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SBB-CIO Peter Kummer: Ohne IT fährt kein Zug

04.04.2019
von Miriam Dibsdale

Peter Kummer ist seit neun Jahren als CIO für die IT der SBB verantwortlich und treibt die Digitalisierung aktiv voran. Wieso dank ausgeschalteten Heizungen Strom gespart werden kann und was es mit der digitalen Identität auf sich hat, erzählt er im Gespräch mit «Fokus».

Peter Kummer, Sie sind seit neun Jahren CIO der SBB. Was hat sich seit Ihrem Start verändert?

Auf die Anfangszeit zurückgeschaut, war die IT hauptsächlich ein Dienstleister mit dem Ziel, Applikationen zu entwickeln und zu betreiben. Es ging primär um Effizienz, Produktivität und die Optimierung von Geschäftsprozessen. Auch heute bilden Stabilität und Zuverlässigkeit weiterhin die Basis unserer Aktivitäten. In den letzten Jahren hat sich die Rolle des CIOs zum «Enabler» und Treiber des digitalen Change gewandelt. So trage ich seit vier Jahren zusätzlich die Verantwortung, Chancen und Risiken der Digitalisierung abzuwägen und zu adressieren. Wir erkennen Potenzial und nutzen dieses, um unseren Kunden bessere Services bieten zu können.

Unter dem Namen «smartrail 4.0» entwickelt die SBB gemeinsam mit anderen Partnern neue Systeme für die Bahnbranche. Ab 2040 erwarten Sie jährliche Kosteneinsparungen in der Höhe von 450 Mio. Franken. Wo und wie lässt sich das Geld einsparen?

Wir möchten die Bahnproduktion der letzten 150 Jahre revolutionieren. Dazu haben wir starke Partner in der Schweiz und Kooperationen im Ausland. Ein Grossteil der Kosten lässt sich durch die Nutzung neuer Technologien und durch die Automatisierung von Prozessen sparen, z.B. mit der zentralen Steuerung der Züge. So werden die heute nötigen Aussensignale in die Züge integriert und die Geschwindigkeit automatisch vorgegeben. Enorme Unterhaltskosten lassen sich so vermeiden.

Sie haben bezüglich selbstfahrender Züge schon Tests unternommen. Wie lautet Ihr erstes Fazit?

Die ersten Tests mit Assistenzsystemen haben gezeigt, dass es technisch möglich ist, dem System die eigentliche Fahrt zu übergeben und den Lokführer nur bei Bedarf eingreifen zu lassen. Weitere Testfahrten sind in Planung, wir streben aber weiterhin ein begleitetes Fahren an. Das Ziel ist nicht, den Lokführer aus der Kabine zu vertreiben, sondern effizienter fahren zu können. Wir können uns bezüglich Kapazität und Pünktlichkeit steigern, indem diese Assistenzsysteme die Lokführer unterstützen, nach extrem präzisen Vorgaben zu fahren.

Macht dies den Job des Lokführers einfacher?

Ich glaube, die Position wird tendenziell anspruchsvoller, denn sie erfordert viel integrales Wissen. Die Aufgabe ist vergleichbar mit derjenigen eines Piloten. Er überwacht die Systeme aufmerksam und greift, wenn nötig, ein.

Bezüglich Sicherheit werden wir grosse Fortschritte machen können. Peter Kummer

Gleichzeitig verspricht «smartrail 4.0» mehr Sicherheit. Was ändert sich diesbezüglich für die Mitarbeitenden?

Bezüglich Sicherheit werden wir grosse Fortschritte machen können. Für unsere Mitarbeitenden, die in Gleisnähe arbeiten, führen wir neue Warnprozesse ein, um Unfälle zu vermeiden. Automatisierte Baustellenwarnung, genaue Lokalisierung der Züge und Assistenzsysteme im Bereich des Rangierens bieten im Gleisfeld mehr Sicherheit. Die Mitarbeitenden erhalten beispielsweise einen Chip, der sich orten lässt, und werden dadurch bei möglichen Konflikten frühzeitig gewarnt.

Ein weiteres Thema ist Smart Grid. Die SBB möchten künftig gezielt und automatisch den Bahnstrombezug in den Spitzenzeiten reduzieren. Wie ist Smart Grid in diesem Bereich möglich, ohne dass Züge stehenbleiben?

