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Editorial Gesundheit

Inklusion als Erfolgsfaktor für Unternehmen verstehen

19.04.2025
von SMA
Prof. Dr. Stephan Alexander Böhm Porträt

Prof. Dr. Stephan Alexander Böhm
Direktor IIDM-HSG und Direktor Competence Center for Diversity, Disability and Inclusion (CCDI-HSG) der Universität St.Gallen

Dr. Louisa Riess Porträt

Dr. Louisa Riess
Senior Research Associate am CCDI-HSG

Jede fünfte Person in der Schweiz lebt mit einer Behinderung. Mit dem demografischen Wandel und einer alternden Gesellschaft wird diese Zahl weiter steigen. Dennoch fehlt es insbesondere am Arbeitsplatz häufig noch an Inklusion. 

Am Competence Center for Diversity, Disability and Inclusion der Universität St.Gallen erforschen wir seit über 16 Jahren, wie die Inklusion von Menschen mit Behinderungen im Arbeitskontext gefördert werden kann. Viele Unternehmen sehen Inklusion dabei vor allem als soziale Verantwortung – und das zu Recht. Doch sie ist weit mehr als das. Inklusion kann ein wichtiger Erfolgsfaktor für Unternehmen sein.

Inklusion als unternehmerische Chance

Die Zusammenarbeit von Menschen mit und ohne Behinderungen hat viele Vorteile. Studien und Praxisbeispiele zeigen, dass sie sich positiv auf die Unternehmensreputation und Unternehmenskultur auswirken kann und den Zugang zu neuen Talenten ermöglicht. 

Damit die Chancen von behinderungsdiversen Teams optimal genutzt werden können, ist eines entscheidend: Inklusion. Wenn sich Mitarbeitende inkludiert fühlen, ein vollwertiger Teil des Teams sind und sich einbringen können, hat das positive Auswirkungen auf die Innovation im Unternehmen. In einer Studie mit 228 Produktionsteams im Automobilbau fanden wir heraus, dass Behinderungsdiversität in Produktionsteams zu einer erhöhten Generierung von Ideen beiträgt, speziell wenn ein hohes Inklusionsklima vorherrscht. Interessanterweise liegt dieser Effekt nicht nur daran, dass Mitarbeitende mit Behinderungen neue Perspektiven einbringen. Auch ihre Kolleg:innen ohne Behinderungen denken in inklusiven Teams kreativer und in neuen Richtungen.

Doch Inklusion hat nicht nur wirtschaftliche Vorteile, sie wirkt sich auch positiv auf die Gesundheit der Beschäftigten aus. In einer bevölkerungsrepräsentativen Studie in Deutschland konnten wir über den Zeitraum eines Jahres nachweisen, dass Inklusion einen kausalen Einfluss auf die Gesundheit aller Mitarbeitenden hat. Fühlen sich Beschäftigte mehr inkludiert, verbessert sich später auch ihr Gesundheitszustand – unabhängig davon, ob sie eine Behinderung haben oder nicht. Es wird daher Zeit, dass wir verstehen, dass wir alle von mehr Inklusion profitieren.

Wir alle profitieren von Inklusion: Inklusion als Mindset verstehen

Um Inklusion fördern zu können, müssen wir zuerst verstehen, was Inklusion bedeutet. Inklusion bedeutet, dass Menschen mit und ohne Behinderung von Anfang an gemeinsam in allen Lebensbereichen selbstbestimmt leben und zusammenleben. Dies gilt gerade auch für den beruflichen Kontext. Inwiefern wir uns inkludiert fühlen, hängt dabei von vier Dimensionen ab, die sich mit dem St.Gallen-Inclusion-Index messen lassen: (1) Zugehörigkeit – das Gefühl, ein wichtiger Teil des Teams zu sein; (2) Authentizität – die Freiheit, sich am Arbeitsplatz so zu zeigen, wie man wirklich ist, ohne sich verstellen zu müssen; (3) Perspektivenvielfalt – die Möglichkeit, eigene Sichtweisen und Meinungen einzubringen, die gehört und geschätzt werden; und (4) Chancengleichheit – faire Aufstiegschancen und Möglichkeiten für alle.

