Das Problem ist landesweit bekannt: Die steigende Nachfrage nach Gesundheitsleistungen übersteigt das Angebot an Fachkräften. Der Druck auf das Schweizer Gesundheitssystem nimmt zu. Wie kann sichergestellt werden, dass alle Menschen Zugang zu guter Pflege haben?
In den letzten Jahren hat sich der Mangel an Pflegefachkräften verschärft. Die Abhängigkeit der Schweiz von ausländischem Pflegepersonal ist dadurch gestiegen. Damit die Qualität der Pflege erhalten bleibt und alle Menschen Zugang zu guter Pflege haben, müssen hierzulande mehr Fachkräfte ausgebildet werden. Zudem muss die Berufsverweildauer verlängert werden. Genau diese beiden Ziele verfolgt die am 28. November 2021 angenommene Initiative «Für eine starke Pflege».
Die demografische Alterung der Schweizer Bevölkerung fordert das Gesundheitssystem heraus. In den kommenden Jahren wird es nämlich immer mehr ältere Menschen geben. Das Bundesamt für Statistik stellt in einem im September 2021 veröffentlichten Bericht eine beunruhigende Prognose: Bis 2050 dürfte sich die Zahl der Senior:innen über 80 Jahre von knapp einer halben Million im Jahr 2020 auf über eine Million mehr als verdoppeln. So wird wahrscheinlich auch die Anzahl von Krankheiten wie Krebs, Diabetes, oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen steigen.
Vor- und Nachteile des Pflegeberufs
Um allen pflegebedürftigen Menschen in der Schweiz eine gute Pflege zu ermöglichen, muss der Fachkräftemangel behoben werden. Doch warum gibt es diesen überhaupt? Gilt der Beruf als sehr sinnstiftend und erfüllend, ist er gleichzeitig herausfordernd. Spontanes Einspringen für Kolleg:innen und sich kurzfristig ändernde Dienstpläne erfordern viel Flexibilität. Körperliche Anstrengung sowie Wochenend-, Nacht- und Feiertagseinsätze gehören ebenfalls dazu.
Bis 2050 dürfte sich die Zahl der Senior:innen über 80 Jahre von knapp einer halben Million im Jahr 2020 auf über eine Million mehr als verdoppeln.
Gerade dieser Fachkräftemangel führt zu einer hohen Nachfrage nach qualifiziertem Pflegepersonal. So ist die Arbeitsplatzsicherheit für angehende Pfleger:innen garantiert. Ein weiterer Vorteil ist die Abwechslung. Fast täglich lernen Pfleger:innen neue Menschen mit viel Lebenserfahrung kennen. Wer gerne mit anderen Menschen arbeitet und sich für ihre Lebensgeschichten interessiert, ist in der Pflege genau richtig. Auch die Tätigkeiten selbst sind vielseitig und abwechslungsreich, langweilig wird es ganz bestimmt nie.
Die Teamarbeit wird im Pflegeberuf ebenfalls gross geschrieben. Gleichzeitig wird von Pfleger:innen eine hohe Selbstständigkeit erwartet. Autonomes Arbeiten erfordert ein enormes Mass an Eigenverantwortung. Menschen, die gerne Verantwortung übernehmen und über Organisationstalent verfügen, sind daher in diesem Beruf besonders gefragt. Auch die zuvor erwähnte Flexibilität kann von Vorteil sein, da die Arbeitszeiten den individuellen Bedürfnissen angepasst werden können.
Ausbildung und Weiterbildung
Die Pflegeausbildung ist in der Schweiz auf der Tertiärstufe – die zum höchsten Bildungsabschluss führt – angesiedelt und dauert drei Jahre. Sie erfolgt entweder an einer Fachhochschule (FH, Tertiär A) oder an einer Höheren Fachschule (HF, Tertiär B). Sie kann berufsbegleitend oder in Teilzeit absolviert werden. Während das Tertiär A eine akademische Bildung umfasst, fällt die Bildung mit berufsspezifischer Ausrichtung ins Tertiär B. Die Absolvent:innen können sich nach der Berufsausbildung Dipl. Pflegefachfrau / Dipl. Pflegefachmann nennen. Nach der Ausbildung im Pflegeberuf gibt es vielfältige Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten, um sich für höhere Positionen zu qualifizieren.
Ausgebildete Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner, die sich in spezifischen Fachgebieten wie zum Beispiel der Intensiv- und Anästhesiepflege weiterbilden, werden Spezialist:innen. Und genau diese braucht die Schweizer Bevölkerung. Die ZHAW bietet beispielsweise einen Master of Advanced Studies (MAS) mit verschiedenen Vertiefungsrichtungen an. Gerade im Gesundheitswesen ist es wichtig, das eigene Wissen ständig zu erweitern, denn die Forschung bringt laufend neue Erkenntnisse.
Die Pflegesituation muss besser werden
Wenn die Arbeitsbedingungen in der Pflege verbessert würden, könnte den frühzeitigen Berufsaustritten und dem Fachkräftemangel entgegengewirkt werden. «Die aktuellen Bedingungen sind zu belastend und stehen im Widerspruch zu den zentralen Bedürfnissen der Pflegefachpersonen», sagt René Schaffert, der Studienleiter vom ZHAW-Institut für Gesundheitswissenschaften.
Gemäss einer Langzeitstudie der ZHAW, welche die ersten sechs Berufsjahre von Pflegenden untersuchte, ist die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben für die Pflegenden besonders wichtig. Viele spüren die Belastung nicht nur im Berufsalltag, sondern auch bei Aktivitäten im Privatleben – zum Beispiel in Form von Müdigkeit oder Anspannung. Darüber hinaus wünschen sich die Pflegekräfte eine bessere Ausschöpfung des eigenen Potenzials im Job sowie mehr Unterstützung und Wertschätzung durch das Management. Für einen längerfristigen Verbleib müsste auch der Lohn besser ausfallen.
In der Schweiz sind die Kantone für die Gesundheitsversorgung zuständig. Das bedeutet, sie legen die Arbeitsbedingungen für das öffentlich-rechtlich angestellte Pflegepersonal fest. Der Bund könne deshalb nicht für alle Pflegepersonen in der Schweiz sämtliche Arbeitsbedingungen verbindlich regeln und damit vereinheitlichen oder verbessern, schreibt die ZHAW in einem juristischen Gutachten vom November 2021.
Mit der Pflegeinitiative sollen Bund und Kantone gemeinsam dafür sorgen, dass genügend diplomierte Pflegefachpersonen zur Verfügung stehen. Die Pflegenden sollen entsprechend ihrer Ausbildung und ihrer Kompetenzen arbeiten können, damit sie zu einer hohen Pflegequalität beitragen. Im Zentrum der Umsetzung steht der Schutz der Gesundheit und der Persönlichkeit des Pflegepersonals – mit dem Ziel, die Sicherheit der Patientinnen und Patienten zu gewährleisten.
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