leere wohnung  umzugskartons. symbolbild für wohnungsknappheit
IStockPhoto/Morsa Images
Gesellschaft Schweiz Wohnen

Wohnungsknappheit macht erfinderisch

09.09.2023
von Calvin Huber

Wohnen ist ein Grundbedürfnis. Jedoch macht sich nicht nur in den Schweizer Grossstädten Wohnungsknappheit breit. Ein Mangel ist landesweit bemerkbar.

Wohnraum wird in der Schweiz zusehends rarer. Das ist zumindest das Narrativ, das in den Grossstädten der Schweiz zu vernehmen ist. In Zürich, Basel, Bern oder Genf ist immer wieder von Wohnungsbesichtigungen mit mehr als hundert Teilnehmenden zu hören. Liegt es daran, dass die heutigen Ansprüche an Wohnungen und Eigenheime zu hochgesteckt sind? Hinkt das Angebot an verfügbaren Wohnungen den Bedürfnissen der Bevölkerung hinterher? Oder ist das Problem vielleicht nur in den Städten bemerkbar, und man müsste einfach mal über den eigenen Tellerrand schauen, um fündig zu werden?

Die Schweiz lebt auf immer grösserem Fuss

Die aktuellen Zahlen des Bundesamts für Statistik (BfS) zeigen ein klares Bild: Es existieren derzeit 4,7 Millionen Wohnungen in der Schweiz. Die meisten werden von zwei Personen bewohnt. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um ein Ein- oder Mehrfamilienhaus oder um eine Mietwohnung handelt. Am zweithäufigsten sind Haushalte mit vier Köpfen. Die drittgrösste Gruppe sind die Einzelhaushalte: 17,2 Prozent der Bevölkerung leben alleine – viermal mehr als noch vor 60 Jahren, Tendenz steigend. Schweizerinnen und Schweizer beanspruchen auch immer mehr Wohnfläche: Heute sind es durchschnittlich bereits 46 Quadratmeter pro Kopf. Zudem gibt es markante regionale Unterschiede. In der Romandie und im Tessin ist die Leerwohnungsziffer, also die Anzahl an verfügbaren, leer stehenden Wohnungen, höher als in den Regionen der Deutschschweiz. Gleichzeitig gilt auch: Auf dem Land stehen immer noch mehr Wohnungen leer als in städtischen Gebieten.

Wer kann das Problem lösen?

Die gesellschaftlichen Ansprüche lassen sich wie folgt zusammenfassen: Wohnen soll attraktiv, auf eher hohem und modernem Standard und in nachhaltig gebauten Gebäuden möglich sein – und gleichzeitig bezahlbar. Was wird getan, um diesem Anspruch gerecht zu werden? Es gibt unterschiedliche Ansätze. Gemeinschaftliches Wohnen ist in den Städten beliebt. Student:innen und Junge finanzieren die Wohnung dann gemeinsam. Zehn Prozent der 27-Jährigen leben in einer WG. Im nationalen Vergleich ist sie aber eine Randerscheinung. Demgegenüber spielt der genossenschaftliche Wohnbau in den Städten eine relativ grosse Rolle. Wohnungen in Genossenschaften sind sehr beliebt – vor allem wenn sie über den gemeinnützigen Wohnungsbau staatlich subventioniert sind, z. B. durch verbilligtes Bauland. Bewerbungen für Plätze in Genossenschaftswohnungen nehmen zu. Genossenschaften bauen ihre Wohnungen grösstenteils in urbanen Gebieten, während auf dem Land die Eigentümer:innen von Mietobjekten hauptsächlich Privatpersonen sind. Zuletzt hat auch der Mieterverband Forderungen präsentiert, was getan werden soll, um der Wohnungsknappheit entgegenzuwirken. Unter anderem fordert er einen Ausbau des Mieterschutzes, Mietpreisdeckelung oder noch mehr staatliche Subventionen. Solche Forderungen kommen den Mieter:innen zugute, welche bereits eine Wohnung haben. Doch was ist mit jenen, die auf der Suche nach geeignetem Wohnraum sind?

Die fetten Jahre sind vorbei

Die Wirtschaft wappnet sich für magere Jahre im Immobilienbereich. Nach einer langen Phase der hohen Renditen durch Negativzinsen und tiefem Referenzzinssatz bei Hypotheken nimmt die Gewinnmarge stetig ab. Die Preise für ein Wohnobjekt pendeln sich nun nach einer Phase des konstanten Anstiegs auf einem hohen Niveau ein. Gleichzeitig steht die Immobilienwirtschaft vor der Aufgabe, neuen Wohnraum zu erstellen, um der Nachfrage mit entsprechenden Angeboten entsprechen zu können. Dafür müssten in den nächsten Jahren 50 000 Wohnungen gebaut werden können. Die Rahmenbedingungen sind jedoch schlecht: hohe Zinsen für Hypotheken, teure Grundstückspreise, lange und komplizierte Verfahren mit unsicherem Ausgang, die geltenden Lärmschutzvorschriften und oftmals die hohe Bereitschaft von Nachbar:innen, von ihrem Einspracherecht Gebrauch zu machen – all dies verhindert die rasche Realisierung neuer Wohnobjekte. Das erhöht die Kosten und macht jede Investition zum Risiko – das trifft Immobilienfirmen wie Pensionskassen, die verpflichtet sind, die Gelder ihrer Versicherten rentabel anzulegen. Fazit: Viele Bauprojekte bleiben auf der Strecke, lange bevor überhaupt der erste Baukran auf dem Areal steht.

Nicht Symptome, sondern Ursachen bekämpfen

Die Politik steht vor der Herausforderung, die auf den ersten Blick konträren Forderungen und Absichten des Marktes und der Bevölkerung unter einen Hut zu bringen. Die Bevölkerung möchte günstig wohnen, der Markt benötigt eine interessante Rendite. Die Politik hat zwar erkannt, dass der Markt attraktiver sein muss für Investitionen und dass Verfahren vereinfacht und Hürden abgebaut werden müssen: Die Lärmschutzverordnung soll angepasst werden, um das erforderliche verdichtete Bauen einfacher zu gestalten. Auch Verfahrensbeschleunigungen werden verlangt, damit Bauprojekte innert nützlicher Frist realisiert werden können. Andere wollen das Funktionieren des Marktes verbessern, indem die mietrechtlichen Vorschriften sinnvoll gelockert würden.

Umgekehrt wollen jene, welche die Lösungen beim Staat suchen, in die Mietpreisentwicklung eingreifen. Dies vor allem durch Verschärfungen des Mietrechts. Das schützt aber nur jene, die eine Wohnung haben – nicht die, welche eine suchen. Immer wieder wird auch über die Vor- und Nachteile des staatlich forcierten – und vergünstigten – Wohnungsbaus diskutiert. Jemand, der nämlich das Glück hat, in eine staatliche Wohnung ziehen und dort bleiben zu dürfen, darf sich als Gewinner:in sehen. Interessenten, die abgewiesen werden, haben in diesem aktuellen System das Nachsehen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Vorheriger Artikel Klimawandel: Wem wäre die Erde ein Denkmal?
Nächster Artikel FDP die Liberalen