Nicht Kolumbus, sondern Eriksson: Vor 1000 Jahren verstarb Leif Eriksson, der wohl berühmteste Wikinger. Seine Geschichte wird bis heute noch erzählt und zusammen mit archäologischen Funden aus den 1960ern zählt «Leif der Glückliche» für viele als europäischer Entdecker Amerikas.
Über die Heldentaten und Leben der Wikinger gibt es viele Sagen und Erzählungen. Die wohl wichtigsten sind die «Vinland-Sagas», welche vom Leben von Erik dem Roten, Leif Eriksson und seiner Entdeckungsreise nach Amerika berichten.
Ein berüchtigter Vater
Gemäss den Erzählungen ist Leif Eriksson zwischen 970 und 980 nach Christus in Island zur Welt gekommen. Sein Name taucht erstmals in den Überlieferungen seines Vaters, der Saga von Eriks dem Roten, auf. Dieser war aufgrund seines unkontrollierbaren Temperaments kein unbeschriebenes Blatt: Es heisst, dass Erik der Rote im Jahr 982 wegen Mordes verurteilt wurde und folglich Island für drei Jahre verlassen musste.
Dabei trieb es ihn in Richtung Westen, woraufhin er an die Küste eines ihm unbekannten, fruchtbaren Stück Landes gelangte: Grönland. Begeistert kehrte er nach seiner Verbannung 985 in seine Heimat zurück und berichtete von seiner Entdeckung. Nach kurzer Zeit nahm er mit 25 Schiffen voller Siedler Kurs auf das vielversprechende «grüne Land». Nach diesen Überlieferungen gilt er somit als Entdecker der nordischen Insel und Gründer der ersten Wikingerkolonien Grönlands.
Die Audienz beim König
Leif Eriksson war ungefähr acht Jahre alt, als ihn sein Vater mit nach Grönland nahm. Seine Jugend verbrachte er dort, bis er in die entdeckungsfreudigen Fussstapfen seines Vaters trat – im Jahre 999 verliess Eriksson seine Heimat, um für eine wichtige Reise zum norwegischen Königshaus aufzubrechen.
Dort empfing ihn gemäss den Überlieferungen der König Olaf Tryggvasson, welcher ihn kurz darauf zum Missionar ernannte. Er taufte ihn zum Christ und gab ihm den Auftrag, die neue Religion mit nach Grönland zu nehmen und dort zu verkünden. Auf königlicher Mission begab er sich also zurück in seine Heimat und kurz darauf erbaute man bereits die erste christliche Kirche.
Das «El Dorado» der Wikinger
An dieser Stelle lässt sich anhand der Saga von Erik dem Roten nicht mehr viel über Erikssons Leben herausfinden. Sein Name taucht aber wieder auf – und zwar in der rund 200 Jahre später verfassten «Saga der Grönländer». Dort berichtet man von den Geschehnissen rund um die Jahrtausendwende und den Entdeckungsfahrten Erikssons in Richtung Neue Welt.
Demnach stach er ohne Kompass und Karte und mit einer Gruppe mutiger Männer in See, um ein unbekanntes Ziel zu entdecken. Dieses kannte er nur vom Hörensagen: Ein nordischer Kaufmann kam aufgrund starken Windes vom Kurs nach Grönland ab und wurde weit nach Westen an eine unbekannte Küste abgetrieben. Er traute sich zwar nicht an Land, erblickte aber üppige Wälder und fruchtbare Wiesen. Schliesslich fand er den Weg zurück und berichtete nach seiner Ankunft begeistert von seiner Irrfahrt – und Eriksson hörte ihm gebannt zu.
Wie der Vater, so der Sohn
Wenn man den Überlieferungen Glauben schenkt, ist dieser nordische Kaufmann wahrscheinlich der erste Europäer, der jemals den amerikanischen Kontinent erblickte. Da er sich aber nicht an Land getraute, musste jemand anders das unbekannte Paradies im Namen der Wikinger beanspruchen. Unter der Führung von Leif Eriksson begaben sich die Nordmänner ohne Karte und Kompass auf ihre Mission und wussten nicht, ob sie ihr Ziel jemals erreichen werden.
Auf ihrer Reise stiessen sie gemäss den Erzählungen als erstes auf ein Land mit grossen Eisfeldern. Als sie an Land gingen, war jedoch weit und breit keine Wiese zu sehen – die Landschaft war eher karg und Eriksson bezeichnete sie als «eine einzige Steinplatte». Deshalb taufte er die neu entdeckte Küste «Helluland» – übersetzt Steinland – und stach erneut in See, um fruchtbares Land für die Ansiedelung zu finden. Aufgrund der geografischen Merkmale der Erzählungen gehen Forscher davon aus, dass «Helluland» ein Gebiet der kanadischen Küste des heutigen Baffinland war.
