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Schweizer Bildungssystem: Hier hat nur ausgelernt, wer dies auch will

19.09.2020
von Patrik Biberstein

Das Schweizer Bildungssystem in seiner Dualität sucht weltweit seinesgleichen. Dank der Art und Weise wie es aufgebaut ist, ist keine Entscheidung definitiv – sofern man dies nicht wünscht. Eine zweite Berufsausbildung, eine Weiterbildung oder ein Studium? Alles kein Problem – «Fokus» hat Wissenswertes zum dualen Bildungssystem in der Schweiz zusammengetragen.

Mit durchschnittlich zwölf Jahren stehen Kinder bereits vor der ersten wegweisenden Entscheidung – Gymi oder Sek? Bald darauf folgen weitere: Welche Berufslehre mache ich? Mit Berufsmatur oder ohne? Absolviere ich diese gleichzeitig oder anschliessend? Studiere ich? Was studiere ich? Der Fragenkatalog könnte bis ins Unermessliche weitergeführt werden. Das sind ganz schön viele – und wichtige – Entscheidungen für Pubertierende. Die gute Nachricht allerdings: Keine Entscheidung muss einen bis zum Lebensende beeinflussen – so gut wie jede davon ist korrigierbar.

Stichwort duales Bildungssystem

Das Schweizer Bildungssystem kann man sich prinzipiell wie eine doppelspurige Autobahn vorstellen. Auch wenn man sich jetzt vielleicht zu Beginn dafür entscheidet, rechts zu fahren, indem man sich zum Beispiel für eine Berufslehre entscheidet, so kann man im Anschluss immer noch mittels BMS beschleunigen und auf der linken Fahrbahn, im Studium, landen. Genauso gut kann man sich dafür entscheiden, auf der rechten Spur zu bleiben und ab und zu in einige der Tankstellen, stellvertretend für die diversen Weiterbildungsmöglichkeiten, auf dem Weg einzubiegen. Die Chance, so auf der Autobahn des Kapitalismus mindestens gleichweit zu fahren wie jemand, der sich für die linke, akademische Fast Lane entschieden hat, ist sehr gross – so gross wie wahrscheinlich nirgendwo sonst auf der Welt.

Keine Entscheidung muss einen bis zum Lebensende beeinflussen – so gut wie jede davon ist korrigierbar.

Eine Berufsbildung bietet die gleichen Chancen

Serge Frech, Geschäftsführer einer Organisation der Arbeitswelt, meint dazu: «Ich bevorzuge zu sagen, dass die Berufsbildung in jedem Fall die gleichen Chancen bietet, eine Karriere machen zu können. Und die Möglichkeit, bereits ab 16 Jahren Berufserfahrung sammeln zu können, ist ein gewaltiger Wettbewerbsvorteil auf dem Arbeitsmarkt. Meiner Meinung nach kommt es darauf an, welches Ziel jemand mit der Aus- oder Weiterbildung verfolgt: Wer eher in die Konzeptionierung, Forschung und Entwicklung gehen möchte sollte den akademischen Weg wählen. Wer in der Realisation der Projekte tätig sein möchte, wählt den praktischen Weg.»

Schweizer Bildungssystem

Die vielen möglichen Wege im Schweizer Bildungssystem.

Wieso in der Schweiz in Sachen Bildung zweigleisig gefahren wird

Experte Serge Frech sieht die Gründe dafür einerseits in der Tradition und andererseits im Erfolg dieses dualen Systems. Gefragt nach den Vorteilen des Systems, erklärt er: «Die frühe Integration der Jugendlichen in die Arbeitswelt bei weiterhin hohem Standard an Allgemeinbildung. In jungen Jahren kann sehr viel Berufserfahrung gesammelt werden. Die Wirtschaft trägt Mitverantwortung für ihre eigenen Fachkräfte. Dadurch haben wir eine sehr hohe Ausbildungsqualität und eine sehr tiefe Jugendarbeitslosigkeit.»

Ausserdem bringt das System diverse Chancen mit sich, sowohl für die Lernenden als auch für den Arbeitsmarkt Schweiz. So kann die Schweizer Wirtschaft ihre Fachkräfte selbst ausbilden und ihnen so diese Skills mit auf den Weg geben, die von der Branche auch tatsächlich als wichtig erachtet werden. Die Lernenden profitieren insofern vom System, als sie in den Genuss einer bedarfsgerechten Ausbildung kommen und von Beginn an lernen, sich auf dem Arbeitsmarkt zu behaupten. Im Gegensatz zu anderen Ländern, die ebenfalls ein duales Berufsbildungssystem pflegen, ist jenes der Schweiz viel mehr an der Praxis orientiert. Im Ausland ist die Ausbildung, laut Frech, dann sehr stark schul- beziehungsweise studienlastig. Das heisst für die Lernenden, dass sie nur an Modellen und Beispielen üben, ohne den realen Markt mit seinen echten Projekten zu erleben wie dies in der Schweiz üblich ist.

Was die Zukunft bringt

Frech wagt einen Blick in die Kristallkugel: «Die Digitalisierung und das selbstorganisierte Lernen werden die Berufsbildung weiterhin stark prägen. Damit sind auch Fragen der Finanzierung und der Lehrkultur stark im Fokus. Dazu kommt die Halbwertszeit des Wissens, das in jeder Branche immer kürzer wird. Damit erschwert sich auch das Generationenverständnis, was wiederum Auswirkungen auf die betriebliche Bildung und das «Schüler-Lehrer-Verhältnis» hat. Auf jeden Fall wird sich das duale System weiterhin durchsetzen, da die Lernenden in jungen Jahren lernen, was Belastbarkeit und Flexibilität im Arbeitsmarkt bedeuten und wie wertvoll diese Ressourcen sind.»

Klingt als würde sich das Schweizer Bildungssystem genau so weiterentwickeln, dass der Status Quo betreffend Qualität, beibehalten oder eventuell sogar verbessert werden kann. In diesem Sinne werden sich die kommenden Schweizer Arbeitskräfte im internationalen Vergleich wohl auch weiterhin auf der Überholspur der Karriere-Autobahn befinden.

Text Patrik Biberstein 

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