
Natascha Hoffner
Gründerin und Geschäftsführerin der messe.rocks GmbH, Initiatorin und Betreiberin von Europas führender Karriereplattform herCareer
© Sung-Hee Seewald
Liebe Leserinnen und Leser, wer behauptet, Frauen* seien in Deutschland längst gleichberechtigt, macht sich etwas vor. Frauen* haben sich in Deutschland viele Rechte und Räume erkämpft, die ihnen lange vorenthalten wurden, das ist richtig. Aber gerade jetzt ist der Punkt, an dem wir alle gemeinsam diese Rechte und Chancen schützen müssen, denn sie sind von autoritären Kräften bedroht. Der Frauenanteil im Bundestag ist wieder gesunken und Bildung, Familie und Frauen* gehören jetzt demselben Ministerium an, was im Umkehrschluss bedeutet: weniger Zeit und weniger Geld für beide Schwerpunkte. Einige wenige deutsche Unternehmen beugen sich schon den Richtlinien der USA und stellen ihre Programme für mehr Diversität und Zielvorgaben für mehr Frauen* in Führungspositionen ein.
Als Gründerin einer Karriereplattform ist mir eine politische und unternehmerische Haltung, die sich nicht für Vielfalt und Teilhabe ausspricht, völlig unverständlich. Der Fachkräftemangel ist real und in meinem Arbeitsalltag nehme ich regelmäßig Klagen über unbesetzte Stellen und überlastete Mitarbeitende wahr. Heute haben mehr Frauen* als Männer einen Hochschulabschluss. Das bedeutet, dass Schulen, Universitäten und ausbildende Unternehmen viel Arbeit in weibliche Fachkräfte und Expertinnen investiert haben. All diese Frauen* starten genauso ambitioniert in ihr Berufsleben wie Männer. Was für ein Verlust, wenn diese hoch qualifizierten Frauen* durch schlechte Teilzeitmaßnahmen systematisch aus dem Arbeitsmarkt gedrängt werden. Was für eine Verschwendung von Potenzialen, wenn sich durch die Abschaffung von Quoten und internen Zielvorgaben alte Rollenbilder und Machtstrukturen wieder manifestieren können.
Ermöglichen Sie anderen, ihre Privilegien zu teilen.
Die Quote abschaffen? Ich finde, die Quote muss ausgeweitet werden, auf Gremien und Politik! Denn sie ist ein Mittel zum Zweck: Arbeitgebende, die eine Quote ernst nehmen, öffnen die Pipeline und vergrößern so den Talent-Pool, aus dem sie schöpfen können. Die Quote bringt genau die Disruption und Innovation, die in Umbruchphasen immer gefordert wird.
Es ist schön zu sehen, wie sich immer mehr Männer ihrer Privilegien und Unternehmen des Machtgefälles in der Gesellschaft bewusst werden. Aber wir brauchen mehr als nur Verbündete – Frauen* und marginalisierte Gruppen brauchen Mitstreiter und Sponsoren: Führungskräfte, die ihren Mitarbeitenden Zugang zu Projekten und Netzwerken verschaffen, sie aktiv in ihren Karrieren stärken, damit aus moralischem Beistand mittelfristig strukturelle Veränderungen wachsen können. Wir – Akteur:innen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik – müssen unsere Privilegien nutzen, um allen Menschen gerechten Zugang zu den Tischen der Macht zu verschaffen.
Wie können Unternehmen dazu beitragen, dass alle gleiche Chancen bekommen? Unternehmen können sich fairen, nachhaltigen und inklusiven Prozessen verschreiben: Keine Stelle wird besetzt, ohne dass genauso viele männlich wie weiblich gelesene und dazu noch mindestens eine nicht-binäre Bewerber:in gesichtet wurden. Jede Stellenausschreibung lädt explizit Quereinsteiger:innen, Menschen mit Migrationshintergrund, Behinderung und Sinti:zze und Rom:nja zur Bewerbung ein.
Selbstverständlich muss die Politik die Rahmenbedingungen schaffen und die Ausgangssituation für alle angleichen. Ein guter Ausgangspunkt wäre, besseren Zugang zu Bildung zu schaffen. Lebenslanges Lernen zum Standard machen, wie es das europäische Recht mittlerweile vorsieht, die notwendige Konsequenz. Familien- und Arbeitsrecht müssen Chancengerechtigkeit abbilden und auch absichern, damit sie nicht willkürlich wieder genommen werden kann. Das Ehegattensplitting muss abgeschafft, bezahlte Sorgearbeit finanziell aufgewertet werden, unbezahlte Sorgearbeit muss die Anerkennung bekommen, die sie verdient. Das bedeutet auch: Die Mütterrente muss bleiben. Elternzeit muss verpflichtend paritätisch werden, die Kita- und Schulinfrastruktur so ausgebaut, dass Frauen* schnellstmöglich wieder in Vollzeit oder vollzeitnah arbeiten können, wenn sie das möchten. Ehe und Kinder dürfen die finanzielle Unabhängigkeit von Frauen* nicht einschränken. Im Gegenteil, in modernen Partnerschaften müssen Frauen* echte Wahlfreiheit haben und von keiner Frau darf erwartet werden, ihrem Mann »den Rücken freizuhalten«.
Hier ist ein radikaler Gedanke: Fangen Sie zu Hause an! Hinterfragen Sie die Rollenverteilung in Ihrer Partnerschaft und tragen Sie dieses Bewusstsein in den Elternbeirat, den Sportverein, die Kommunalpolitik und an Ihren Arbeitsplatz. Weisen Sie jedes Mal darauf hin, wenn nicht alle Stimmen im Raum gehört werden. Werden Sie stutzig, wenn nur Männer am Tisch sitzen, und äußern Sie Ihre Verwunderung. Haben Sie keine Angst, Privilegien zu verlieren. Ermöglichen Sie stattdessen anderen Menschen, sie mit Ihnen zu teilen. Denn wir dürfen nicht vergessen: Chancengleichheit für Frauen* ist nicht nur eine Frage der Rollenverteilung, sondern eine Frage der Demokratie. Als Unternehmer:innen und Führungskräfte müssen wir genauso Haltung zeigen wie als Menschen, sonst verlieren wir jegliche Glaubwürdigkeit. Solange wir marginalisierten Gruppen nicht die gleichen Chancen wie Männern einräumen, bleiben wir als Wirtschaftsstandort, als Gesellschaft und als Menschen hinter unserem Potenzial zurück.
Text Natascha Hoffner, Gründerin und Geschäftsführerin der messe.rocks GmbH, Initiatorin und Betreiberin von Europas führender Karriereplattform herCareer
Schreibe einen Kommentar