Die Suche hat ein Ende
Die Saga berichtet von weiteren Küstengebieten, welche die Nordmänner inspizierten. Eine davon war demnach flach und dicht bewaldet, wobei auch von einem sanften, weissen Sandstrand berichtet wurde. Dieses Gebiet taufte Eriksson «Markland» – zu Deutsch Waldland. Hier handelte es sich wahrscheinlich um das Küstengebiet der kanadischen Region Labrador. Für die Niederlassung war dieses neu entdeckte Stück Land jedoch nicht geeignet, und sie segelten entlang der Küste weiter.
Ein paar Tage später hielten sie inne und begaben sich an Land. Was sie erwartete, übertraf ihre kühnsten Vorstellungen: Der Morgentau machte die Wiesen so frisch, dass die Wikinger berichteten, sie hätten in ihrem Leben noch nie so etwas Schönes und Fruchtbares gesehen. Das Wetter war angenehm mild und die gesamte Flora und Fauna schien nahezu makellos. Also entschieden sie sich, mit Ausrüstung und Verpflegung an Land zu gehen und die ersten Unterkünfte aufzubauen.
Forscher gehen davon aus, dass das gefundene «Vinland» von Eriksson das heutige Neufundland ist.
Nordische Kommunikationsfehler
Eriksson taufte die malerische Gegend gemäss den Überlieferungen «Vinland». Woher dieser Name stammt, sind sich Experten bis heute nicht einig. In der Erzählung stiessen die Wikinger in den üppigen Landschaften angeblich auf Weintrauben und Weinstöcke. Dass diese zur Zeit der Wikingerperiode tatsächlich in dieser Gegend auffindbar waren, halten Forscher aber für unwahrscheinlich.
Vielmehr wird vermutet, dass sich die Verfasser der Sagas im Wort geirrt haben: Das «Vínland», welches die Autoren meinen, wird mit einem langen «i» ausgesprochen und bedeutet übersetzt «Weinland». Historiker gehen jedoch davon aus, dass Eriksson die Gegend «Vinland» taufte. Letzteres spricht man mit einem kurzen «i» aus und bedeutet übersetzt «Weideland». Dieser Name passt demnach besser zum besiedelten Gebiet, welches viele Forscher für das heutige Neufundland halten.
Rettung auf hoher See
Einen ganzen Winter lang bleiben Leif Eriksson und seine Gefolgschaft in Vinland. Das Wetter verschonte die Wikinger und das Vieh hatte somit immer genug zu essen. Eriksson brach nach Ende des Winters trotzdem bereits mit einer kleinen Truppe nach Grönland auf, um den Menschen von seinem sagenhaften Fund berichten zu können.
Auf seiner Rückreise rettete er angeblich eine Gruppe schiffbrüchiger Norweger, welche auf dem Weg nach Grönland vom Kurs abgekommen waren. Diese verdankten Eriksson ihr Leben und überlieferten seine Heldentat in verschiedensten Teilen Skandinaviens. So erhielt Eriksson auch seinen berühmten Beinamen, welcher bis heute noch mit ihm in Verbindung gebracht wird – Leif «der Glückliche».
Kein immerwährendes Paradies
Die Geschichten Leifs über das sagenumwobene «Vinland» begeisterten die Einwohner Grönlands. Es entstand eine ähnliche Aufregung wie damals, als Erik der Rote den isländischen Bauern vom fruchtbaren «grünen Land» berichtete. Schliesslich machten sich zahlreiche weitere Wikinger auf den Weg in Richtung «Vinland» und ein paar Jahrhunderte florierten die Wikingerkolonien in Amerika.
Mit der Zeit wurde das Klima aber kälter und steigende Konflikte mit den Ureinwohnern sorgten dafür, dass immer mehr Wikingerkolonien verschwanden. Eine Erzählung berichtet beispielsweise vom Tod Thorvald Eriksson, Leifs Bruder. Dieser kämpfte in «Vinland» gegen sogenannte «skrælinger» – übersetzt Winzlinge, mit welchen wahrscheinlich Indianer oder Inuit gemeint waren. Thorvald fiel wie vielen seiner Kameraden in einer solchen Schlacht, von welchen es zahlreiche weitere gab und die Wikinger mit der Zeit zurücktrieben.
Die Wikinger waren die ersten
Die Geschichten über Erik des Roten und Leif Eriksson sind über Jahrhunderte weitererzählt worden. Was davon wahr ist, kann man nicht abschliessend sagen. Dass die Wikinger aber die ersten Europäer auf dem amerikanischen Kontinent waren, ist heutzutage Tatsache.
Im Jahr 1960 stiessen Archäologen auf Überreste der bisher einzigen entdeckten Wikingersiedlung in Amerika – und zwar in Neufundland. Ob es sich hier aber um die Siedlung Erikssons und dem «Vinland» handelt, ist letztlich ungewiss. Aufgrund der archäologischen Funde und den überlieferten Geschichten lässt sich trotzdem vermuten, dass «Leif der Glückliche» als erster Europäer Fuss auf den amerikanischen Kontinent setzte.
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Text Dominic Meier
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