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Andreas Meyer Primavesi: Minergie ist die Zukunft der Schweizer Baubranche

14.11.2018
von Daniela Jeanneret

Die Welt wird immer umweltbewusster. Auch in der Baubranche versucht man, mit energieeffizienten Baumassnahmen die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen. Andreas Meyer Primavesi, Geschäftsleiter von Minergie, hat Fokus erzählt, was er von der Baubranche erwartet und weshalb sich das Gerücht um die «verschlossenen Fenster» hartnäckig hält.

Andreas Meyer Primavesi, Sie sind der Geschäftsleiter von Minergie. Was sind Ihre Aufgaben?

Meine Aufgaben sind ziemlich klassisch. Ich verantworte die verschiedenen Bereiche des Unternehmens und berichte an den Minergie-Vorstand. Zu meinen wichtigsten Aufgaben gehören aber auf alle Fälle das Kommunizieren und Koordinieren: Minergie ist ein ziemlich grosses Netzwerk von Firmen, Kantonen und Gemeinden.

Für was steht Minergie?

Grundsätzlich steht Minergie für gutes Bauen. Gut für Umwelt und Gesellschaft, und gut für einen selber: Denn das eine funktioniert nicht ohne das andere. Wenn es nicht mit Verzicht verbunden ist, sind fast alle Menschen bereit, etwas Gutes für die Umwelt zu tun. Das Bewusstsein, dass man auf die Natur achtgeben und gleichzeitig komfortabel leben kann, hat sich in den letzten 20 Jahren gut verankert – auch dank Minergie.

Wie sehen Sie das Engagement der Schweiz bezüglich energieeffizienten Bauens?

Grundsätzlich sehe ich es positiv. Im Vergleich zu anderen Ländern gehören wir zu den Vorreitern und haben in gewisser Weise eine Vorbildfunktion. Aber kaum ein anderes Land hätte bessere ökonomische und technische Voraussetzungen, die internationalen Klimaziele so rasch umzusetzen wie wir. Wir bewegen uns meiner Meinung nach zu langsam, obwohl es sich volkswirtschaftlich lohnen würde, jetzt zu handeln anstatt in 20 Jahren.

Doch meine Komfortansprüche haben sich mit der Zeit geändert, heute brauche ich mehr Bequemlichkeit.  Andreas Meyer Primavesi

Auf Ihrer Website ist zu lesen: «Die Marke wird von der Wirtschaft, den Kantone und dem Bund gemeinsam getragen und ist vor Missbrauch geschützt.» Welche Art von Missbrauch sprechen Sie da an?

Leider gibt es immer wieder Bauherrschaften und Vermieter, die vorgeben, das Gebäude nach Minergie gebaut zu haben, obwohl dies eindeutig nicht der Fall ist. Darauf angesprochen wird behauptet, dass es wie nach den Minergie-Anforderungen gebaut oder renoviert wurde, einfach ohne Label. Man muss sich das wie mit einem Apfel vorstellen, auf dem steht, er sei «wie Bio». Wie ist aber nicht gleich Bio, was genau fehlt also? Eine unabhängige Kontrolle, die damit verbundene Sicherheit und Glaubwürdigkeit. Weil das Minergie-Label wirklichen Mehrwert bietet, haben wir leider fast täglich mit solchen Missbrauchsfällen zu tun.

Welche Gebäude mögen Sie am liebsten?

Ich mag es, in einem hellen Raum mit frischer Luft zu sein. Die Grösse ist mir dabei nicht sehr wichtig, ruhig darf es auch gerne sein. Wenn es irgendwo noch Holz hat, dann ist es fast schon perfekt. Als ich noch jünger war, mochte ich Altbauwohnungen, in denen bei jedem Schritt der Boden knarrte, irgendwo mitten in der Stadt. Doch meine Komfortansprüche haben sich mit der Zeit geändert, heute brauche ich mehr Bequemlichkeit.

Welches ist das bekannteste Minergie-Gebäude? 

Wahrscheinlich das Bundeshaus, welches wir nach Minergie-Eco saniert haben. Weitere bekannte Objekte sind das Landesmuseum oder der Primetower an der Hardbrücke.

War die Renovation des Bundeshauses nach Minergie aufwändig? 

Uff, das müssten Sie die Bauherrschaft fragen. Ich gehe davon aus, dass es ziemlich aufwändig war, dieses historische, denkmalgeschützte Gebäude auf den neusten Stand der Technik zu bringen. Die Zusatzanforderungen von Minergie-Eco waren da wohl nur ein kleiner Puzzlestein – aber wichtig: Denn Energie, Bauökologie und Gesundheit sind auch im Bundeshaus wichtig.