Aufgrund des Taktfahrplans fahren viele unserer Züge zeitgleich an. Dies führt insbesondere im Winter bei laufenden Heizungen zu Lastspitzen im Bahnstromnetz, die wir mit unseren Kraftwerken nicht abdecken können. In diesen Fällen müssen wir teuren Strom aus dem Ausland kaufen und umwandeln. Mit dem Ansatz Smart Grid merken wir in Echtzeit, wenn sich eine solche Lastspitze anbahnt. Indem wir die Weichen- und Zugheizungen dann für maximal zwei Minuten abschalten, reduzieren wir den Stromverbrauch. Unsere Kunden merken davon nichts. Damit leisten wir einen grossen Beitrag zur Energiestrategie des Bundes und können Investitionen in neue Produktionsanlagen massgeblich reduzieren.

Mit IoT eröffnen sich ebenfalls neue Möglichkeiten. Welche Bedeutung hat IoT für die SBB und wie setzen Sie es ein?

IoT hat in einer «Asset Heavy Company» wie der SBB eine sehr hohe Bedeutung. Aus unserer Sicht ist es eine digitale Schlüsseltechnologie. So haben wir z.B. unsere Güterwagen mit Sensoren ausgerüstet, die Temperatur, Erschütterungen und den Standort übermitteln. Unsere Kunden können mit diesen Informationen ihre Güter live verfolgen und dadurch ihre Lieferketten optimieren. Doch auch in anderen Bereichen wie «predictive maintenance» sehen wir grosses Potenzial für IoT. An den Bahnhöfen überwachen wir mit IoT Rolltreppen, Aufzüge, Lampen, etc. und können diese vorausschauend warten.

Das deutsche Fachmagazin «connect» hat kürzlich die Internet- und Telefonverbindungen in Schweizer Zügen gelobt. Dennoch bietet die SBB keine gratis Verbindungen wie andere Länder an. Wieso?

Die SBB hat eine Strategie gewählt, die von den durchwegs positiven Ergebnissen – nämlich, dass der Internetempfang in Schweizer Zügen massiv besser ist als im Ausland – bestätigt wurde: Repeater und künftig auch laserperforierte Scheiben leiten das Mobilfunksignal direkt in die Wagen. Die Tests haben gezeigt, dass man in Schweizer Zügen zu 99 Prozent problemlos Youtube-Filme schauen kann. Damit ist die Verbindung in Schweizer Zügen besser als in den meisten deutschen Grossstädten. Ausserdem möchten wir unseren Kunden die Möglichkeit des kostenlosen Surfens bieten: In naher Zukunft können Kunden von Salt und Sunrise mit einer App in den Zügen kostenlos von der überragenden Internetqualität profitieren. Das Pilotprojekt dazu startet im Mai dieses Jahres auf den Strecken von Genf nach St. Gallen und Basel.

In Estland hat jeder Bürger einen digitalen Ausweis und die Mehrheit verkehrt mit dem Staat nur noch online. Auch Sie setzen sich für eine einheitliche «SwissID» ein. Welchen Nutzen hat diese?

Ich habe privat und geschäftlich über 20 verschiedene Logins, die User-ID und Passwort beinhalten. Alle diese Daten muss ich mir irgendwo geheim notieren, um sie nicht durcheinanderzubringen. Möchte ich meine Adressdaten aufgrund eines Wohnortwechsels ändern, muss ich dies unzählige Male machen. Teilweise ist ein Login mit dem Facebookprofil oder einem Google-Account möglich, doch als Schweizer Bürger wünsche ich mir eine vertrauenswürdige Identität, mit der ich mich überall einloggen kann. Was uns heute in der Schweiz fehlt, ist eine digitale Infrastruktur. Die E-ID ist nur eine Komponente davon.

Der Bund hat 2010 die «Suisse ID» lanciert, diese konnte sich jedoch nie durchsetzen. Was ist damals falsch gelaufen?

Die ID war nur staatlich getrieben, ohne Partner in der Wirtschaft. Die Kunden mussten für die Suisse ID bezahlen, doch konnten sie nirgends nutzen. Zudem war sie technisch sehr anspruchsvoll und dementsprechend nicht sehr attraktiv.

Im Gegensatz zur damaligen Suisse ID zeichnet sich die heutige Lösung kundenfreundlicher aus.

Peter Kummer

Wie sorgen Sie denn dafür, dass die neue SwissID Erfolg hat?

