig nicht mehr im gleichen Umfang oder in der gleichen Art und Weise für den Bahnbetrieb genutzt wird – zum Beispiel weil sie durch technologische Entwicklungen obsolet geworden sind oder sie das Ende ihres Lebenszyklus erreicht haben und sie örtlich verlegt werden müssen oder können. Das ist von der jeweiligen Situation abhängig. Haben wir eine passende Fläche identifiziert, schauen wir, wie sich diese freistellen lässt. Diese Freistellung folgt einem klaren Prozess unter Einbezug des Bundesamts für Verkehr. Besteht Umnutzungspotenzial, beginnen wir eine Planung, in die wir alle relevanten internen Stellen und externen Stakeholder einbeziehen: die Infrastrukturbetreiber, aber auch Kantone und Städte, um die unterschiedlichen Entwicklungs- und Nutzungsinteressen zu koordinieren und eine gemeinsame Vision für das Areal zu erarbeiten. Ob die Entwicklung dann gelingt, hängt vom Potenzial ab – sowohl raumplanerisch, aber auch wirtschaftlich. Generell denken wir Mobilität und Siedlungsentwicklung zusammen: Das Gewährleisten einer flüssigen Mobilität mit guten Umsteigebeziehungen und barrierefreien Infrastrukturen ist zentral für uns. Wir wollen unseren Kundinnen und Kunden schnelle und einfache Umsteigebeziehungen bieten und damit noch mehr Menschen für die Bahn begeistern. Doch wir möchten auch flächeneffizient vorgehen, damit wir Raum für eine zusätzliche Arealentwicklung erschliessen können. Denn wir sehen Raum als eine wertvolle Ressource, die es sparsam und möglichst sinnvoll zu nutzen gilt.
Sie sprechen in diesem Zusammenhang von «Arealen der Zukunft». Was genau verstehen Sie darunter?
Ein Ort der Zukunft ist einer, der nicht nur heute funktioniert – sondern auch übermorgen noch attraktiv ist. Dies zu gewährleisten ist alles andere als simpel, denn von der ersten Idee bis zur Inbetriebnahme können gut 15 Jahre vergehen. Während dieser Zeit müssen vielfältige Interessen diverser Akteure berücksichtigt und unter einen Hut gebracht werden. Die Akteure sind unterschiedlich finanziert und die Planungen folgen unterschiedlichen rechtlichen Grundlagen. Eine integrierte Planung von Raum und Mobilität ist komplex und braucht Zeit. Wenn am Ende des Umnutzungsprozesses ein belebter Ort entstanden ist, waren wir erfolgreich: Den Menschen sollen in ihrer Mobilität und der Nutzung der Bahn unterstützt werden, aber möglichst auch in ihrem Alltag, beim täglichen Bedarf. Die SBB wollen sozialen als auch ökologischen Gesichtspunkten Rechnung tragen. Zu diesem Zweck verdichten wir, schaffen Grünflächen, erhöhen die Aufenthaltsqualität. Und die Entwicklung muss auch finanziell nachhaltig sein, sprich wirtschaftlich. Wie erwähnt: Es geht darum, gesamtheitlich zu denken.
Sie haben Nachhaltigkeit und Lebensqualität angesprochen. Wie stellen Sie sicher, dass die neu entwickelten Areale diese Aspekte berücksichtigen?
Wir haben klare Prozesse, um dies zu erreichen, und beziehen frühzeitig die relevanten Interessensgruppen in die Planung ein. Das ist ein fester Bestandteil unserer Arbeit bei SBB Immobilien. Konkret setzen sowohl langfristige als auch kurzfristige Ziele und legen fest, welche Qualitätsmerkmale wichtig sind. Alle Beteiligten werden regelmässig in den Umsetzungsprozess einbezogen, sodass wir das Projekt ständig überprüfen können. Die Architektur spielt eine entscheidende Rolle bei der Neugestaltung und Nutzung von Flächen. Deshalb organisieren wir Wettbewerbe, bei denen Teams aus verschiedenen Fachrichtungen die besten Lösungen für die jeweiligen Standorte entwickeln. Diese Vorschläge werden von einer unabhängigen Jury bewertet, die sich bei jedem Projekt ändert und auch externe Experten sowie Vertreter der Gemeinden einbezieht. Dieser externe Blick ist für uns sehr wichtig.
