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Ketone – an der Grenze zum Doping

23.08.2019
von Stefan Marolf

Sie sorgten an der Tour de France ganz schön für Aufsehen, sollen leistungssteigernd wirken und stehen trotzdem nicht auf der Dopingliste. Ketone sind das neue Wundermittel im Radsport – ob sie halten, was sie versprechen, ist allerdings unklar.

Um an Ketone zu gelangen, gibt es zwei Möglichkeiten. Erstens kann der Körper die chemischen Verbindungen selbst produzieren und zweitens werden sie unter anderem in flüssiger Form als Energielieferanten für Sportler verkauft und sollen Bestleistungen ermöglichen. An der Tour de France bekannten sich zwei Teams öffentlich dazu, Ketone als Nahrungsergänzungsmittel einzusetzen. Andere wiederum sehen von einer Verwendung ab, weil die Nebenwirkungen nur ungenügend erforscht sind. Die Sportwissenschaftlerin Joëlle Flück, die das Swiss-Cycling-Frauenteam in Ernährungsfragen berät, kennt das Problem: «Die Datenlage ist spärlich. Nebst der Hauptfrage, ob Ketone die Leistung überhaupt positiv beeinflussen können, sind auch viele weitere noch nicht beantwortet.»

Nebst der Hauptfrage, ob Ketone die Leistung überhaupt positiv beeinflussen können, sind auch viele weitere noch nicht beantwortet. Joëlle Flück, Sportwissenschaftlerin

Ein künstlicher Überlebensmodus

Der menschliche Körper ist in der Lage, Ketone als Energiequelle herzustellen und zu nutzen – allerdings nur unter bestimmten Bedingungen. Wenn ein Organismus über mehrere Tage ungenügend mit Kohlenhydraten versorgt ist, gerät er in eine Art Hungerzustand. Um trotzdem über ausreichend Energie zu verfügen, zapft er Fettreserven an. Der Körper bildet dann Ketone, die den Muskeln und dem Gehirn als Energiequelle dienen. Für die Menschen in der Steinzeit war dieser Vorgang überlebenswichtig, denn wenn die Vorräte zur Neige gingen, wurde es Zeit für die Jagd. Unsere Vorfahren brauchten also genau dann Energie, wenn sie keine mehr zu sich nehmen konnten. Hier kamen die Ketone ins Spiel.

Fette statt Kohlenhydrate

Bekannte Sportgrössen aus aller Welt, darunter der US-Basketballer Lebron James, schwören auf die sogenannte ketogene Ernährung. Dabei wird von kohlenhydratreicher Kost schrittweise auf eine fetthaltigere Ernährung umgestellt. Dem Körper werden also absichtlich zu wenige Kohlenhydrate zugeführt, was die Bildung von Ketonen begünstigt. Gemäss Joëlle Flück ist das aber nur in bestimmten Fällen zielführend: «Bei Sportarten mit tiefer Intensität oder langer Dauer könnte es ein Vorteil sein, den Fettstoffwechsel vermehrt zu trainieren und den Kohlenhydratstoffwechsel für eine gewisse Zeit zu unterdrücken.» Das sei beispielsweise dann sinnvoll, wenn es um Ultra-Ausdauerleistungen gehe. Trotzdem empfiehlt Flück, auch in solchen Fällen den Kohlenhydratspeicher vor dem Wettkampf ausreichend aufzufüllen.

Gesunde Fette finden sich unter anderem in Ölen, Fisch oder Avocados.

Zwei Wege zur Ketose

Damit die ketogene Diät funktioniert, muss der Körper in den Stoffwechselzustand der Ketose gelangen. Ein Weg zum Ziel führt über die Ernährung: In der Ketose verbrennt der Organismus bevorzugt gesunde Fette, statt wie normalerweise Kohlenhydrate. Um das zu erreichen, ist eine Diät aus Ölen, Fisch und Früchten wie Avocados geeignet – allerdings nicht für alle: «Sicher ist, dass Athleten in hochintensiven Sportarten davon nicht profitieren», weiss Joëlle Flück. Der zweite Weg in die Ketose ist die Zufuhr von Ketonkörpern als Nahrungsergänzungsmittel. Sie könnte gemäss der Sportwissenschaftlerin die Regeneration beeinflussen: «Möglicherweise kann das Wiederauffüllen der Kohlenhydratspeicher durch Zufuhr von Ketonkörpern verändert werden.» Allerdings seien auch diesbezüglich nicht ausreichend Daten vorhanden.

Bei Sportarten mit tiefer Intensität oder langer Dauer könnte es ein Vorteil sein, den Fettstoffwechsel vermehrt zu trainieren. Joëlle Flück

Ein Wundermittel nicht nur für Sportler

Die Verwendung von Ketonen verspricht neben einer schnellen und effizienten Versorgung auch ein stabiles Energieniveau. Bei einer ausgewogenen Ernährung schwankt der Insulinspiegel ständig. Dieses Auf und Ab spürt der Körper auch beim Sport oder bei herausfordernder «Kopfarbeit». Ketone im Gegensatz halten gemäss einer Studie des Laboratory of Membrane Biochemistry and Biophysics in Washington die Insulinwerte konstant. Dadurch ist die Gefahr von Leistungsabfällen während sportlicher Aktivität geringer. Ketone
versorgen indes nicht nur den Körper mit Energie, sondern auch das Gehirn. Da die chemischen Verbindungen wasserlöslich sind, können sie aus dem Blut ungehindert ins Denkorgan gelangen. Das Gehirn verbraucht, verglichen mit anderen Organen, überdurchschnittlich viel Energie. Entsteht in der Versorgung ein Engpass, kümmert es sich hauptsächlich um die lebenserhaltenden, unbewussten Funktionen wie die Regelung des Pulses. Das bedeutet, dass das eigentliche, aktive Denken bei Energiemangel zuerst eingeschränkt wird und
dadurch die Leistungsfähigkeit abnimmt.

