Noch während der Pandemie wurde oftmals das Ende des MICE-Geschäfts proklamiert. Doch genau das Gegenteil ist eingetreten: Persönliche Treffen und Veranstaltungen boomen. Martin von Moos, Präsident von HotellerieSuisse sowie Geschäftsführer der Hotels Sedartis und Belvoir, erklärt, warum der direkte Austausch unschlagbar bleibt – und wie die Hotellerie diesen Trend neu interpretiert.
Herr von Moos, als Präsident von HotellerieSuisse vertreten Sie die Interessen der hiesigen Beherbergungsbranche. Wie geht es dem Sektor?
Ich darf sagen, dass wir die Folgen der Pandemie vollumfänglich hinter uns gelassen haben. Diese zwang die Branche damals zu einer Art «Neustart». Mit dem vergangenen Jahr können wir in der Schweiz sogar sehr zufrieden sein: 2024 konnten wir in den Städten sowie gewissen ländlichen Regionen Höchststände verbuchen. Gleichzeitig gab es aber auch Gegenden, die nicht im gleichen Masse von der steigenden Nachfrage nach Beherbergung profitieren konnten. Dementsprechend geht es der hiesigen Hotelleriebranche zwar gut, doch die Wertschöpfung ist teilweise noch ungleich verteilt. Darum arbeiten wir unter anderem mit Schweiz Tourismus daran, mögliche Massnahmen entsprechend zu fokussieren. Parallel dazu motivieren wir von HotellerieSuisse die Regionen dazu, mit attraktiven und innovativen Angeboten aufzuwarten. Hierfür gibt es verschiedene Rezepte und wir sind daran, diese gemeinsam mit unseren Mitgliedern umzusetzen. Das laufende Jahr stimmt mich für unsere Branche sehr zuversichtlich, da diverse Grossanlässe anstehen – auch im MICE-Bereich.
Sprechen wir über MICE: Wie definieren Sie selbst den Begriff und welche Bedeutung hat dieses Feld für die Schweizer Hotelwelt?
In der Beherbergungsbranche unterscheiden wir zwischen klassischem Tourismus und dem Eventbereich, zu dem auch das Organisieren und Durchführen von Businessveranstaltungen zählen. Der MICE-Bereich ist damit ein essenzielles Geschäftsmodell sowie ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für die hiesigen Hotels. Dies nicht zuletzt, weil das Feld eine enorme Wertschöpfung aufweist: MICE-Gäste geben durchschnittlich mehr Geld aus und generieren damit auch für artverwandte Branchen wie Transport, Restaurants sowie Detailhandel Mehrwert. Der MICE-Bereich ist also äusserst wichtig und macht hierzulande 20 Prozent der Übernachtungen aus, was rund acht Millionen Logiernächten entspricht. Oder anders ausgedrückt: Jede fünfte Logiernacht wird durch einen MICE-Gast erbracht.
Gerade MICE war damals von der Pandemie stark betroffen. Es wurden gar Stimmen laut, dass man im Zeitalter von Onlinekonferenzen und Co. künftig auf Businesstrips werde verzichten können.
Glücklicherweise sind diese Szenarien so nicht eingetreten – oder zumindest nicht ausschliesslich. Es war zwar durchaus klar, dass sich das Feld der Geschäftsreisen nach der Pandemie verändern würde. Aber die Angst, dass man Seminarhotels würden schliessen müssen, erwies sich als unbegründet. Natürlich haben wir damals strategische Überlegungen darüber angestellt, in welche Richtung die Entwicklung gehen wird und wie wir uns an die neue Ausgangslage anpassen können. Doch rasch nach dem Ende der Pandemiebestimmungen zog die Nachfrage nach MICE wieder an. Dies, weil der Netzwerkgedanke viel wichtiger und attraktiver ist als der Austausch in der virtuellen Welt. MICE wächst und wird es weiterhin tun, in der Schweiz sowie weltweit. Als Faustregel hat sich herauskristallisiert: Wenn sich Leute international oder interregional austauschen, wird das in Gruppen von bis zu sechs Personen meist in einem Conference-Videocall erledigt. Ist die Gruppe aber grösser, setzt man auf ein persönliches Treffen. Ein Kundensegment, das sich hingegen in der Tat verringert hat, ist das der individuellen Geschäftsreisenden. Doch dafür sehen wir, dass der Leisure-Bereich (Freizeit) wächst und sich mit dem Business-Segment vermischt. Das birgt für Hotels natürlich die Chance, Seminargäste auch für einen Aufenthalt mit ihrer Familie zu animieren. Hier sehe ich ein gewaltiges Potenzial.
Wenn wir auf Ihre Häuser, das Belvoir sowie das Sedartis, blicken – wie wichtig ist dort der MICE-Bereich?