Der Bauboom hat bald ein Ende und gute Qualität gewinnt wieder mehr an Wert. Andreas Meyer Primavesi

Wie gehen Sie mit dem Irrglauben um, dass sich die Fenster in den Minergie-Gebäuden nicht öffnen lassen? 

Wir kriegen dieses Gerücht einfach nicht aus der Welt. Alle Fenster in den Minergie-Gebäuden lassen sich öffnen. Sollte das nicht der Fall sein, hat das nichts mit Minergie zu tun, sondern mit dem Fallschutz. Wir machen auch keine Vorgaben, wie oft oder für wie lange die Fenster offen sein dürfen. Durch die Frischluft-Lüftung haben die meisten aber nur selten das Bedürfnis, die Fenster zu öffnen.

Wie sehen Sie die Entwicklung in der Baubranche?

Viele Branchen befinden sich im Wandel, so auch die Baubranche. Der Bauboom hat bald ein Ende und gute Qualität gewinnt wieder mehr an Wert. Das ist für ein Qualitätslabel wie Minergie positiv. Dass die Sanierungsrate wesentlich steigen wird, bezweifle ich bei den heutigen Rahmenbedingungen. Der Trend geht Richtung Ersatzneubau: Das Abreissen wenig komfortabler, fossil beheizter Einfamilienhäuser und deren Ersatz durch hochwertige, energieeffiziente Mehrfamilienhäuser.

Denken Sie, dass viele Baufachleute mit dem Thema Energie überfordert sind?

Ich kenne viele Architekten und Planer, die mit den neuen Richtlinien und Bauanforderungen gut zurechtkommen. Doch der Wandel geschah sehr schnell, das führt bei manchen zu einer Überforderung. Wer von den alten Vorschriften, Planungsabläufen und Gewohnheiten nicht ablassen kann, der wird früher oder später nicht mehr mithalten können. Wenn der Boom vorbei ist, wird das zum Problem.

Was empfehlen Sie diesen?

Ich empfehle den Baufachleuten, eine klare Haltung zu Energie, Klimaschutz und Nachhaltigkeit zu entwickeln und sich dann kontinuierlich weiterzubilden und zu spezialisieren. Die Bauherren haben heute die Erwartung, dass man als Planer und Unternehmer auf dem neusten Stand der Baukunst und Energietechnik ist und das Thema Energie mit Bravour meistert.

Seit dem 1. Januar 2018 können Projekte nur noch nach dem neuen Minergie-Reglement eingereicht werden. Was bedeutet das für Sie?

Die 2017 eingeführten und seit 2018 obligatorischen neuen Minergie-Standards bedeuten einen grossen Umbruch. Es hat drei Jahre Entwicklung gebraucht, um die neuen Baustandards zu vollenden. Das war nötig, denn auch für Minergie ist eine kontinuierliche Weiterentwicklung unerlässlich. Als Bauherr können Sie nun wieder davon ausgehen: Mit einer Minergie-Zertifizierung sind Sie bestens auf die neue Energie- und Klimapolitik vorbereitet, kombiniert mit Qualität und Komfort.

Was wünschen Sie sich für Minergie in Zukunft?

Minergie ist ein wichtiges Bindeglied zwischen Politik und Wirtschaft, der Wegbereiter des nachhaltigen Bauens. Das soll so bleiben. Ausserdem wünsche ich mir, dass die Gesellschaft und insbesondere unsere Branche die Chancen der neuen Energie- und Klimapolitik noch stärker erkennen und nutzen.

Interview: Daniela Jeanneret

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Zur Person

Andreas Meyer Primavesi, Forstingenieur ETH Zürich, ist seit Januar 2016 Geschäftsleiter von Minergie Schweiz. Davor war er unter anderem für den Aufbau und Betrieb des nationalen Gebäudeprogramms verantwortlich und in der Arealentwicklung tätig.

Minergie ist seit 1998 der Schweizer Standard für Komfort, Effizienz und Werterhalt. Mehr als eine Million Menschen nutzen Minergie in ihrem Alltag; bereits über 46 000 Gebäude sind zertifiziert. Im Zentrum stehen der Wohn- und Arbeitskomfort für die Gebäudenutzenden in Neubauten, bei Modernisierungen, wie auch im Betrieb. Die drei bekannten Baustandards Minergie, Minergie-P und Minergie-A können mit den drei frei kombinierbaren Zusatzprodukten ECO, MQS Bau und MQS Betrieb ergänzt werden. Mit der Systemerneuerung ermöglicht Minergie einen vereinfachten Weg für die energetische Erneuerung von Wohngebäuden.

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