Die SBB übernehmen als grösste Anbieterin von nachhaltiger Mobilität in der Schweiz Verantwortung. – Beatrice Bichsel, Leiterin SBB Immobilien
Die Bahnhöfe der SBB sind die Drehscheiben der Schweizer Mobilität. Wie stellt man sicher, dass diese ihre primäre Funktion im Bahnbetrieb erfüllen und parallel dazu den Ansprüchen anderer Stakeholder entsprechen?
Dafür ist es essenziell, von Anfang an die richtigen Leute an den Tisch zu bringen. Danach geht es darum, eine gemeinsame Vorstellung zu entwickeln und Verbindlichkeit herzustellen. Diese Planung kann von Bahnhof zu Bahnhof sehr unterschiedlich ausfallen. Wo werden Parkplätze benötigt? Wo existieren Velostände? Gibt es Bus- oder Tramverbindungen – und wie integrieren wir das alles? Und wie können wir all diese infrastrukturellen Nutzungen so intelligent und flächeneffizient wie möglich anordnen, um Platz zu schaffen für neue Nutzungen und auch städtebaulich ein optimales Resultat zu erzielen? Denn unsere Bahnhöfe und deren Umfeld sind ein zentrales Puzzleteilchen, wenn es darum geht, Zukunftsareale zu schaffen.
Was heisst das konkret für die Gestaltung der Bahnhöfe?
Die Bahnhöfe sind die Visitenkarte der SBB und müssen primär eine reibungslose Mobilität gewährleisten – sicher, sauber und komfortabel. Hierfür sind hindernisfreie Laufwege von A nach B entscheidend. Für Pendlerinnen und Pendler möchten wir insbesondere ein Shoppingangebot bieten, das während des Umsteigens unkompliziert nutzbar ist. Freizeitreisende wiederum möchten auch verweilen, sich in Ruhe verpflegen oder ein Buch kaufen. Sie benötigen Warteräume sowie Sitzgelegenheiten. Darum denken wir in unterschiedlichen Zonen und statten diese der jeweiligen Nutzung entsprechend aus.
Die SBB verfolgen ehrgeizige Nachhaltigkeitsziele. Wie integriert man diese bei SBB Immobilien in Bau- und Entwicklungsprojekte?
Die SBB übernehmen als grösste Anbieterin von nachhaltiger Mobilität in der Schweiz Verantwortung. Sie verpflichten sich zu einer umfassenden Nachhaltigkeit – wirtschaftlich, ökologisch und sozial. Wir halbieren bis 2030 unsere betrieblichen Treibhausgasemissionen gegenüber dem Basisjahr 2018. Bis 2040 wollen wir Netto-Null sein. Bei SBB Immobilien achten wir darauf, die endliche Ressource «Boden» umsichtig zu nutzen. Weiter kümmern wir uns auch intensiv um den Gebäudebetrieb: Viele unserer alten Immobilien verfügten über Öl- oder Gasheizungen, weswegen wir Programme lanciert haben, um unsere Emissionen zu reduzieren. Die bestehenden fossilen Gebäudeheizungen werden wir bis 2030 ersetzen. Ausserdem investieren wir sehr stark in Photovoltaik. Nebst dem Gebäudebetrieb ist aber auch das ökologische Bauen nach anerkannten Nachhaltigkeitsstandards ein zentrales Thema, welches immer wichtig war und in Zukunft noch wichtiger wird. Für die Verminderung von Emissionen während der Bauphase geben wir den Planern ambitionierte CO2-Zielwerte vor, um den ökologischen Fussabdruck eines Gebäudes tief zu halten. Und schliesslich nehmen wir uns auch der Kreislaufwirtschaft an. All das unter Beachtung der Wirtschaftlichkeit.
Können Sie den Faktor der Kreislaufwirtschaft näher ausführen?
