Die Schweiz ist weltweit als Innovationsstandort bekannt. Kein Wunder, werden die Chancen von KI mittlerweile vielerorts enthusiastisch ergriffen. Wo die spannendsten Potenziale liegen und wie man als Technologiepartner Firmen auf ihrem Weg in die digitale Zukunft begleitet, fragte Fokus bei Catrin Hinkel, CEO von Microsoft Schweiz, nach.
Frau Catrin Hinkel, vor zwei Jahren durfte ich Sie zuletzt interviewen – technologisch betrachtet eine halbe Ewigkeit. Was waren die wesentlichen Entwicklungen in dieser Zeit für Microsoft?
Wir haben in den letzten beiden Jahren einen fundamentalen Wandel erlebt, wie neue Technologien wie KI viele Bereiche der Wirtschaft umgestaltet haben. Wir sehen, dass KI in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Mit unserem kontinuierlichen und langfristigen Engagement in der Schweiz sind wir Teil dieses Wandels. Und auf diesem Fundament bauen wir auf: Im Juni dieses Jahres haben wir weitere Investitionen in die Schweiz angekündigt. Wir erweitern nicht nur Rechenzentren, sondern investieren in ein ganzes Ökosystem und stärken damit die digitale Souveränität des Landes. Das ist entscheidend für regulierte Branchen wie Banken und Versicherungen, für das Schweizer Gesundheitswesen und für KMU. Diese Demokratisierung von Zugang ist einzigartig und unser Ziel ist es, gemeinsam mit unseren Kunden und Partnern die Schweizer Wirtschaft voranzutreiben. Ich habe noch nie eine Technologie erlebt, die so schnell adaptiert und produktiv genutzt wurde wie KI.
Sie sagen, dass KI in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Was ist dementsprechend Ihrer Meinung nach «the next big thing» in diesem Feld?
Die nächste Entwicklungsstufe ist Agentic AI. Bei diesen Agenten handelt es sich um KI-gestützte Softwarelösungen, die mit Mitarbeitenden oder in deren Auftrag arbeiten, indem sie Kontext erfassen, Aufgaben planen und Massnahmen ergreifen können. Viele unserer Kunden sind bereits auf diesem Weg. Die International Data Corporation erwartet bis 2028 rund 1,3 Milliarden Agenten. Unser Work Trend Index zeigt, dass 80 Prozent der Schweizer Führungskräfte der Ansicht sind, dass 2025 ein entscheidendes Jahr für den strategischen Einsatz von KI ist. 72 Prozent planen, KI-Agenten als digitale Teammitglieder einzusetzen. Und 52 Prozent der Schweizer Unternehmen automatisieren bereits ganze Geschäftsprozesse mit KI, diese Zahl liegt über dem globalen Durchschnitt. Das ist nicht nur eine technologische Weiterentwicklung – es ist ein wirtschaftlicher Wendepunkt. Schweizer Unternehmen sind bei der Transformation führend. Wichtig dabei ist, dass die Technologie ein Co-Pilot bleibt und der Mensch steuert.
Die Schweiz nutzt KI also rege. Das passt zu ihrem Ruf als Innovationsstandort. Wie sieht die KI-Adoption bei Ihren Kunden konkret aus?
Wir sehen derzeit eine Transformation über alle Branchen hinweg. Die Finanzindustrie ist einer der führenden Sektoren in der KI-Anwendung. Die UBS zeigt beispielsweise, was strategische Implementierung bedeuten kann: 55 000 Copilot-Lizenzen, acht Millionen KI-Prompts allein im zweiten Quartal dieses Jahres. Zurich Insurance wiederum nutzt KI für präzisere Risikobewertungen und das EKZ optimiert die Energieverteilung. Damit ist KI zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil geworden. Das Luzerner Kantonsspital beispielsweise hat durch den Einsatz von KI zwei Drittel weniger Planungsaufwand. Das bedeutet konkret mehr Zeit für Patientenbetreuung. Die Mobiliar setzt KI ein, um Anfragen schneller an die richtigen Ansprechpartner zu leiten. Der in Bern entwickelte KI-Chatbot «Sophia» unterstützt global Opfer häuslicher Gewalt anonym. Oder die Firma Virtuosis AI aus Lausanne erkennt Burn-out-Anzeichen durch Stimmanalyse mit über 90-prozentiger Genauigkeit. Diese Schweizer Innovationen zeigen: KI, mit Verantwortung entwickelt, kann Leben verbessern. Und wir möchten sicherstellen, dass unsere Kunden in der Schweiz Zugriff auf die aktuellsten Technologien haben.