Nebenwirkungen unbekannt

Wie nicht anders zu erwarten, haben auch Ketone ihre Nachteile. Durch eine zu hohe Konzentration der Ketone im Blut kann es zu einer Übersäuerung kommen. Die sogenannte diabetische Ketoazidose (DKA) tritt vor allem bei Diabetes-Typ-1-Patienten auf. Wird die Krankheit nicht sofort intensivmedizinisch behandelt, endet sie tödlich. Joëlle Flück relativiert dieses Worst-Case-Szenario: «Aktuelle Studien zeigten kein Auftreten einer Ketoazidose beim Konsum von Ketonkörpern durch Supplementation. Aufgrund von fehlenden Dose-Response Studien bleibt jedoch die Ungewissheit einer Überdosierung.» So oder so ist die Umstellung auf ketogene Ernährung nicht unproblematisch: Es können Nebenerscheinungen wie Übelkeit, Verstopfung oder Müdigkeit auftreten. Sie verschwinden allerdings, sobald die Ketose erreicht ist. Ganz allgemein sind die Nebenwirkungen von Ketonen bisher nur ungenügend erforscht. So gab beispielsweise das Team Sunweb an der diesjährigen Tour de France bekannt, wegen unklarer Nebenerscheinungen auf den Einsatz der chemischen Verbindungen zu verzichten.

Möglicherweise kann das Wiederauffüllen der Kohlenhydratspeicher durch Zufuhr von Ketonkörpern verändert werden. Joëlle Flück

Power aus der Flasche

Eine lizenzierte Firma aus San Francisco stellt Keton-Drinks her und vertreibt diese weltweit. Gemäss Angaben des Chefs beliefert die Firma mehrere Radmannschaften mit ihrem «Wundermittel». Um das fragwürdige Produkt optimal zu vermarkten, hat das Unternehmen eine geeignete Botschafterin unter Vertrag genommen: die italienische Radfahrerin Vittoria Bussi. Sie hat im vergangenen Jahr einen neuen Stunden-Weltrekord im Bahnradfahren aufgestellt. Dabei hat sie auf Ketone aus der Flasche zurückgegriffen. Ob sie den Rekord auch ohne die chemischen Helferlein geschafft hätte, ist nicht klar. Ebenfalls unklar ist in der Fachwelt die tatsächliche Wirkung der Ketone. Es gibt eine Studie von der Universität Leuven in Belgien, die 15 Prozent mehr Leistung verspricht. Gleichzeitig zweifeln Wissenschaftler diese Befunde an. Auch Joëlle Flück ist skeptisch: «Aktuell sind zu wenige wissenschaftliche Publikationen vorhanden, um eine Aussage zu möglicher Leistungsverbesserung
machen zu können.»

Das letzte Prozent

Aktuell sind zu wenige wissenschaftliche Publikationen vorhanden, um eine Aussage zu möglicher Leistungsverbesserung machen zu können. Joëlle Flück

Es sei wohl die Pflicht eines Radprofis, sich mit jeglichen potenziell leistungsfördernden Mitteln auseinanderzusetzen, die nicht verboten sind, meinte Radprofi Stefan Küng kürzlich gegenüber dem Tages-Anzeiger. Die Ernährungsexpertin versteht diese Einstellung: «Ist ein Athlet an einem Punkt angelangt, an dem er sich trainings- und leistungsmässig nur noch schwer verbessern kann, ist es verständlich, dass er versucht, das Leistungsvermögen durch gewisse Massnahmen noch um das eine oder andere Prozent
zu erhöhen.» Eine solche Massnahme kann gemäss Joëlle Flück auch ein Nahrungsergänzungsmittel sein, solange es nicht verboten sei und die Gesundheit nicht gefährde: «Dann ist es in Ordnung, auch in diesem Bereich das Potenzial
auszuschöpfen.»

Immer wieder überschatten Doping-Skandale den Radsport und insbesondere die Tour de France.

Auf den Spuren von EPO

Ob Ketone noch lange eines dieser nicht verbotenen Mittel bleiben, ist fraglich. Eine Studie der American Diabetes Association hat vergangenes Jahr in einem Versuch herausgefunden, dass der menschliche Körper nach intravenöser Verabreichung von Ketonen rund 30 Prozent mehr EPO produziert. Zwar ist das Vorgehen der Infusion gemäss Dopingrichtlinien verboten, das Resultat lässt Radsportfans trotzdem aufhorchen: EPO ist ein Hormon, das die Produktion von roten Blutkörperchen ankurbelt und dadurch die Leistungsfähigkeit steigert. Es steht seit 1990 auf der Dopingliste. Patrik Noack, Chefarzt von Swiss Olympic, betont, alles rund ums Thema Ketone sei mit Vorsicht zu geniessen – so auch diese Studie. Sollte sie sich aber bewahrheiten, könnten Ketone dereinst in einem Atemzug mit EPO genannt werden.

Mehr zu gesunder Ernährung lesen Sie hier.

Text: Stefan Marolf

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