Wenn das Unmögliche wieder greifbar wird
Es kann uns alle treffen. Und zwar nicht irgendwann, sondern heute. Ein Unfall, eine plötzliche Diagnose – und das Leben steht Kopf. Für viele ist der Weg zurück nicht nur ein physischer, sondern auch ein emotionaler, sozialer und beruflicher Neuanfang. Die gute Nachricht: Die Rehatechnik hat enorme Fortschritte gemacht. Sie ermöglicht ein Leben, das vor wenigen Jahrzehnten noch undenkbar schien.
Tom ist Anfang 30. Sportlich, karrierefokussiert, lebt mit seinem Partner in einer Gartenwohnung am Zürcher Stadtrand – das Leben meint es gut mit ihm. An einem sonnigen Sonntag beschliesst Tom, mit Freunden an den See zu fahren. Die Stimmung ist locker, die Grillstelle lauschig. Tom läuft los, springt mit einem Kopfsprung vom Steg. An mehr erinnert er sich nicht. Nicht daran, wie ihn Freunde aus dem Wasser ziehen. Nicht an die Fahrt ins Spital. Nicht an die zwölf Tage auf der Intensivstation. Der See war an dieser Stelle nur einen Meter tief. Die Diagnose: inkomplette Querschnittlähmung, verursacht durch eine Verletzung der Halswirbel C4 und C5. Seither ist Tom auf einen Rollstuhl angewiesen.
Der Unfall verändert alles. Anstelle von Job, Reisen und Freizeit dominieren Physiotherapie, Blasenmanagement und Rollstuhlanpassungen den Alltag. Aber Tom ist nicht allein. Und er ist nicht ohne Perspektive. Fortschritte in der Rehatechnik – von Exoskeletten bis zur Rollstuhltechnologie – ermöglichen heute ein Leben, das nicht von Einschränkung, sondern von neuen Wegen geprägt ist.
Querschnittlähmung: Eine Herausforderung, die viele betrifft
In der Schweiz leben schätzungsweise rund 6000 Menschen mit Querschnittlähmung. Die Ursachen reichen von Verkehrsunfällen über Sportverletzungen bis hin zu Tumoren oder Entzündungen im Rückenmark. Die Lähmung kann vollständig oder teilweise sein – je nachdem, wie schwer und wo das Rückenmark betroffen ist. Für viele bedeutet das: Rollstuhl, Kontrollverlust über Körperfunktionen, tiefgreifende Veränderungen.
Und doch hat sich das Bild der Querschnittlähmung gewandelt. Dank moderner Rehatechnik, interdisziplinärer Behandlung und innovativer Hilfsmittel ist ein selbstbestimmtes Leben trotz Lähmung möglich – und das auch für junge Menschen, die mitten im Leben stehen.
Hoch spezialisierte Aktivrollstühle sind leicht, individuell anpassbar und in viele Lebensbereiche integrierbar – vom Alltag bis zum Sport.
Technik für mehr Selbstbestimmung
Früher bedeutete eine Querschnittlähmung oft das Ende der beruflichen und sozialen Teilhabe. Rollstühle waren schwer, unflexibel und medizinische Hilfsmittel eher notdürftige Kompromisse. Heute ist das anders. Hoch spezialisierte Aktivrollstühle sind leicht, individuell anpassbar und in viele Lebensbereiche integrierbar – vom Alltag bis zum Sport. Elektrorollstühle mit intuitiver Steuerung bieten neue Mobilität für Menschen mit höherer Lähmungshöhe.
Noch weiter gehen Exoskelette – robotische Gestelle, die das Gehen wieder ermöglichen. Sie kommen in der Reha zum Einsatz, aber teils auch im Alltag, etwa für kurze Strecken. Sie helfen nicht nur körperlich – sie sind ein Symbol: Ich stehe wieder. Ich gehe meinen Weg.
Auch die Therapie hat sich gewandelt. Robotergestützte Geräte trainieren Bewegungsabläufe effizient. Sogenannte Brain-Computer-Interfaces verknüpfen Hirnaktivität mit digitalen Steuerungen. Und moderne Rehakonzepte beziehen längst auch Psyche, Sozialleben und Beruf ein. Reha ist heute ganzheitlich.
Zurück ins Leben – beruflich und sozial
Tom nutzt heute einen leichten Aktivrollstuhl, fährt Handbike, trainiert in einer Sportgruppe. Im Job arbeitet er mit höhenverstellbarem Tisch, spezieller Maus und Spracherkennung. Der Wiedereinstieg ins Berufsleben ist für viele Menschen mit Querschnittlähmung zentral – er gibt Struktur, Kontakte, Perspektive.
Gerade in der digitalen Arbeitswelt eröffnen sich neue Möglichkeiten: sprach- oder augengesteuerte Software, adaptive Computer, smarte Assistenzsysteme. Auch in Handwerk oder Kreativberufen lässt sich durch angepasste Arbeitsplätze vieles realisieren.
Soziale Integration bleibt eine Herausforderung. Isolation kann zu psychischen Belastungen führen. Doch auch hier helfen Technik und Wandel in der Gesellschaft. Digitale Hilfsmittel, barrierefreie Begegnungsräume, inklusive Freizeitangebote und mehr Sensibilität ermöglichen Teilhabe. Und Freundschaften und Beziehungen auf Augenhöhe – auch das ist dank mehr Offenheit und Unterstützung heute realistischer.
Gerade junge Betroffene wollen ihr Leben selbst gestalten: Reisen, arbeiten, lieben, Pläne schmieden. Dabei helfen ihnen Hilfsmittel, die sich nicht wie Einschränkungen anfühlen, sondern wie Werkzeuge zur Freiheit.
Selbstbestimmung: Mehr als nur ein Schlagwort
Selbstbestimmung ist der zentrale Begriff, der mit den Fortschritten in der Rehatechnik untrennbar verbunden ist. Früher hiess es oft: «Wer körperlich eingeschränkt ist, hat keine Wahl.» Doch heute ist der Begriff der Selbstbestimmung für viele Menschen mit Behinderungen ein realistisches Ziel – nicht zuletzt dank technischer Innovationen.
Gerade junge Betroffene wollen ihr Leben selbst gestalten: Reisen, arbeiten, lieben, Pläne schmieden. Dabei helfen ihnen Hilfsmittel, die sich nicht wie Einschränkungen anfühlen, sondern wie Werkzeuge zur Freiheit. Ob motorisierte Rollstühle mit intuitiver Steuerung, smarte Assistenzsysteme in der Wohnung oder Exoskelette für Training und Alltag – Rehatechnik ist heute Empowerment.
Ein zweites Leben – anders, aber nicht weniger wertvoll
Der Sprung ins Wasser hat Toms Leben verändert – aber nicht zerstört. Er musste neu anfangen, lernen, kämpfen. Und doch hat er seinen Weg gefunden. Mit moderner Rehatechnik, therapeutischer Begleitung und dem Willen, sich nicht aufzugeben, hat er sich ein zweites Leben aufgebaut. Ein Leben, das anders ist – aber nicht weniger lebenswert.
Und das ist vielleicht die wichtigste Botschaft: Ein Unfall oder eine Diagnose kann alle treffen. Doch mit der richtigen Unterstützung, den passenden Hilfsmitteln und einer offenen Gesellschaft kann ein zweites Leben beginnen – selbstbestimmt, aktiv und lebenswert.
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