Unser Hauptansatz lautet: Einfachheit, Sicherheit und breite Abstützung. Im Gegensatz zur damaligen Suisse ID zeichnet sich die heutige Lösung kundenfreundlicher aus. Viele der grossen Firmen aus unterschiedlichen Branchen sind bereits mit dabei. Denn nur wenn die SwissID an vielen Stellen einsetzbar ist, besteht eine Nachfrage. Steigt die Nachfrage, ziehen wiederum mehr Firmen nach. Wir sind auf dem richtigen Weg und haben gute Rahmenbedingungen vom Staat.

Mit dem SwissPass haben die SBB bereits 2015 eine eigene elektronische Identität für ihre Kunden geschaffen. Können Sie bei der Planung der neuen «SwissID» von diesen Erfahrungen profitieren?

Ja, auf jeden Fall. Mit dem SwissPass haben wir einen Login für die ÖV-Branche geschaffen. Damit hat die Bevölkerung einen einheitlichen Zugang zu über 200 Transportunternehmen. Der SwissPass ist Skiticket, Veranstaltungsticket, Schlüssel für Autos und Velos (z.B. Mobility, PubliBike) oder lädt das Elektroauto.  Wir gehen bis Ende Jahr von 3.4 Mio. SwissPass-IDs aus. Damit haben wir in der Schweiz einen grossen Teil bereits abgedeckt und sind ein prädestinierter Partner.

Mit dem SwissPass haben wir einen Login für die ÖV-Branche geschaffen. Peter Kummer

Sie sind nominiert für «CIO of the Decade». Was zeichnet Ihrer Meinung nach einen zukunftsorientierten CIO aus?

Ein zukunftsorientierter CIO agiert vor allem auf der Businessseite mit einem starken Kundenfokus und findet die optimale Balance zwischen Stabilität, Zuverlässigkeit, Innovation und Transformation des Unternehmens. Er hat die Voraussetzung für einen stabilen und sicheren IT-Betrieb geschaffen und nutzt das Innovationspotenzial, das sich aus der digitalen Transformation ergibt, um das Geschäft weiterzuentwickeln.

Die ICT-Fachkräftestudie prognostiziert für 2026 einen zusätzlichen Bedarf an 40 000 Fachkräften. Trotz Bemühungen in der Aus- und Weiterbildung könne dieser Bedarf nicht gedeckt werden. Wieso hat die Schweiz zu wenig qualifizierte Fachkräfte?

Dafür sehe ich mehrere Gründe. Früher gab es sehr viele Quereinsteiger, die jetzt langsam pensioniert werden. Die demografische Entwicklung und der fehlende IT-Nachwuchs verschärfen die Problematik zusätzlich. Zudem ist die IT-Landschaft um ein Vielfaches komplexer geworden und das Thema Digitalisierung hat zu mehr Nachfrage geführt als noch vor 20 Jahren. Die technologische Entwicklung führt zu einem steigenden Bedarf an Fachkräften, die eine fundierte Grund- und Weiterbildung vorweisen können.

Die Deutschschweizer Kantone haben im Rahmen vom «Lehrplan 21» das neue Schulfach «Medien und Informatik» eingeführt. Ein Lichtblick für die Branche?

Endlich kommt bezüglich IT-Unterricht etwas Systematik in die Primar- und Oberstufe. Ich glaube aber, eine Lektion pro Woche und die Geschwindigkeit der Einführung sind nicht genügend. Ein weiteres Problem ist, dass die Qualität und der Umfang vielfach von einzelnen Lehrkräften abhängig sind. Man muss ja zuerst einmal die Lehrer ausbilden, damit diese überhaupt wissen, was sie den Kindern beibringen sollen. Dadurch gehen wieder wertvolle Jahre verloren. Die Schweiz hat noch immer viel Nachholbedarf und das eingeführte Fach ist nur ein Tropfen auf den heissen Stein.

Sie haben selbst vier Töchter zwischen 11 und 18. Gefällt ihnen das Fach?

Einige der Themen finden sie toll, andere weniger. Ein Grund, wieso es wenig Informatiker gibt, ist das schlechte Image der Berufsgattung. Viele stellen sich Nerds vor, die den ganzen Tag im dunklen Keller verbringen und irgendwas hacken. Deshalb nehme ich meine Töchter bei jeder Gelegenheit mit und zeige ihnen, dass es extrem viele spannende Bereiche gibt.

Möchte eine Ihrer Töchter in Ihre Fussstapfen treten?

Bei der Ältesten steht jetzt gerade die Wahl der Studienrichtung an. Ich könnte mir gut vorstellen, dass sie im digitalen Bereich Fuss fassen möchte. Softwareentwicklerin wird sie aber wohl eher nicht.

Interview: Miriam Dibsdale

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