Er ist entscheidend! Wir haben daher stark in unser MICE-Angebot investiert und unsere Infrastruktur nach der Pandemie angepasst. Wir bieten etwa nicht mehr nur die «klassische» Seminar-Bestuhlung an, sondern verfügen über flexible, moderne Raumkonzepte. Im Sedartis haben wir beispielsweise einen Kreativraum geschaffen, der mit verschiedenen Bereichen aufwartet, in denen man basteln und malen kann. Im Belvoir wiederum haben wir einen neuen Seminarraum eingerichtet, der auf drei Ebenen strukturiert ist: einer klassischen Tischebene, einer Hochtischebene sowie einem Loungebereich. Diese Vielfalt entspricht den veränderten Bedürfnissen unserer Gäste und sorgt für eine abwechslungsreiche Meeting-Atmosphäre. Natürlich spielt auch die Betreuung vor Ort eine tragende Rolle, insbesondere in der Verpflegung. Ein wichtiges Thema sind in diesem Zusammenhang Unverträglichkeiten, denen wir mit individuell abgestimmten Speisen Rechnung tragen.
Wie unterstützen Sie MICE-Gäste bei der Organisation des Rahmenprogramms?
Wir beraten unsere Kunden auf Wunsch umfassend. Allerdings organisieren die Verantwortlichen der Unternehmen das Rahmenprogramm meist selbst und nutzen unsere Hotels primär für die Konferenzen, zur Verpflegung sowie für die Übernachtung. Darum bieten wir ein flexibles Gesamtpaket an, das individuell auf die Bedürfnisse unserer Gäste abgestimmt wird.
Welche technischen Möglichkeiten und digitalen Tools muss man Veranstaltern zur Verfügung stellen, um als MICE-Standort auftrumpfen zu können?
In all unseren Veranstaltungsräumen gibt es die Möglichkeit für Videokonferenzen – ein Bereich, der durch die Pandemie an Bedeutung gewonnen hat. Ein stabiles WLAN, einfache Anschlussmöglichkeiten für Beamer sowie Adapter für unterschiedliche Geräte sind essenziell. Auch der audiovisuelle Bereich ist entscheidend, insbesondere wenn externe Referent:innen zugeschaltet werden. Doch trotz aller Hightech bleibt der persönliche Austausch weiterhin das wichtigste Element jeder Veranstaltung.
Sie haben die Zuschaltung externer Fachleute angesprochen. Wie wichtig sind hybride oder virtuelle Veranstaltungsmöglichkeiten für Ihr Hotel?
Wir beobachten, dass der Einfluss von künstlicher Intelligenz auf den MICE-Bereich zunimmt. Dies eröffnet spannende Möglichkeiten: So könnten etwa Avatare als Referenten auftreten und an verschiedenen Standorten gleichzeitig präsent sein. Welche konkreten Entwicklungen uns in diesem Bereich erwarten, ist jedoch noch nicht vollständig absehbar. Aber natürlich müssen wir bereit sein, auf die Entwicklung zu reagieren. Ein weiterer Trend betrifft das Buchungsverhalten: Während früher vieles über Telefonate abgewickelt wurde, finden mittlerweile immer mehr Buchungen ausschliesslich über Online-Plattformen statt. Gerade für MICE-Events entstehen zunehmend spezialisierte Buchungstools, die den Prozess weiter vereinfachen werden.
Wie sehen Sie die Zukunft des MICE-Geschäfts?
Ein klarer Trend ist die zunehmende Kurzfristigkeit von Buchungen – die Zeitfenster werden immer kürzer. Ausserdem beobachten wir, dass kleine Meetings mit bis zu sechs Personen seltener gebucht werden, während grössere Veranstaltungen weiterhin gefragt sind. Nachhaltigkeit ist ein weiteres zentrales Thema: Viele Unternehmen haben mittlerweile strenge Vorgaben und wählen bevorzugt Hotels, die zertifiziert sind und nachhaltig arbeiten. «Green Meetings» gewinnen daher an Bedeutung und wir sind mit entsprechenden Zertifizierungen gut aufgestellt. Ein wichtiges künftiges Ziel für die Branche ist die Verlängerung der Saison, indem MICE-Events gezielt in Nebenzeiten platziert werden. Viele Destinationen setzen dies bereits erfolgreich um. Ein gutes Beispiel hierfür liefert das «Zermatt Unplugged»-Festival, das die Saison im April verlängert. Auch der «Zauberwald» in der Lenzerheide ist eine Veranstaltung, die bewusst vor der Dezember-Hochsaison platziert wurde. Solche Events tragen dazu bei, dass touristische Regionen über einen längeren Zeitraum attraktiv bleiben – und oft sind es MICE-Veranstaltungen, die diesen Effekt verstärken.
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