Die Förderung eines inklusiven Arbeitsumfelds, das Zugehörigkeit, Authentizität, Perspektivenvielfalt und Chancengleichheit erlaubt, kommt allen zugute. Eine Schlüsselrolle fällt dabei insbesondere den Führungskräften zu.

Führungskräfte als Inclusion-Champions

Führungskräfte spielen eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung eines inklusiven Arbeitsumfeldes, das die Stärken aller Mitarbeitenden – mit und ohne Behinderung – anerkennt und fördert. Eine stärkenorientierte und inklusive Führung bedeutet, dass nicht Defizite im Fokus stehen, sondern individuelle Fähigkeiten und Potenziale gezielt genutzt werden. 

Ein solches Führungsverhalten ist dabei nicht nur für die Neueinstellung von Menschen mit Behinderung wichtig, sondern auch für den langfristigen Arbeitsplatzerhalt von Mitarbeitenden, die im Laufe ihrer Karriere mit einer Behinderung konfrontiert werden. Führungskräfte tragen dabei die Verantwortung, Barrieren – sowohl physische als auch soziale – abzubauen, Inklusion aktiv vorzuleben und ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem sich alle wertgeschätzt und gefördert fühlen. Unternehmen wie die Schweizerische Post, ABB, Hitachi und Novartis haben hierzu im Rahmen des Projekts «Inclusion Champions Switzerland» eigene Programme zur Schulung von Führungskräften und zur Schaffung einer inklusiven Unternehmenskultur implementiert.

Den Führungskräften kommt dabei nicht nur die Rolle der Einflussnehmenden zu, sie profitieren auch selbst von inklusiver Führung. Gemeinsam mit der Stiftung Pfennigparade untersuchen wir, wie sich ein Mentoringprogramm für Schüler:innen mit Behinderungen auf Führungskräfte auswirkt. Dabei begleiten diese die Schüler:innen als Mentor:innen in einem Unternehmensgründungsprojekt. Erste Ergebnisse zeigen die Wirkung des «Reversed Mentorings»: Nicht nur die Schüler:innen profitieren vom Wissen der Führungskräfte – auch die Mentor:innen lernen von ihren Mentees. Durch die enge Zusammenarbeit bauen sie Berührungsängste und Vorurteile ab, entwickeln ein tieferes Verständnis für Diversität und stärken ihre eigene Selbstwirksamkeit sowie Resilienz. So entsteht ein wechselseitiger Lernprozess, der weit über das Projekt hinauswirkt.

Dialog als Schlüssel zum Erfolg

Damit Inklusionsinitiativen nachhaltigen Erfolg erzielen können, ist Dialog entscheidend. Inklusion kann nur gelingen, wenn Massnahmen nicht «ins Blaue hinein» getroffen werden, sondern die tatsächlichen Bedürfnisse der Mitarbeitenden berücksichtigen. Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht – deshalb ist es essenziell, dass miteinander gesprochen wird, sei es im Beruf oder im Alltag. Ein offener Austausch hilft, Missverständnisse zu vermeiden und Barrieren gezielt abzubauen. Statt voreilige Annahmen darüber zu treffen, was jemand kann oder nicht kann, sollten wir einfach fragen, ob und in welcher Form Unterstützung gewünscht ist. 

Genauso wichtig ist es, aufmerksam zuzuhören und aktiv zu handeln, wenn uns jemand auf Hindernisse hinweist. Nur wenn Worten auch Taten folgen, wird Inklusion wirklich gelebt und können wir alle von mehr Inklusion profitieren.

Text Prof. Dr. Stephan Alexander Böhm und Dr. Louisa Riess

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