Wie wichtig ist der Standort Schweiz für Microsoft in diesem Kontext?
Wir sind seit 36 Jahren in der Schweiz aktiv und arbeiten eng mit Unternehmen, Behörden und der Zivilgesellschaft zusammen. Die Schweiz ist für uns ein strategischer Innovationspartner. Über 50 000 Kunden nutzen bereits unsere KI- und Cloud-Dienste in unseren vier Rechenzentren in Zürich und Genf. Unsere letzten Investitionen gehen über den Ausbau der Infrastruktur und die Verfügbarkeit der neuesten Technologien hinaus: Bis 2027 haben wir uns zum Ziel gesetzt, eine Million Menschen bei der KI-Weiterbildung zu unterstützen. Mit Partnerschaften mit ETH, EPFL und Switzerland Innovation Parks schaffen wir gemeinsam ein nachhaltiges Ökosystem. Zudem arbeiten wir daran, die Position der Schweiz als internationales Innovationszentrum zu stärken. Mit den Vereinten Nationen und anderen internationalen Organisationen im Ökosystem von «International Geneva» fördern wir den Wissenstransfer über die Schweiz hinweg.
Meine Vision ist es, dass Technologie in der Schweiz verantwortungsvoll eingesetzt wird und Menschen in den Mittelpunkt stellt. Wir wollen unsere Kunden und Partner befähigen, das volle Potenzial von neuen Technologien zu nutzen. – Catrin Hinkel
Sie haben erwähnt, dass hiesige Unternehmen in gewissen Bereichen sogar überdurchschnittlich sind, wenn es um die Nutzung von KI geht. Welche Vorteile ergeben sich für Firmen und ihre Mitarbeitenden, wenn diese KI einsetzen können?
Gerade in einer Zeit, in der der Arbeitsdruck zunimmt und Unterbrechungen allgegenwärtig sind, kann KI administrative Aufgaben automatisieren und dabei helfen, Informationen schneller zu finden sowie Routineprozesse effizienter zu gestalten. Dadurch gewinnen Mitarbeitende wertvolle Zeit. Unser aktueller Report «Breaking the Infinite Workday» zeigt die Notwendigkeit hierfür: Mitarbeitende werden heute alle zwei Minuten in ihrer Arbeit unterbrochen, 275-mal täglich. 40 Prozent checken E-Mails vor sechs Uhr morgens und Meetings nach 20 Uhr sind um 16 Prozent gestiegen. Ein Teil der Lösung kann sein, was wir als «Frontier Firms» bezeichnen: Unternehmen, die KI als integralen Bestandteil ihrer DNA verstehen. Sie berichten von 55 Prozent mehr Kapazität für strategische Aufgaben und 71 Prozent ihrer Führungskräfte berichten, dass der Einsatz von KI positive Auswirkungen auf den Unternehmenserfolg hat. Der Einsatz der Technologie ermöglicht es Mitarbeitenden also, sich wieder auf das zu konzentrieren, was einzigartig für Menschen ist: Kreativität, Empathie und die Fähigkeit, komplexe Entscheidungen zu treffen.
Microsoft möchte eine Schlüsselrolle einnehmen, wenn es um die technologische Begleitung von Unternehmen geht. Welche Meilensteine haben Sie sich dementsprechend als CEO von Microsoft Schweiz für die Zukunft gesetzt?
Meine Vision ist es, dass Technologie in der Schweiz verantwortungsvoll eingesetzt wird und Menschen in den Mittelpunkt stellt. Wir wollen unsere Kunden und Partner befähigen, das volle Potenzial von neuen Technologien zu nutzen – für mehr Produktivität, Innovation und Nachhaltigkeit. Unsere Growth-Mindset-Kultur bei Microsoft ermöglicht es uns, offen für Neues zu sein, kontinuierlich zu lernen und das Schweizer Ökosystem zu stärken und zusammen innovative Lösungen zu erarbeiten. So leisten wir einen Beitrag dazu, dass die Schweiz auch in Zukunft ein attraktiver und nachhaltiger Standort bleibt, in dem neue Ideen und Impulse für Wirtschaftswachstum entstehen.
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