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Mobilität

Mobility Sharing is Caring

26.10.2023
von Cedric Keiser

E-Bikes und Scooter flitzen immer häufiger durch die Strassen der Städte und Agglomerationen. Mikromobilität ist ein entscheidender Baustein der Energiewende im urbanen Raum. Sie erfordert aber auch einen grundlegenden Umbau von Strassen, Radwegen und Siedlungen.

Dr. Stefan CarstenZukunkftsforscher & Mobilitätsexperte

Dr. Stefan Carsten
Zukunkftsforscher & Mobilitätsexperte

Viele europäische Städte verfolgen das Ziel, dass im Jahr 2035 80 Prozent der Mobilität im Umweltverbund stattfindet, also entweder zu Fuss, mit dem Rad oder mit dem öffentlichen Verkehr. Stefan Carsten ist Zukunftsforscher, Stadtgeograf und Mobilitätsexperte und verfolgt diese Entwicklung aus nächster Nähe. Er analysiert diese Transformationsfelder nach unterschiedlichen Einflüssen und neuen Perspektiven und ist Mitglied in verschiedenen Beiräten, die er mit seinem Wissen unterstützt.

Paris macht es vor

Stefan Carsten ist beeindruckt von der französischen Hauptstadt: «Paris ist den deutschen Städten sehr ähnlich, was die Wurzeln der Mobilitätsindustrie angeht. Trotzdem schafft sie den Wandel. Man kann ein Vorbild sein, ohne eine Stadt wie Kopenhagen, Oslo oder Stockholm zu sein.» Paris hat auch das Problem mit den Scootern, die ständig auf den Bürgersteigen herumstanden, besonders effektiv gelöst. Die Bürger:innen entschieden sich in einer Abstimmung gegen die weitere Verwendung von Scootern, woraufhin diese aus der Stadt entfernt und in Kürze durch E-Bikes ersetzt wurden. Diese gefährden die Verkehrssicherheit weniger und versperren keine Gehwege mehr.

Sharing-Angebote sind die Zukunft

Diese Sharing-Angebote sind ein zentraler Baustein für die zukünftige und nachhaltige Mobilität. Gab es früher etwa fünf verschiedene Mobilitätsoptionen, sind es heute bis zu dreissig. «Bei schlechtem Wetter greife ich auf Carsharing-Angebote zurück und wenn ich ein Paket transportiere, nehme ich ein Lastenfahrrad.» Sharing-Angebote sind daher überall in der Stadt notwendig und müssen auch in den Vororten zur Verfügung stehen. Also überall dort, wo Menschen in öffentliche Verkehrsmittel ein- oder aussteigen. Gerade am Stadtrand gibt es heute noch zu wenig Sharing-Angebote. Diese Wahlfreiheit kommt auch der jungen Generation entgegen: «Die Generation Z und immer mehr Stadtbewohner:innen verstehen unter Mobilität Unabhängigkeit und Flexibilität. Das bedeutet, dass sie die Mobilitätsmöglichkeiten nutzen, die ihnen angeboten werden.»

Anreize statt Verbote

Wichtig ist dem Mobilitätsforscher aber, dass das Autofahren nicht verboten wird. Parkplätze mögen teurer und knapper werden, aber es soll weiterhin möglich sein, mit dem Auto in die Stadt zu fahren. Allerdings kann es sein, dass die Fahrt in die Innenstädte länger dauert, weil immer mehr Verkehrsflächen für nachhaltige Mobilitätsoptionen zur Verfügung gestellt werden. Stefan Carsten weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der ÖV, die Sharing-Angebote und die Strassen für Mikromobilität entsprechend besser und komfortabler werden müssen, um einen Anreiz zu schaffen. Ansonsten könnte es in den urbanen Zentren viel Widerstand gegen die Mobilitätswende geben.

Radfahren muss noch stärker gefördert werden

Der Zukunftsforscher betont allerdings, dass er nur selten ökologisch argumentiert: «90 Prozent der Radfahrer:innen in Kopenhagen nutzen das Fahrrad, weil es das schnellste Verkehrsmittel ist. Und damit meine ich nicht das E-Bike, sondern das normale Fahrrad.» Das Fahrrad ist also nicht nur wegen seiner ökologischen und gesundheitlichen Nachhaltigkeit beliebt, sondern auch, weil es in den Innenstädten oft das schnellste Verkehrsmittel ist. Deshalb fordert der Zukunftsforscher, dass den Fahrradfahrer:innen mehr und breitere Wege zur Verfügung gestellt werden müssen. In der Schweiz sieht Stefan Carsten den Entwicklungsstand des öffentlichen Verkehrs sehr positiv und nennt Zürich als Beispiel: «Wie Zürich es geschafft hat, mithilfe von E-Bikes eine Fahrradstadt zu werden, ist wirklich beeindruckend.»

Dringender Bedarf an Mobilitätspaketen

Kombinationsangebote im Mobilitätsbereich gibt es bisher kaum. In Berlin bietet das Tochterunternehmen der Berliner Verkehrsbetriebe «Jelbi» eine Kombination aus rund 15 verschiedenen Sharing-Angeboten an. So muss nicht jede App einzeln für die jeweiligen Sharing-Angebote geöffnet werden, was die Nutzung erleichtert. Stefan Carsten wünscht sich jedoch ein noch umfassenderes Angebot: «Es braucht ein Paket, mit dem man eine bestimmte Anzahl Minuten auf dem Scooter, dem Fahrrad, im ÖV und weiteren Mobilitätsoptionen nutzen kann. Ich frage mich, warum es das noch nicht gibt, denn ich würde es sofort kaufen.» Das Mobilitätsverhalten ist von Tag zu Tag unterschiedlich, daher wäre ein solches Abomodell optimal. «Durch Corona und Homeoffice haben sich die Arbeitsformen so verändert, dass man kaum mehr fixe Angebote braucht, sondern sehr fluide Möglichkeiten.» Der Begriff ÖV würde so auf viel grössere Mobilitätsangebote ausgeweitet und das Bezahlen durch einen kurzen Scan-Vorgang ersetzt.

Paris ist den deutschen Städten sehr ähnlich, was die Wurzeln der Mobilitätsindustrie angeht. Trotzdem schafft sie den Wandel. Man kann ein Vorbild sein, ohne eine Stadt wie Kopenhagen, Oslo oder Stockholm zu sein.

Stefan Carsten geht davon aus, dass es weiterhin Strassen geben wird, da nicht alle Menschen Fahrrad fahren können oder körperlich eingeschränkt sind. Er sieht aber keinen Grund, an mehrspurigen Fahrbahnen in Städten festzuhalten. Sogenannte «Shared Spaces», geteilte Strassenräume, könnten durch die Entwicklung autonomer Fahrzeuge vermehrt entstehen, da diese sicherer seien als von Menschen gesteuerte Autos. Tankstellen würden durch die Elektromobilität an Relevanz verlieren und könnten sich zu Mobilitätshubs entwickeln, an denen sämtliche Mobilitätsoptionen zur Verfügung stehen.

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