Innovation unter Hochspannung: mehr Energie für die KI-Zukunft

Pascal Daleiden
Vorstandsvorsitzender Hitachi Energy Germany AG
Herr Daleiden, weltweit ist von einem wachsenden Stromhunger die Rede – zuletzt auch durch künstliche Intelligenz. Wie groß ist die Herausforderung?
Sehr groß. Unsere Forschungen zeigen, dass sich der weltweite Stromverbrauch bis 2050 mehr als verdoppeln wird. Das liegt an der Elektrifizierung von Verkehr, Gebäuden und Industrie – und zusätzlich an der enormen Rechenleistung für KI. Elektrizität wird damit endgültig zum Rückgrat unseres Energiesystems. Die gute Nachricht: Wir wissen, wie wir diesen Bedarf klimaneutral decken können – die Technologien sind vorhanden.
Woher soll dieser Strom kommen?
Vor allem aus erneuerbaren Quellen. Wind, Sonne und Wasserkraft sind die Eckpfeiler. Dort, wo Elektrifizierung nicht direkt möglich ist, kommt grüner Wasserstoff hinzu. Wichtig ist: Die Technologien sind vorhanden und werden weltweit bereits erfolgreich eingesetzt. Jetzt geht es darum, sie in noch größerem Maßstab zu nutzen.
Das klingt einfacher, als es ist. Wo sehen Sie die größten Engpässe?
In den Netzen. Strom wird künftig nicht mehr dort erzeugt, wo er verbraucht wird, sondern dort, wo er klimaneutral produziert werden kann – etwa in Offshore-Windparks in der Nordsee oder in Solarparks in Südeuropa. Um diesen Strom dorthin zu bringen, wo er gebraucht wird, sind leistungsfähige Übertragungsnetze die Voraussetzung. Zahlreiche dieser Projekte sind bereits im Bau oder in Planung.
Welche Rolle spielt dabei die HGÜ-Technologie?
Die Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung ist der Schlüssel. Mit ihr können wir große Mengen Strom verlustarm über weite Entfernungen transportieren. Hitachi Energy hat diese Technologie vor mehr als 70 Jahren erfunden, heute setzen wir sie weltweit ein – vom NordLink zwischen Deutschland und Norwegen bis hin zum SuedLink, der den Strom zu den Verbrauchszentren im Süden bringt.
Stromtransport ist das eine, aber wie wichtig sind Speicherlösungen?
Sie sind entscheidend. Denn erneuerbare Energien sind nicht konstant verfügbar. Daher brauchen wir Batterien, Kurzzeitspeicher und andere innovative Lösungen, um Schwankungen auszugleichen. Gemeinsam mit Netzbetreibern entwickeln wir sogenannte »Enhanced Statcoms«, Anlagen, die Netzstabilität mit Speichern kombinieren. Ohne Speicher lässt sich die Energiewende nicht realisieren – aber wir sind auf dem Weg. Und schon jetzt sind Fortschritte deutlich sichtbar.
Wenn wir die Klimaziele erreichen wollen, wenn wir das Rennen um künstliche Intelligenz aufnehmen und bestehen wollen, dann müssen Netze, Speicher und Infrastruktur schneller gebaut werden. – Pascal Daleiden, Vorstandsvorsitzender Hitachi Energy Germany AG
Wo genau liegen die Herausforderungen bei der Netzstabilität?
Ein Stromnetz muss jederzeit eine stabile Frequenz und Spannung halten. Früher haben große Kraftwerke das erledigt. Heute übernehmen moderne Umrichter, Hochleistungskompensatoren und digitale Leitsysteme diese Aufgabe. Sie gleichen Schwankungen in Millisekunden aus. Wir sind also auf einem guten Weg, müssen diese Systeme aber noch breiter ausrollen.
Welche Technologien sehen Sie im Vordergrund bei Speichern?
Kurzzeitspeicher, aber auch Batterien sind ideal für Sekunden bis Stunden. Für längere Zeiträume brauchen wir Power-to-Gas, Druckluft- oder Wärmespeicher. Entscheidend ist die Kombination. In vielen Projekten koppeln wir Strom, Wärme und Wasserstoff – diese Sektorkopplung erhöht die Flexibilität enorm.
Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz in der Steuerung der Energiesysteme?
Eine immer bessere KI hilft uns, aus riesigen Datenmengen präzise Prognosen zu erstellen. Sie unterstützt Netzleitstellen dabei, frühzeitig auf Abweichungen zu reagieren und Engpässe zu vermeiden. In Zukunft wird KI Lastflüsse selbsttätig steuern können – natürlich unter Aufsicht von Ingenieurinnen und Ingenieuren. Erste Pilotnetze laufen bereits erfolgreich.
Neue Materialien spielen eine zentrale Rolle. Wo liegen die Schwerpunkte?
Ein Beispiel sind moderne Leistungshalbleiter aus Siliziumkarbid. Sie ermöglichen kleinere, leichtere und effizientere Umrichter. Auch bei Isolierstoffen und Kühlung gibt es Fortschritte. Viele Entwicklungen stehen kurz vor dem breiten Einsatz – das stimmt uns optimistisch.
Europa hat sehr unterschiedliche Stromnetze. Wie wichtig ist Standardisierung?
Sehr wichtig. Ohne gemeinsame Standards lassen sich keine länderübergreifenden Netze effizient betreiben. Wir arbeiten mit Netzbetreibern zusammen, um Schnittstellen und Steuerprotokolle weiter zu harmonisieren.
Energieversorgung muss auch resilient sein. Wie begegnen Sie Störungen und Risiken?
Das Netz der Zukunft muss nicht nur klimaneutral, sondern auch robust sein. Dazu gehören Redundanzen, intelligente Schutzsysteme und ein hoher Standard bei der Cybersicherheit. Aktuelle Ereignisse zeigen, wie wichtig diese Maßnahmen sind.
Welche Investitionen tätigt Hitachi Energy, um diese Technologien in Europa zu sichern?
Wir investieren bis 2027 weltweit sechs Milliarden US-Dollar. In Deutschland modernisieren wir aktuell unsere Transformatorenfabrik in Bad Honnef mit über 30 Millionen Euro – das schafft bis zu 100 neue Arbeitsplätze. Gleichzeitig bauen wir Test- und Entwicklungszentren aus. Und wir sind auch bereit, noch mehr zu investieren. Denn unser Ziel ist es, Schlüsseltechnologien in Europa zu halten.
Sie sprechen die Fachkräfte an – finden Sie genügend qualifiziertes Personal?
Das ist eine große Herausforderung. Wir haben in Deutschland mehr als 150 offene Stellen. Ohne Fachkräfte gelingt auch die Energiewende nicht. Aber wir sind überzeugt, dass wir die Menschen erreichen können: Viele junge Leute interessieren sich für Nachhaltigkeit, Klimaschutz, Innovation und Technik. Wenn wir diese Themen verbinden, können wir sie begeistern und langfristig gewinnen.
Was erwarten Sie von der Politik?
Vor allem Geschwindigkeit bei Planung und Genehmigung. Die Technologie ist vorhanden, die Unternehmen investieren. Aber Verfahren dauern vielerorts zu lange. Wenn wir die Klimaziele erreichen wollen, wenn wir das Rennen um künstliche Intelligenz aufnehmen und bestehen wollen, dann müssen Netze, Speicher und Infrastruktur schneller gebaut werden – das ist technisch möglich, und wir sind bereit.
Weitere Informationen unter hitachienergy.com/de/de
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