Wir berücksichtigen die Wiederverwendbarkeit der verbauten Materialien bereits am Anfang eines Projekts. Das bedeutet, dass wir uns schon während der Planungsphase fragen, wie sich die Materialien am Ende des Lebenszyklus eines Gebäudes möglichst einfach zurückgewinnen und wiederverwerten lassen. Damit einher geht auch das Thema des flexiblen Bauens: Niemand kann die Bedürfnisse der Menschen in 30 Jahren exakt vorhersagen. Deshalb ist es uns wichtig, Gebäude so zu konzipieren, dass sie sich mit möglichst geringem Aufwand an veränderte Nutzungen anpassen lassen. Ein heutiges Bürogebäude sollte in Zukunft beispielsweise relativ einfach in Wohnungen umgewandelt werden können. Aber auch die Verwendung von bereits eingesetztem Material bei der Erstellung von Gebäuden ist ein Thema, das wir vorantreiben. Wir haben verschiedene Projekte, in welchen wir das umsetzen werden.
Nebst der ökologischen spielt auch die soziale Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle. Welche Akzente setzen Sie hier?
Hier liegt unser Fokus darauf, durchmischte und belebte Quartiere zu schaffen, die unterschiedliche Bevölkerungsgruppen ansprechen. Denn wir sind überzeugt, dass eine soziale Durchmischung die Lebensqualität in unseren Arealen deutlich erhöht. Und auch der finanziellen Nachhaltigkeit tragen wir Rechnung. Ich vertrete den Standpunkt, dass eine umfassende Nachhaltigkeitsstrategie auch wirtschaftlich tragfähig ist. Aktuell mögen gewisse ökologische Massnahmen noch Mehrkosten verursachen, doch wenn die gesamte Branche mitzieht und innovative Lösungen entwickelt, können wir das ändern.
Was geschieht eigentlich mit den Gewinnen von SBB Immobilien?
Diese kommen vollumfänglich dem Bahnsystem zugute und entlasten damit Kundinnen und Kunden, Steuerzahlende und die öffentliche Hand. Konkret fliesst ein Teil des Gewinns in die Bahninfrastruktur der SBB, ein weiterer Teil in die Stabilisierung unserer Pensionskasse. Und was übrig bleibt, wird konsequent für den Schuldenabbau eingesetzt.
Wie sieht Ihr persönliches Lieblingsprojekt aus, das Sie in den letzten 15 Jahren begleitet haben?
Oh, das ist schwierig (lacht). Das Werkstattareal in Zürich zeigt auf wunderbare Weise auf, wie man ein Bahnareal, das seine ursprüngliche Funktion verloren hat, innovativ nutzen kann. Dort stehen grosse Hallen, in denen wir Züge gewartet und repariert haben. Viele dieser Gebäude sind denkmalgeschützt. Wir haben vor über zehn Jahren begonnen, einen Gesamtplan für dieses Areal zu entwickeln. Die zentrale Frage lautete: Wie können wir diese wertvolle Substanz erhalten – und gleichzeitig einer zeitgemässen Nutzung zuführen? Unser Ziel war es, einen lebendigen Ort zu schaffen, der günstigen Raum für produzierendes Gewerbe bietet und gleichzeitig den Charme des Denkmalschutzes respektiert. Mittlerweile haben sich dort z. B. eine Brauerei angesiedelt, eine Kaffeerösterei, wo man gemütlich seinen Café trinken kann, eine Seifenproduktion und viele andere einladende Geschäfte. Und das Besondere ist, dass wir dort auch ein neues Gebäude realisieren werden, das wir intern als «Gebäude X» bezeichnen. Dieses Projekt stellt aus ökologischer Sicht ein echtes Leuchtturmprojekt für uns dar: Die Grundkonstruktion besteht aus alten Bahnschienen und die Fenster stammen teilweise aus ausrangierten Zugfenstern. Es ist quasi ein Modell dafür, in welche Richtung wir uns in Zukunft bewegen möchten: die nachhaltige Wiederverwendung von Materialien in einer architektonisch ansprechenden Form.
Weitere Informationen unter sbb-immobilien.ch
Zur Person:
Beatrice Bichsel ist Rechtsanwältin und verfügt über einen Executive MBA der Universität St. Gallen. Sie arbeitet seit 2011 bei den SBB, war Leiterin Recht, Compliance und Beschaffung und zuletzt Leiterin Facility-Management, beides bei SBB Immobilien.
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