Bergwiese mit Edelweiss. Symbolbild Schweizer Biodiversität
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Gesellschaft Schweiz

Die Schweizer Biodiversität ist nicht nur eine Frage des Naturschutzes

29.06.2024
von Valeria Cescato

Schneebedeckte Berge und saftig grüne Wiesen sind das erste, was vielen einfällt, wenn sie an die Schweiz denken. Doch dieses Bild ist irreführend, denn die Biodiversität in der Schweiz hat zu kämpfen.

Biodiversität fördert unsere Gesundheit und macht die Ökosysteme der Erde widerstandsfähig. Ist sie beeinträchtigt, kann dies gravierende Auswirkungen auf Mensch und Planet haben. Die Landwirtschaft produziert Nahrungsmittel und braucht dafür gesunde Böden und Bestäuber.

Ausserdem schützen uns funktionierende Ökosysteme vor Naturkatastrophen. Moore und natürliche Flussabschnitte verhindern zum Beispiel Überschwemmungen, und Wälder schützen in Gebirgsregionen vor Lawinen. Biodiversität spielt auch für medizinische Innovationen eine wichtige Rolle, denn viele Medikamente beruhen auf Entdeckungen von Wirkstoffen in Pflanzen oder Pilzen. Je grösser die biologische Vielfalt ist, desto mehr profitiert der Mensch.

Wie steht es um die Schweizer Biodiversität?

Ein Drittel aller Tier- und Pflanzenarten in der Schweiz sind gefährdet oder bereits ausgestorben und die Hälfte ihrer Lebensräume sind bedroht. Besonders hoch ist der Anteil der gefährdeten Arten in und entlang von Gewässern, in Mooren, Äckern und Magerwiesen.

Im europäischen Vergleich bildet die Schweiz damit das Schlusslicht. «Verglichen mit Deutschland, Österreich, Frankreich und Italien sind ausser bei den Pflanzen unsere Roten Listen am längsten», sagt Daniela Pauli, Biodiversitätsexpertin und Leiterin der Abteilung Lebensräume und Schutzgebiete bei BirdLife Schweiz. Sogar geschützte Gebiete verlieren teilweise weiter an Vielfalt, weil die finanziellen Mittel für die erforderlichen Massnahmen fehlen. So gibt es zum Beispiel in Mooren immer noch alte Drainagen, die nicht geschlossen wurden, sodass die sensiblen Biotope austrocknen.

Neben den fehlenden finanziellen Mitteln sind auch die direkten Ursachen des Biodiversitätsrückgangs ein Problem. In der Schweiz wird durch Landwirtschaft und Verkehr viel Stickstoff in die Luft und ins Wasser freigesetzt. So gelangt Stickstoff in sämtliche Lebensräume – auch in Wälder und Moore, die nicht gedüngt werden dürfen. Der übermässige Stickstoffeintrag beeinträchtigt deren Funktionsfähigkeit und bringt spezialisierte Pflanzen- und Tierarten zum Verschwinden.

«Dies unterstreicht, dass Biodiversität nicht nur eine Frage des Naturschutzes sein kann, sondern bei allen wichtigen Entscheidungen in anderen Bereichen wie Landwirtschaft und Bauwesen berücksichtigt werden muss», betont Pauli. Ein Bereich, in dem dies zunehmend umgesetzt wird, ist der Siedlungsraum. Hier wächst die Erkenntnis, dass Grünflächen, Bäume und Sträucher einen angenehmen Lebensraum schaffen und der Hitze entgegenwirken. Sind diese Flächen naturnah, nützen sie auch der Biodiversität.

Biodiversität steuert das Klima mit

Klimawandel und Biodiversität sind eng miteinander verknüpft. Einerseits helfen intakte Ökosysteme mit reicher Biodiversität, den Klimawandel abzuschwächen und uns an diesen anzupassen. Sie binden CO2, schützen vor Temperaturextremen und Naturkatastrophen im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Andererseits verändert der Klimawandel die Artenzusammensetzung. Mit steigenden Temperaturen wandern neue Arten vom Süden in den Norden oder höher in die Berge. Vorübergehend erhöht dies die Vielfalt, doch die an alpine Verhältnisse angepassten Arten werden verdrängt, weil sie weniger konkurrenzfähig sind.

Die Folgen des Biodiversitätsrückgangs hat vor allem der Mensch zu tragen. «Ein Ökosystem kann auch mit weniger Arten überleben – es funktioniert halt einfach anders», sagt Pauli, «die Frage ist, ob der Mensch das auch kann». Denn die Menschen sind es, die unter dem Verlust der Artenvielfalt leiden. Wenn zum Beispiel die Vielfalt und Menge der Bestäuber reduziert sind, gibt es weniger Obst und Beeren und deren Qualität ist schlechter.

Gesunde Natur ist nicht gleich grüne Wiese

Lange Zeit fehlte in der Schweiz das Bewusstsein für den schlechten Zustand der Biodiversität. Man sieht die grünen Wiesen, die aussehen, als kämen sie direkt aus der Werbung und assoziiert damit eine gesunde Natur. Doch der Schein trügt: Es fehlt dabei an der Artenvielfalt. Die meisten Menschen sind sich dessen nicht bewusst, weil sie kleinräumige Kulturlandschaften mit blumenreichen Wiesen und vielfältiger Insektenfauna nie kennengelernt haben. Es ist schwierig, etwas zu vermissen, wenn man es nicht benennen kann, und das trifft auf viele der in der Schweiz ausgestorbenen Tier- und Pflanzenarten zu. Studien zeigen jedoch, dass das Bewusstsein für den Zustand der Biodiversität in der Schweiz in den letzten Jahren zugenommen hat.

Auch in den Medien wird das Thema immer wieder aufgegriffen – erfolgreiche Wiederherstellungsprojekte sorgen für positive Schlagzeilen. Pauli stimmt zu, dass es Fortschritte in die richtige Richtung gibt, widerspricht aber der Behauptung, mit der Wiedereinführung des Bibers oder des Luchses sei die Arbeit getan. Es gebe noch Tausende andere Arten, die bedroht seien, darunter auch viele weniger fotogene oder interessante Arten wie Insekten und Flechten. Ihnen sind in den letzten Jahrzehnten die Lebensräume abhandengekommen. Auch wenn es noch viel zu tun gibt, ist das für Pauli kein Grund zu verzweifeln. «Die gute Nachricht: Wir wissen, was zu tun ist», sagt sie.

Was können wir tun?

Der wichtigste Schritt für die Förderung der Biodiversität ist die Erhaltung und Wiederherstellung von Lebensräumen. Dazu können alle etwas beitragen. Privatpersonen können vieles bewirken, sei es im eigenen Garten oder in der Gesellschaft. Biodiversität im Garten kann bedeuten, einheimische Pflanzen zu pflanzen, die wiederum Bienen und andere Bestäuber unterstützen. «Wichtig ist es, ein wenig Unordnung zuzulassen», so Pauli; «hier ist der Artenreichtum besonders hoch». Auch über den Konsum können wir viel steuern, etwas durch einen bewussteren Umgang mit Lebensmitteln. Im sozialen Bereich können die Motivation von Nachbarn und Freunden, Initiativen im eigenen Stadtteil, die Mitgliedschaft in Naturschutzvereinen und die Teilnahme an Abstimmungen und Wahlen der Natur helfen.

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